Dank dem Basler Hilfswerk Baas können Flüchtlingskinder auf Chios wieder zur Schule

Das Basler Hilfswerk «Be aware and share» (Baas) hat Ende Mai auf der Insel Chios eine Schule für Flüchtlingskinder eröffnet. Es ist die erste Schule dieser Art auf griechischem Boden. Die Klassenzimmer sind voll.

Gut 200 Flüchtlingskinder können auf Chios wieder zur Schule.

(Bild: Baas)

Das Basler Hilfswerk «Be aware and share» (Baas) hat Ende Mai auf der Insel Chios eine Schule für Flüchtlingskinder eröffnet. Es ist die erste Schule dieser Art auf griechischem Boden. Die Klassenzimmer sind voll.

Da staunen die alten Herren, die grimmig in der Taverne an der Hafenpromenade von Chios sitzen, nicht schlecht: Von den Flüchtlingen, die auf der griechischen Ägäisinsel gestrandet sind, werden sie für gewöhnlich ignoriert, und sie wiederum ignorieren diese ebenso – ein stilles Abkommen, das keines ist. Doch an diesem Morgen Ende Mai, als eine Gruppe Kinder im Gänseschritt an ihnen vorbeimarschiert, alle mit der gleichen Schirmmütze und Tasche ausgestattet, da brandet den alten Herren ein lautes «Kalimera» entgegen, guten Morgen. Die Herren grüssen zurück. Und lächeln.

Giorgios Kosmopoulos ist derzeit oft in den Medien zu sehen. Als hoher Mitarbeiter von Amnesty International – bis vor Kurzem war er Direktor des griechischen Ablegers – wird er im Fernsehen zitiert, in Zeitungen, im Radio. Dann ist er jeweils empört, weil noch immer Flüchtlinge ertrinken. Oder er bemängelt die Zustände in den griechischen Flüchtlingscamps. Doch als er am 27. Mai einen Tweet absetzte, hatte er ausnahmsweise mal gute Neuigkeiten:

Kosmopoulos konnte die Eröffnung der ersten Schule für Flüchtlingskinder in Griechenland verkünden. Nicht der griechische Staat oder die Behörden der Insel Chios sind es gewesen, und auch keines der grossen Hilfswerke, die eine geschlossene Taverne angemietet, sie in Handarbeit in zwei Schulzimmer verwandelt, Tische für 40 Schüler gezimmert, Lehrer in den Flüchtlingscamps rekrutiert und die Klasseneinteilungen vorgenommen hatten. Es war eine Freiwilligenorganisation aus Basel: «Be aware and share», kurz Baas. Täglich haben sie zudem Znünis organisiert, Schulzeug, Schreibblöcke und Stifte.

«Es ist angesichts all der Verzweiflung ein Hoffnungsschimmer», sagt Baschi Seelhofer und meint damit die Flüchtlinge und die mehr und mehr angespannte Beziehung zu den Einheimischen.

Baschi Seelhofer
Als vor einem Jahr die Flüchtlingskrise ausgerufen wurde, handelte der Basler. Seelhofer gründete den Verein Baas, sammelte Güter und Spenden, rekrutierte Volontäre, half über Wochen auf der Balkanroute, in Piräus – und schliesslich auf Chios, nachdem er seinen Job gekündet hatte. Er zog Boote voller Flüchtlinge an steinige Küsten, leistete Erste Hilfe und verteilte Essen – überall dort, wo staatliche Strukturen überfordert waren oder ganz versagten. Mehr dazu lesen Sie hier:

» Baschi Seelhofer im Porträt: «Wer wäre ich, wenn ich nicht helfen würde»

» Dort, wo die Flüchtlinge landen: Die Reportage über die Arbeit der Basler Hilfsorganisation Baas auf der Insel Chios

Seit die EU das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei unterzeichnet hat, landen nur mehr wenige Schlauchboote an den Küsten von Chios. Doch Seelhofer und sein wechselndes Team von Freiwilligen – in manchen Wochen sind es zwei, in anderen zwölf – wollten weitermachen. Denn auf der Urlaubsinsel leben nach wie vor rund 2600 Gestrandete, vorwiegend Syrer und Afghanen. Ihr Bedarf an Nahrung, Kleidung und medizinischer Versorgung ist weitgehend abgedeckt. «Doch es gab keine Schule», sagt Seelhofer. «Das hinzunehmen würde bedeuten, eine ganze Generation an wissbegierigen jungen Menschen zu verlieren.»

Darum hat Baas für einen Teil von ihnen, rund 200 Kinder aus den zentral gelegenen Flüchtlingscamps Dipethe und Souda, Ende Mai die erste Schule für Flüchtlinge auf griechischem Boden eröffnet – auch wenn diese offiziell so nicht heissen darf. Auf Unterstützung von den griechischen Behörden konnten die Basler Helfer denn auch nicht zählen. «Deshalb haben wir die Behörden bewusst umgangen», sagt Seelhofer.

Durch die Berichterstattung von Amnesty International, der BBC und des griechischen Fernsehens entsteht jener Druck, von dem sie sich den Weiterbetrieb der Schule erhoffen. Vielleicht beteiligt sich dereinst gar der Staat finanziell. Bislang finanziert sich das Projekt aus Spenden und der Unterstützung weiterer NGOs wie dem Norwegian Refugee Council.



Das Lernen geht übers Büffeln hinaus: An der Schule des Basler Flüchtlingshilfswerks sollen Kinder vor allem einen kindergerechten Alltag erhalten.

Das Lernen geht übers Büffeln hinaus: An der Schule des Basler Flüchtlingshilfswerks sollen Kinder vor allem einen kindergerechten Alltag erhalten. (Bild: Baas)

Gemeinsam mit ihrer Partnerorganisation Cerst hat Baas neun Lehrer in den Camps rekrutiert. Das eine Lehrerehepaar lebt mit seinen Kindern in einem Zelt, geflickt aus Planen, das andere in einem Container, der zwei mal drei Meter misst und tagsüber brütend heiss wird. Als sie noch in Syrien arbeiteten, verbot ihnen der sogenannte Islamische Staat die Ausübung ihres Berufs. «Allein jetzt wieder zu unterrichten, macht uns glücklich», sagen sie.

«Bei der Eröffnung wurden wir regelrecht überrannt.»

Baschi Seelhofer 

Von früh bis spät unterrichten sie Englisch, Arabisch, Farsi, Mathematik. Volontäre stellen zusätzlich Projektstunden auf die Beine, in denen die Kinder soziale Kompetenzen erlangen, malen, musizieren. Dazu Unterricht in Ethik, Geschichte und Hygiene. «Nebst dem Unterricht bietet die Schule den Kindern in erster Linie einen kindergerechten Alltag», erklärt Initiant Seelhofer.

Tagelang sind die Freiwilligen durch die Camps gezogen und haben die Kinder registriert, erwarteten Schwierigkeiten und stiessen auf grenzenlose Begeisterung – bei Eltern wie Kindern. «Bei der Eröffnung wurden wir regelrecht überrannt», erzählt Seelhofer. Manche Eltern schickten sogar ihre Kleinkinder mit, Vier-, Fünfjährige. Derzeit unterrichten die Lehrer Kinder zwischen 6 und 14 Jahren und das von früh bis spät.



«In Syrien hatten wir nie eine so schöne Schule», sagt eines der Kinder.

«In Syrien hatten wir nie eine so schöne Schule», sagt eines der Kinder. (Bild: Baas)

Wenn Baschi Seelhofer heute, zwei Wochen später, durch die Camps geht, beobachtet er Achtjährige, die ihren Eltern die erlernten Brocken Englisch beibringen. Er sieht Zehnjährige, die ihre Schulmütze den ganzen Tag über mit Stolz tragen. Und er wird von diesem elfjährigen syrischen Jungen zur Seite genommen, der ihm sagt: «We never had such a beautiful school in Syria», er hatte nie eine derart schöne Schule in Syrien.

Weitere Schule geplant

Die Flüchtlingsschule von Baas hat derart hohe Wellen geschlagen, das sich mittlerweile auch Erwachsene einen Platz erhoffen, vor allem, um Englisch zu lernen. Auf einem Hügel ausserhalb der Stadt liegt ausserdem ein drittes Camp, Vial. 1200 Menschen leben hier. Wie die beiden anderen Camps wird auch dieses vom UNHCR geführt, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen. Eine zweite Schule für die Kinder von dort, das ist das nächste Ziel von Baas. Und vielleicht, wer weiss, folgen weitere Inseln.

Nach zwei Wochen Schulbetrieb sind die Klassen voll und der Alltag hat sich eingependelt. Als die Schüler in ihren Mützen, begleitet von Freiwilligen von Baas, abends auf dem Heimweg die Taverne an der Hafenpromenade passieren, staunen die alten Herren nicht schlecht. «Kalimera», begrüssen die Griechen die Kinder – man hat sich in Griechenland an den Universalgruss zu jeder Tageszeit gewöhnt. «Kalispera», tönt es zurück, guten Abend. Die alten Herren strahlen.

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