Darf man Flüchtlinge ertrinken lassen, Herr Eymann?

Diese Frage sollte man nicht stellen dürfen. Trotzdem wird sie von Politikern und Medien verhandelt, als wäre es das Normalste der Welt. Die richtige Frage lautet: Wie kann die Schweiz mithelfen, das Ertrinken zu stoppen? Wir haben Politikerinnen aus der Region gefragt.

Seenothelfer retten ein Kind von einem überfüllten Boot vor der lybischen Küste.

In den letzten sechs Wochen sind so viele Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken wie nie zuvor in den letzten Jahren. Es gäbe Menschen mit Booten, die sie retten wollen. Aber sie müssen zuschauen, wie Menschen sterben.

Der Grund: Italien und Malta machen die Seenothelfer, welche die Flüchtlinge aus dem Wasser ziehen möchten, zu Kriminellen und halten sie fest und behaupten, dadurch zukünftige Flüchtlinge vom Weg übers Meer abzuschrecken.

In dieser Argumentation erhalten sie freundliche Unterstützung durch die Medien, welche nonchalant darüber debattieren, ob diese, nennen wir sie «Strategie des Verreckenlassens»,  in Ordnung ist oder nicht. Das unhaltbare Argument, das für das Sterbenlassen angebracht wird: Nichtregierungsorganisationen würden mit Schleppern kooperieren und deren Geschäft ankurbeln.

https://tageswoche.ch/gesellschaft/menschen-ertrinken-langsam-und-leise/

Und was machen die Politikerinnen und Politiker in Europa – und der Schweiz? Sie reden über Aussengrenzen, die man «schützen» müsse. Die ertrinkenden Flüchtlinge: kein Thema.

Dabei lautet die dringende Frage: Wie kann die Politik das Ertrinken stoppen? Darüber haben wir mit Basler Nationalrätinnen und Nationalrätinnen geredet.

Sebastian Frehner, SVP-Nationalrat

Ach, das ist ein schwieriges Thema. Ich bin für eine restriktive Asypolitik, aber es ist sicher grenzwertig, wenn man Hilfsorganisationen daran hindert, Menschen vor dem Ertrinken zu retten, damit habe ich Mühe. Ich habe Verständnis dafür, dass diese Länder Flüchtlinge abschrecken wollen, aber nicht mit solchen Methoden.

Es gibt bestimmt Organisationen, die wirklich den Flüchtlingen in Not helfen wollen. Da kann man nicht richtig dagegen sein. Aber es gibt auch so etwas wie die Asylindustrie, also Organisationen, die den Schleppern dabei helfen, möglichst viele Flüchtlinge nach Europa zu bringen, weil sie es toll finden, wenn viele arme Leute zu uns kommen. Das muss man verhindern, Wirtschaftsflüchtlinge haben keine Zukunft bei uns, das widerspricht der europäischen und schweizerischen Idee von Asyl. Wir sind nicht für das Leid auf der ganzen Welt verantwortlich, wir können nicht alle armen Leute bei uns aufnehmen.

Die Schweiz sollte sich aber jetzt nicht in die Diskussion um die Seenothelfer einbringen, sie muss sicher nicht anderen Ländern sagen, was sie zu tun haben. Für uns gilt das Dublin-Abkommen – Flüchtlinge aus Nordafrika dürfen eigentlich nur mit dem Flugzeug zu uns kommen. Der Vertrag sorgt dafür, dass wir weniger Flüchtlinge haben. Wir haben bereits viele. Die Quintessenz ist halt, dass Staaten am Meer wie Italien und Griechenland überfordert sind.  Wenn der Zustrom an Flüchtlingen zu gross ist, leidet die Bevölkerung darunter.

Silvia Schenker, SP-Nationalrätin

Menschenleben zu retten hat oberste Priorität. Es ist klar: Die Seenotretter sind Leute mit Zivilcourage, die nicht einfach zuschauen wollen, wie Leute ertrinken, sondern etwas dagegen tun. Das muss man unterstützen, sicher nicht die Seenothelfer infrage stellen.

Die Schweiz sollte bei den Regierungen in Malta und Italien vorstellig werden und sie auffordern, die Seenothelfer wieder arbeiten zu lassen. Man muss andere Wege finden, um das Geschäft abzustellen, das Schlepper mit Flüchtlingen machen. Ein wichtiger Schritt wäre es, die Fluchtwege sicherer zu machen, wie das auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe in einer Petition fordert. Dann müssten Flüchtlinge gar nicht mehr den Weg übers Meer antreten.

Eine Möglichkeit wäre, dass Flüchtlinge auch auf Botschaften im Ausland ein Asylgesuch stellen könnten. Dann wüssten sie bereits, ob sie Asyl bekommen, bevor sie die Flucht auf sich genommen haben. Doch dieser Vorschlag hat bei den bürgerlichen Politikern keine Chance, sie haben einen entsprechenden Vorstoss von mir im Nationalrat abgelehnt. Die Schweiz sollte die europäische Flüchtlingspolitik antreiben und die Politiker der verschiedenen Länder an einen Tisch bringen. Man sollte zum Beispiel über eine bessere Verteilung von Flüchtlingen reden.

Christoph Eymann, LDP-Nationalrat

Menschen in Not muss man helfen. Dabei ist irrelevant, warum diese Menschen in Not sind, ob sie sich Schleppern anvertraut haben oder nicht. Wenn sie ertrinken, muss man alles dafür tun, sie zu retten.

Das entbindet uns aber nicht davon, nach den Ursachen für die Flucht zu suchen: Da ist einerseits die instabile Lage in einigen nordafrikanischen Ländern. Die internationale Staatengemeinschaft muss Wege suchen, die Lage zu stabilisieren. Das tönt einfach, ist aber schwierig. Kommt hinzu: Viele Flüchtlinge sind nicht an Leib und Leben bedroht, sind also nicht klassische Flüchtlinge. Dennoch sind sie in grosser Not, weil sie keine Zukunftsperspektive haben, weil die Armut in ihrer Heimat gross ist. Hier muss man Entwicklungszusammenarbeit leisten.

Die Schweiz engagiert sich bereits in der internationalen Staatengemeinschaft und in der Entwicklungszusammenarbeit, könnte ihre Bemühungen aber noch intensivieren. Es wäre zum Beispiel sinnvoll, wenn die Schweiz die Initiative für eine Konferenz der Aussenminister ergriffe, um Lösungen zu suchen.

Im Moment beschränken sich die Politiker darauf, den schwarzen Peter hin und her zu schieben, um bei ihren Wählern zu punkten, wie man dieser Tage am EU-Innenminister-Treffen beobachten konnte.

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