Kaum war die Niederlage der Demokraten klar, erschienen am frühen Mittwochmorgen erste Analysen und Kommentare. Wird die an Ort tretende US-Politik durch die neue Mehrheit der Republikaner vorwärtskommen – oder bleibt sie weiterhin blockiert? Wie immer gibt es verschiedene Ansichten. Eine Auswahl.
Was für eine Wahlnacht! Wie erwartet, haben die Republikaner bei den US-Kongresswahlen triumphiert. Dass die demokratische Niederlage so schwer ausfallen würde, kam jedoch für viele überraschend.
Das Repräsentantenhaus war Dienstagnacht bereits früh verloren. Bitter für die Demokraten war, dass die Republikaner auch im Senat die Mehrheit erringen konnten. Gemäss Hochrechnungen und Nachwahlbefragungen holten sich die Republikaner bisher demokratisch beherrschte Sitze in den Bundesstaaten Iowa, North Carolina, Arkansas, South Dakota, West Virginia, Colorado und Montana. Sechs Sitzgewinne hätten genügt, um die Senatsmehrheit zu erringen.
Obama ist nicht der erste US-Präsident ohne Mehrheit. Die Suche nach Kompromissen in einer solchen Lage zählt zur politischen Tradition der USA. Auch Obamas Vorgänger George W. Bush und Bill Clinton haben sich in Einzelfragen mit einem von der Opposition beherrschten Kongress verständigen müssen.
Aber was heisst das? Eine Auswahl der ersten Kommentare und Analysen.
Die «New York Times» hat eine «Welle der Wut» entdeckt
Eine «Welle der Wut» sei über Obama und seine Demokraten geschwappt, schreibt die «New York Times». Die harzende wirtschaftliche Erholung, verbunden mit Existzenzängsten, habe die Wählerinnen und Wähler in eine «Bestrafstimmung» versetzt. Der Erfolg der Republikaner werde die politische Karte und die letzten beiden Amtsjahre von Barack Obama nachhaltig prägen.
Zum gesamten Artikel: «Riding Wave of Discontent, G.O.P. Takes Senate»
Die «Washington Post» hat der Niederlage einen Namen gegeben – Barack Obama
Für die Demokraten sei diese Wahlnacht sehr viel schlimmer herausgekommen als befürchtet, schreibt die «Washington Post», und zeichnet nach, wo und wie die Demokraten kontinuierlich an Boden verloren haben. Die Niederlage habe vor allem einen Namen: Barack Obama. Seine Politik sei zwei Jahre vor der Präsidentschaftswahl nicht mehr mehrheitsfähig bei den Amerikanern.
Zum gesamten Artikel: «An unhappy electorate is toughest on Obama and the Democrats»
Ein Debakel nennt der «Spiegel» die Kongresswahlen
Ähnlich sieht es das deutsche Nachrichtenmagazin «Spiegel». Der Ausgang der Kongresswahlen sei eine Schlappe für den Mann, der gar nicht zur Wahl stand: Barack Obama. Obwohl sich Obama komplett aus den Wahlen herausgehalten habe, habe sich dennoch alles um ihn gedreht: «Mit Obamas Zustimmungswerten im Keller – bei nur noch rund 40 Prozent – suchten die Republikaner die Wahl zu einem Referendum über den Mann im Weissen Haus umzufunktionieren. Das ist ihnen gelungen.»
Zum gesamten Artikel: «Goodbye, Mr. President»
Das «Handelsblatt» mit schlechten Nachrichten für Obama: Der Dauerwahlkampf droht
Barack Obama drohe nun der Dauerwahlkampf, kommentiert das deutsche «Handelsblatt»: «In den nächsten beiden Jahren wird der Stillstand regieren. Und der Wahlkampf: Denn noch bevor die letzten Wahllokale geschlossen hatten, lagen für Rand Paul die Midterm-Wahlen in den USA schon lange zurück.»
Zum gesamten Artikel: «Debakel für Obama»
Der «Tages-Anzeiger» gibt Obama die Schuld
«Der ‹Loner› ist mitschuldig», titelt der «Tages-Anzeiger» seine Wahlanalyse. Die amerikanische Wählerschaft habe genug «von der politischen Blockade wie auch dem giftigen Umgangston in der Hauptstadt». Schon deshalb könnten es sich die jetzt triumphierenden Kongressrepublikaner kaum leisten, ohne politische Erfolge und die dazu erforderlichen Kompromisse mit Obama in die Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2016 zu ziehen.
Zum gesamten Artikel: «Der ‹Loner› ist mitschuldig»
Nicht so schlimm, findet «Die Zeit» den Ausgang
Etwas anders sieht es die deutsche «Zeit». Mit ihrem Machtgewinn hätten die Republikaner künftig zwar mehr Einfluss auf die Gesundheitsreform (Obamacare) und die Schuldenpolitik. An der Blockade werde sich aber in Washington wenig ändern, meint die Kommentatorin der «Zeit». Präsident Obama habe ein Vetorecht und könne Gesetzesvorhaben ablehnen, auch wenn sie von beiden Kammern des Kongresses mehrheitlich verabschiedet würden.
Zum gesamten Text: «Was sich durch die US-Wahl ändert»
Die «Neue Zürcher Zeitung» macht den Demokraten Mut
Auch die NZZ relativiert die Niederlage der Demokraten: Es handle sich um einen «Erdrutsch mit begrenzten Folgen». Es sei normal, dass das Pendel der Politik irgendwann in die Gegenrichtung ausschlage. «Besetzt eine Partei mehr als vier Jahre lang das Weisse Haus, wächst in der amerikanischen Öffentlichkeit regelmässig der Überdruss.» Obama bleibe bis zu den Neuwahlen der zentrale Bezugspunkt der amerikanischen Politik – für Freund und Feind. «Politisch verbraucht und als Sündenbock missbraucht, werden ihm die Fäden in Washington jedoch zunehmend entgleiten. Handlungsfreiheit behält er am ehesten in der Aussenpolitik, wo Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus und im Atomstreit mit Iran noch immer in Reichweite liegen.»