Das Drama hinter dem Oscar

In derselben Nacht, in welcher der Film «Spotlight» über Missbrauch in der katholischen Kirche den Oscar gewinnt, muss sich in Rom einer der höchsten Vatikanvertreter zum gleichen Thema verantworten. Hinter alledem steht die Frage, wie ernst es Papst Franziskus bei der Bekämpfung von Missbrauch in der Kirche ist.

Steve Golin, from left, Blye Pagon Faust, Nicole Rocklin and Michael Sugar, winners of the award for best picture for �Spotlight� pose in the press room at the Oscars on Sunday, Feb. 28, 2016, at the Dolby Theatre in Los Angeles. (Photo by Jordan Strauss/Invision/AP)

(Bild: Keystone/Jordan Strauss)

In derselben Nacht, in welcher der Film «Spotlight» über Missbrauch in der katholischen Kirche den Oscar gewinnt, muss sich in Rom einer der höchsten Vatikanvertreter zum gleichen Thema verantworten. Hinter alledem steht die Frage, wie ernst es Papst Franziskus bei der Bekämpfung von Missbrauch in der Kirche ist.

«Papst Franziskus, es ist Zeit, Kinder zu schützen und das Vertrauen wiederherzustellen!» Diese Worte wählte Filmproduzent Michael Sugar bei der Oscar-Preisverleihung Sonntagnacht in Los Angeles. Sein Drama «Spotlight» über die Aufklärung Dutzender Fälle von Missbrauch und ihrer Vertuschung in der Diözese Boston hatte da gerade den Oscar als bester Film gewonnen.

«Das ist das grösste Geschenk, das wir bekommen konnten», sagte David Ridsdale kurz darauf in Rom und meinte damit die Aufmerksamkeit für sein Lebensthema. Ridsdale ist selbst ein Missbrauchs-Betroffener. Als Kind war er in Australien von seinem Onkel, einem Priester, vergewaltigt worden.

Bedeutende Aussagen von Kardinal Pell

Mit einem knappen Dutzend anderer Betroffener ist Ridsdale nach Rom gekommen, um die Aussagen von Kardinal George Pell vor einer australischen Regierungskommission mitzuverfolgen. 2013 wurde Pell von Papst Franziskus zum Präfekten des neu geschaffenen Wirtschaftssekretariats sowie in einen neunköpfigen Kardinalsrat berufen. Damit ist er einer der ranghöchsten Vertreter in der Vatikanhierarchie. Nun sagte er per Videoschaltung in einem römischen Hotel aus. Pell wird vorgeworfen, Betroffene missachtet und Missbrauchstäter, darunter den Onkel Ridsdales, gedeckt zu haben.

Der ehemalige Erzbischof von Melbourne und Sydney, der laut ärztlichem Attest herzkrank ist und deshalb nicht nach Australien fliegen kann, bestreitet diese Vorwürfe. Seine Aussage ist aber auch im Hinblick auf die jüngst wiederholte Ankündigung von Papst Franziskus von Bedeutung, beim Thema Missbrauch «null Toleranz» walten zu lassen. Franziskus sagte erst vor Tagen, ein Bischof, der einen des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen überführten Priester in eine andere Pfarrei versetzt, sei verantwortungslos. «Es ist besser, dass er zurücktritt», sagte der Papst.

Konkret wird Pell vorgeworfen, in seiner Zeit als Priester und Vikar in der australischen Diözese Ballarat (1973–1984) sowie später als Weihbischof von Melbourne seine Hand schützend über Missbrauchs-Täter gehalten zu haben. David Ridsdale behauptet, Pell, der gut mit seinem Onkel Gerald Ridsdale befreundet war, habe ihm seinerzeit Schweigegeld angeboten. Pell bestreitet das.

«Kirche vor Schande schützen»

Bei seiner ersten Aussage in der Nacht zu Montag räumte Pell «enorme Fehler» der Kirche in Australien beim Umgang mit Missbrauchstätern aus dem Klerus ein. Teilweise gestand der 74-Jährige auch eigene Nachlässigkeiten. Er sei früher geneigt gewesen, eher «einem Priester zu glauben, wenn dieser den Vorwurf des Missbrauchs dementiert hat». Er wolle «nicht das Unhaltbare verteidigen», sagte Pell, der der australischen Regierungskommission für die Aufklärung von sexuellem Missbrauch zugeschaltet war.

Der Kardinal sagte unter Eid aus und machte auf konkrete Nachfragen Gedächtnislücken geltend. Über die Haltung der Kirche sagte er jedoch: «Der Instinkt war damals, die Institution, die Gemeinschaft der Kirche vor Schande zu schützen.» Pell bestritt allerdings, von Priesterversetzungen zur Vertuschung von Missbrauch erfahren zu haben. Seine Befragung soll bis Mittwoch dauern.

Führt Papst Franziskus nur eine «PR-Kampagne»?

Insgesamt liegen der australischen Regierungskommission 853 Anzeigen gegen die Priestervereinigung der Christian Brothers vor, die vor allem in Bildungseinrichtungen tätig waren. 281 Mitglieder dieser Gemeinschaft wurden beschuldigt. Die Fälle trugen sich vor allem in den Staaten Tasmanien oder Victoria zu.

Missbrauchs-Betroffene zweifelten zuletzt öffentlich am Aufklärungs-Willen des Papstes. Peter Saunders, wegen seiner öffentlichen Kritik beurlaubtes Mitglied in der päpstlichen Kommission für Kinderschutz, warf Franziskus eine «PR-Kampagne» vor. Saunders kritisierte insbesondere, dass das im vergangenen Juni angekündigte Vatikan-Tribunal für die Verurteilung von Bischöfen, die Missbrauch vertuschen, bis heute nicht existiere.


«Spotlight» läuft in Basel im Pathé Küchlin 8 und im Studio Central

Nächster Artikel