Die historischen Verdienste der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind unbestritten. Nachdem sie jahrelang im Standby-Modus funktionierte, ist sie im Ukraine-Konflikt wieder gefordert.
Für einmal kann man sagen, dass die Schweiz von Anfang an dabei war: Sowohl bei den 1973 begonnenen Vorverhandlungen über die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Helsinki als auch bei den Verhandlungen in Genf. Und als die Gründungsschlussakte 1975 – wiederum in Helsinki – unterzeichnet wurde, begab sich der schweizerische Bundespräsident Pierre Graber zusammen mit den Vertretern der USA und der UdSSR sowie den Repräsentanten des damals noch geteilten Deutschland, Helmut Schmidt und Erich Honecker, zum Fototermin.
Die Schweiz machte nicht mit, um die grosse Weltpolitik zu beeinflussen, sondern um ihre Neutralität zu erklären und zu verteidigen. Dieses Motiv schwingt auch im heutigen OSZE-Engagement der Schweiz mit. Man will als Vermittler und Dialogförderer nützlich sein. Und man tut es auch, weil es dem Ansehen der Schweiz in der Welt förderlich ist.
Die bipolare Aufteilung der Welt gab neutralen Positionen gute Handlungsmöglichkeiten. Diese wurden von der Schweiz seit Beginn weg genutzt, allerdings nicht alleine, sondern in der sogenannten «N + N-Gruppe»: Zusammen mit begrenzt geschätzten anderen neutralen Ländern und weniger geschätzten blockfreien Staaten, den «nonaligned». Mit ihnen musste man zusammenarbeiten – und von ihnen wollte man sich zugleich abheben.
Österreichische Zentrale
Die OSZE hat ihren Sitz mit Generalsekretariat und akkreditierten Diplomaten nicht in der Schweiz, sondern im ebenfalls neutralen Österreich – also nicht im westlichen Genf, sondern in Wien, wo der Ständige Rat mindestens einmal pro Woche zusammentritt.
Während sich die Staats- und Regierungschefs nur unregelmässig treffen (zuletzt 2010), trifft sich der Rat der Aussenminister jährlich – am 4. und 5. Dezember eben in Basel, weil die Schweiz das jährlich wechselnde Präsidium innehat.
Bundespräsident Didier Burkhalter über die Rolle der Schweiz in der OSZE-Konferenz (SRF News, 5.12.2013):
Es gibt keinen festen Turnus unter den heutigen 57 Mitgliedsländern: Die Schweiz stellte schon einmal vor 18 Jahren (1996) mit Bundesrat Flavio Cotti den Präsidenten. Das Präsidium funktioniert aber nach dem Troika-Modell. So war die Schweiz bereits letztes Jahr (unter dem Präsidium der Ukraine) im Führungsgremium der OSZE und bleibt dies bis 2015 (unter dem Präsidium Serbiens).
Zielkonflikte zu Beginn
Die erste Initiative für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) – diese als Vorläuferorganisation der heutigen OSZE – kam bereits in den 1950er-Jahren vonseiten des Ostens. Eine Annäherung war aber erst Anfang der Siebzigerjahre mit Willy Brandts Einleitung der neuen Ostpolitik («Wandel durch Annäherung») möglich.
Eine wichtige Initiative war allerdings schon 1969 von Finnland unter Staatspräsident Urho Kekkonen ausgegangen. Dieses ebenfalls neutrale Land zwischen Osten und Westen war an einer Verständigung besonders interessiert. Die Verhandlungsmaterie wurde in «drei Körbe» aufgeteilt: Sicherheit in Europa, Zusammenarbeit in allen Bereichen von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik und Zusammenarbeit im humanitären Bereich. Das Kernstück der 1975 von 35 Staaten unterzeichneten Schlussakte war der Dekalog mit den folgenden Prinzipien:
- Souveräne Gleichheit der Staaten
- Gewaltverzicht
- Unverletzlichkeit der Grenzen
- Territoriale Integrität der Staaten
- Friedliche Regelung von Streitfällen
- Nichteinmischung in innere Angelegenheiten
- Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten
- Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker
- Zusammenarbeit zwischen Teilnehmerstaaten
- Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben
Zum Teil überlappten sich diese Prinzipien, zum Teil schlossen sie sich gegenseitig aus. Stark vereinfacht standen zwei Interessen einander gegenüber. Für die östliche Seite, von der die Initiative ausging, war das Interesse an einer Bekräftigung des Status quo und der Zementierung der sowjetischen Herrschaft wichtig. Die Weststaaten, welche die Initiative umzuwandeln verstanden, wollten die Vorherrschaft der Sowjetunion im Osten Europas schwächen.
Grösste regionale Sicherheitsorganisation der Welt
Die OSZE ist ein positives Produkt des Kalten Krieges. Obwohl durch unterschiedliche Interessen motiviert, liess diese Organisation West und Ost näher zusammenrücken. Da auf der westeuropäischen Seite das Atlantische Bündnis (Nato) involviert war, spielten die USA und Kanada in dieser europäischen Konferenz von Anfang an eine wichtige Rolle.
Das macht die Institution stark und schwach zugleich. Zur Stärke kann man sagen, dass alle für Europa massgebenden Kräfte dabei sind und dass (wenn Superlative gewünscht sind) die OSZE mit ihren 57 Mitgliedsländern die grösste regionale Sicherheitsorganisation der Welt ist. Hervorzuheben ist auch die Multidimensionalität des Sicherheitsverständnisses, das sich nicht aufs Militärische beschränkt, sondern auch Wirtschafts- und Umweltfragen einbezieht und insbesondere den Menschenrechtsschutz als Aufgabe sieht.
Das Sicherheitsverständnis beschränkt sich nicht aufs Militärische, sondern bezieht Wirtschafts- und Umweltfragen mit ein.
Zur Schwäche muss man sagen, dass wegen der Einstimmigkeitsklausel jedes einzelne Mitglied Entscheide blockieren beziehungsweise verhindern kann. Diesen Nachteil kann man aber auch als Vorteil sehen, weil man zur Konsenssuche verurteilt ist. Generell sind der OSZE spektakuläre Aktionen versagt. Sie darf und kann auch nicht in Aktionismus verfallen, sondern muss mit Ruhe und Fachwissen an Lösungen arbeiten.
Die OSZE-Vorläufer-Institution, die KSZE, leistete ihren historischen Beitrag in der Aufweichung des Ost-West-Gegensatzes. Sie stärkte insbesondere der innersowjetischen Opposition den Rücken. Etwa Andrei Sacharows «Komitee zur Durchsetzung der Menschenrechte», die Dissidentengruppen in der DDR («Schwerter zu Pflugscharen») und Polen («Solidarnosc»), später auch in der Tschechoslowakei die von Vaclav Havel mitunterzeichnete «Charta 77».
Selbst bei grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten oder auch nur bei punktuellen Streitigkeiten – und gerade dann — ist eine gesamteuropäische Organisation mit einem gemeinsamen Tisch, an dem gemeinsames Handeln entwickelt werden kann, äusserst wichtig. Sie ist in bescheidenem Ausmass, was Michail Gorbatschow seit 1985 als «gemeinsames europäisches Haus» propagiert hat.
Ende der Spaltung
Diese offizielle Ost-West-Begegnungsstätte blieb auch unmittelbar nach 1989 wichtig. Ein Jahr nach der Wende, im November 1990, wurde am Sondergipfel der KSZE die «Charta von Paris für ein neues Europa» verabschiedet. Man erklärte die Spaltung Europas für beendet, verpflichtete sich zur Demokratie als einzige Regierungsform und sicherte den Völkern Europas die Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu.
Das Wirken oder Nichtwirken der KSZE war in der unmittelbar folgenden Phase, insbesondere den Kriegen in Ex-Jugoslawien, weder erfolgreich noch wirklich konstruktiv. 1994 erfuhr die Institution einen Ausbau, das «K» für Konferenz wurde in ein «O» für Organisation umgewandelt. 1999 erwarb sich die mit rund 1200 Mann ausgestattete OSZE-Beobachtermission, die Kosovo Verification Mission, keine Lorbeeren.
In den letzten Jahren funktionierte die OSZE eher im Standby-Modus, was ja auch ein gutes Indiz für geringere Konfliktgegebenheiten in Europa war. Mit dem Ukraine-Konflikt offenbarte sich dann schlagartig die erneute Bedeutung dieser Organisation. Entsprechend ist sie dem Gezerre der Konfliktparteien ausgesetzt. Jede Seite will sie instrumentalisieren und bezichtigt sie zugleich der Parteilichkeit.
Muss die OSZE neutral sein? Ja und nein. Ja, indem sie keine Partei vorsätzlich begünstigt. Nein jedoch, indem sie Partei für die ihr anvertrauten Aufgaben ist und zum Beispiel objektiv festhält, was ihre zivile Beobachtermission von rund 250 Personen in der Ukraine eben beobachtet, auch wenn es der einen oder anderen Partei missfällt.
Neben den zivilen Beobachtern gibt es gemäss den Wiener Vereinbarungen auch militärische Inspektoren für Rüstungskontrollen und angesetzte Manöver. Dass es diese gibt, merkte man, als acht von ihnen vorübergehend von den ostukrainischen Dissidenten gefangen genommen wurden.