Selim Karatekin ist in der Sackgasse. Der SP-Politiker und Muslim-Funktionär war noch vor zwei Jahren ein Hoffnungsträger der Partei. Heute ist er eine Belastung. Die Stimmen sind zahlreich, die hinter vorgehaltener Hand seinen Abgang fordern, von der Parteijugend über Vertreter des linken Flügels bis zu Politikern mit Migrationshintergrund.
Karatekin war ein Experiment, bei dem die grösste Partei der Stadt von Anfang an keine gute Falle machte. Seine wirtschaftsliberalen und wertkonservativen Ansichten passten nie ins Profil der SP, doch mittlerweile ist vor allem das Drumherum zum Problem geworden: Seine dokumentierte Nähe zu Kreisen, die mit der AKP, der Partei des autoritären türkischen Präsidenten Erdogan, verstrickt sind.
Als Karatekin im Frühjahr 2015 zur SP stiess, wollten viele noch glauben, seine Einbindung würde helfen, die tiefen Gräben in der türkischstämmigen Bevölkerung der Stadt zuzuschütten. Darauf deutet jedenfalls die Entstehungsgeschichte seiner Parteikarriere hin.
Selim Karatekin, von Beruf Treuhänder bei einem renommierten Vermögensverwalter, fungiert als Koordinator der Basler Muslimkommission (BMK), des Dachverbands islamischer Institutionen in der Region. Als solcher setzte er sich für die Moschee in der Kaserne ein, die als Folge des geplanten Neubaus neue Räumlichkeiten brauchte. Seite an Seite mit SP-Grossrat Mustafa Atici erwirkte Karatekin schliesslich, dass die Moschee auch in der umgebauten Kaserne Platz findet.
Von Anfang an nicht auf Parteilinie
Atici und Karatekin arbeiteten damals eng zusammen und Karatekin sagt, Atici habe den Ausschlag gegeben, dass er sich den Sozialdemokraten angeschlossen habe. Karatekin wollte in die Politik und die SP war damals diejenige Partei, die sich für Religionsfreiheit und Minderheitenschutz stark machte und Politikern mit Migrationshintergrund den Aufstieg ermöglichte.
Das machte die SP für Selim Karatekin interessant, obwohl er, wie er heute einräumt, bei vielen anderen Themen nicht auf Parteilinie lag. Er sagt: «Ich habe eigentlich ein liberales Profil.»
SP-Grossrat Mustafa Atici ging Risiken ein, als er sich an die Seite von Karatekin stellte und ihn als eine Art Götti in die Partei führte. Er wollte damit praktizierenden Muslimen – eine Bevölkerungsgruppe, die weitgehend unter sich bleibt – den Einstieg in die Politik ermöglichen, um ihren Interessen dadurch Geltung zu verschaffen, und dabei seiner Partei und sich selbst ein bislang brachliegendes Wählersegment erschliessen.
«Ich fragte ihn, was er mit seinen Ansichten auf unserer Liste eigentlich will.»
Als Karatekin dann vor der Tür stand, gab es Vorbehalte. Peter Howald, früherer Parteisekretär und heutiger Vize-Präsident der Kleinbasler SP-Sektion, sagt: «Ich beurteile Menschen nicht nach ihrer Religion oder Herkunft, sondern nach ihrer Weltanschauung.» Als Karatekin bei den Grossratswahlen 2016 auf die SP-Liste wollte, ging Howald auf ihn zu: «Ich fragte ihn, was er mit seinen Ansichten auf unserer Liste eigentlich will.»
Die SP-Delegierten liessen sich von den Vorbehalten nicht abschrecken. Auch weil Mustafa Atici, das bestätigen mehrere Parteileute und Karatekin selber, eifrig für Akzeptanz warb. Man solle ihm eine Chance geben, sagte Atici damals. Heute darauf angesprochen, streitet er jegliches Engagement ab. Weder habe er Karatekin eingeführt, noch für ihn geworben – schon gar nicht habe es Absprachen im Wahlkampf gegeben.
Seine Distanzierung kann realpolitisch verstanden werden: Jede Nähe zu Selim Karatekin kann Atici bei der eigenen Wählerbasis heute nur schaden. Schon vor einem Jahr taten sich erste Risse auf im Verhältnis der beiden Politiker.
Im Juli 2016 kam es in der Türkei zur verhängnisvollen Putschnacht. Die Nervosität stieg in der Folge auch in Basel und eine Organisation mit dem harmlosen Namen «Union Europäisch-Türkischer Demokraten» (UETD) sah es nicht gerne, dass Karatekin mit Atici, einem Sprachrohr der Schweizer Kurden, zusammenspannte. UETD und Karatekin, das ist eine besondere, eine heikle Verbindung.
Der Verband aus Zürich tritt offen als Lobbytruppe für Erdogans Regierungspartei auf. Einst gegründet, um für türkische Interessen im Ausland zu werben, ist die UETD mittlerweile eine reine AKP-Organisation mit grosser Nähe zu Ankara und vermutet guten Kontakten zu türkischen Geheimdiensten.
Murat Sahin, Präsident der Schweizer UETD, fiel in der Vergangenheit etwa damit auf, dass er eine Veranstaltung der Uni Zürich massiv störte, als dort der verfolgte türkische Journalist Can Dündar auftrat. Sahin unterhält Beziehungen zum engeren Umfeld Erdogans, Bilder zeigen ihn Arm in Arm mit dessen Sohn Bilal Erdogan.
UETD-Chef Murat Sahin erschien zum Prüfbesuch in Basel. Dann gab er Karatekins Kandidatur seinen Segen.
Selim Karatekin steht der UETD nahe. Wie eng die Beziehung ist, bleibt unklar. Die autorisierte Antwort Karatekins auf diese Frage lautet so: «Ich stehe als Politiker offen zu allen Vereinen in der Schweiz, darunter auch zur UETD.» Inhaltlich, sagt Karatekin, habe er nichts mit der Organisation zu tun: «Ich habe Freunde, die sich in der UETD engagieren, wie etwa Musa Acar.» Der Basler Jurist Acar gehört zum UETD-Kader und gilt als Verbindungsmann zwischen Zürich und Basel.
Am 20. April 2016 erschien der Vorstand der Schweizer Erdogan-Lobby zum Besuch in Basel. Vorhergegangen waren diverse schwierige Gespräche, in denen Karatekin seine einflussreichen Freunde zu überzeugen versuchte, dem Projekt Karatekin–Atici eine Chance zu geben. Nach dem Treffen in Basel gab UETD-Chef Murat Sahin Karatekins Kandidatur seinen Segen.
Support aus der rechtsextremen Ecke
Offenen Support erhielt Selim Karatekin auch von Vertretern der Grauen Wölfe, einer gewaltbereiten, rechtsextremen türkisch-nationalistischen Vereinigung mit Ableger in Basel. So warb etwa Mustafa Kapan, Weggefährte aus der Muslimkommission und offener Anhänger der Grauen Wölfe, für Karatekin und die SP.
Via BMK organisierte Karatekin seinen Wahlkampf, die angeschlossenen Moscheen mobilisierten ihre Gefolgsleute. Zugleich sollte eine Vereinbarung mit Atici dafür sorgen, dass beide Politiker auf genügend Stimmen kommen.
Wie weit diese Abmachung ging, ist umstritten. Atici bestreitet, dass es überhaupt eine gab, Karatekin dagegen räumt eine gegenseitige Unterstützung ein. Demnach einigte man sich zumindest darauf, im eigenen Lager sowohl für die SP als auch für den Parteikollegen Stimmen zu holen. Karatekin sagt, es sei ihm wichtig gewesen, die Unterstützung eines erfahrenen Politikers zu haben.
Die Bilanz des Wahlkampfs fällt unterschiedlich aus. Profitiert hat vor allem die SP, die auch dank Karatekin und seinem türkischstämmigen Kompagnon auf der Kleinbasler Liste, Faruk Dogrüsoz, das beste Wahlergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg einfuhr. Vor allem Karatekin aber soll enttäuscht gewesen sein, weil Atici glanzvolle 4400 Stimmen machte und er nur 2700.
Für einen Neuling ist dieses Resultat allerdings respektabel, Selim Karatekin ist immerhin Dritter auf der Liste der Nachrückenden in den Grossen Rat, seine Chancen, noch in dieser Legislatur ins Parlament einzuziehen, sind intakt. Und doch macht sich der Mann seit Längerem Gedanken, die Partei zu verlassen. Die Gräben zwischen den türkischstämmigen Fraktionen in Partei und Wählerschaft sind heute tiefer als je zuvor, Karatekin selber ist isoliert.
Im März 2017 zerbrach das Zweckbündnis zwischen dem Aleviten Atici und dem eingefleischten Moslem Karatekin vollends. Atici äusserte damals in der TagesWoche Vermutungen, die Fetih-Moschee auf dem Dreispitz könnte in Spitzelaktivitäten verwickelt sein.
Karatekins Bruder Serhad ist Sprecher der Fetih-Moschee und sitzt im Vorstand der Basler Muslimkommission. Die Fetih-Moschee ist eine sogenannte Diyanet-Moschee, deren Imam von Ankara gestellt und finanziert wird. In Deutschland sind Diyanet-Moscheen mehrfach in den Fokus der Strafverfolgung geraten, weil sie Mitbürger ausgehorcht haben sollen.
Klinisch reiner Facebook-Auftritt
Dass die Dreispitz-Moschee in solche Aktivitäten involviert ist, dafür fehlen die Beweise. Serhad Karatekin betont die politische Neutralität des Vereins. Zumindest nachgewiesen sind Beziehungen zum Prediger Ahmet Yilmaz, der in den letzten Monaten als eifriger Erdogan-Anhänger aufgefallen ist. Yilmaz ist immer wieder Gast in der Moschee. Noch in der Putschnacht reiste er nach Zürich, um dort das Konsulat zu bewachen. Kurz darauf flog er in die Türkei und nahm an Kundgebungen für die türkische Regierung teil. Spätere Bilder zeigen den Prediger auf einer AKP-Demonstration in Köln.
Auf Aticis Angriff gegen seine Moschee folgte eine wütende Reaktion Karatekins auf Facebook. Diese hat der Muslim-Funktionär mittlerweile im Privatbereich verschwinden lassen, wie alle weiteren Beiträge, die auf den Türkeikonflikt verweisen.
Karatekins Facebook-Auftritt ist klinisch rein, Spuren finden sich jedoch in seinem weit gespannten Beziehungsnetz. So hat UETD-Präsident Murat Sahin Mitte November ein weiteres Treffen mit Karatekin im Bild festgehalten. Dabei sei eine geplante Studie zu Diskriminierungs-Erfahrungen von Muslimen in der Schweiz besprochen worden, sagt Karatekin.
Über weitere laufende Kontakte schweigt sich der Treuhänder aus. Denn seine politische Karriere soll noch nicht zu Ende sein. Ohne das Parteipräsidium zu informieren führte Karatekin Sondierungsgespräche mit der FDP, das bestätigen Quellen bei den Freisinnigen. Karatekin begründet seinen Ausflug so: «Ich wollte die FDP näher kennenlernen, um die politischen Positionen zu vergleichen. Ich bin aber nach wie vor SP-Mitglied.» Er habe die Gespräche mit Peter Howald von der Kleinbasler Sektion abgesprochen.
Eine Entscheidung hat der Parteivorstand der FDP bislang nicht getroffen, die Sache liegt auf Eis. Die Vorbehalte gegen Karatekin dürften in der FDP nicht kleiner sein als in der SP.
Gegendarstellung
Die TagesWoche schreibt in der Onlineausgabe vom 7.12.2017 sowie in der Printausgabe vom 8.12.2017, dass vermutet werde, die UETD Schweiz unterhalte gute Kontakte zu türkischen Geheimdiensten – diese Vermutung ist falsch. Die UETD Schweiz lehnt die Anschuldigung der Kollaboration mit türkischen Nachrichtendiensten ab.
Im Artikel wird des Weiteren behauptet, dass die UETD Schweiz eine reine AKP-Organisation sei – auch diese Aussage entspricht nicht den Tatsachen. Die UETD ist weder finanziell noch personell und auch nicht organisatorisch mit irgendeiner politischen Partei verbunden. Die Tatsache, dass die UETD Schweiz die demokratisch gewählte Regierung der Türkei als legitime Vertreter des Volkes anerkennt, macht sie zu keiner Parteiorganisation.
Weiter steht im Artikel, dass ich als Präsident der UETD Schweiz meinen Segen zur Kandidatur Karatekin gegeben habe. Betreffend mich und der UETD Schweiz weise ich seine solche Unterstellung zurück. Es stimmt, dass wir die Basler Muslimkommission besucht haben und uns ausgetauscht haben. Mehr nicht.
In Bezug auf die Fetih-Moschee in Basel steht im Artikel, dass in Deutschland Diyanet/DITIB-Moscheen mehrfach in den Fokus der Strafverfolgung geraten seien, weil sie Mitbürger ausgehorcht haben sollen. Der Artikel verschweigt jedoch, dass die Bundesanwaltschaften Deutschlands die Ermittlung gegen diese DITIB-Imame eingestellt haben.
Murat Sahin, Präsident UETD Schweiz
Die TagesWoche hält an ihrer Darstellung fest.