Das geschrumpfte St.-Anna-Loch

Das St.-Anna-Loch bei Rheinfelden ist spektakulär – aber leider verborgen in den schmutzigen Fluten des Rheins. Das Fricktaler Museum wollte es ans Licht holen – als Modell. Doch das Relief gefiel nicht, nun haben Geographie-Freaks die Chance auf ein spezielles Geschenk.

Korrekt, aber hat nicht gefallen: Das St. Anna-Loch im Massstab 1:500. (Bild: zvg)

Das St.-Anna-Loch bei Rheinfelden ist spektakulär – aber leider verborgen in den schmutzigen Fluten des Rheins. Das Fricktaler Museum wollte es ans Licht holen – als Modell. Doch das Relief gefiel nicht, nun haben Geographie-Freaks die Chance auf ein spezielles Geschenk.

700 Meter oberhalb der Brücke in Rheinfelden graben sich die ersten Furchen ins Flussbett des Rheins. Sie schliessen sich zu immer grösseren Gräben zusammen, bevor sie sich oberhalb der Alten Rheinbrücke zu einem einzigen steilwandigen Graben vereinen, der unter dem mittleren Bogen der Brücke durchführt und sich dann zu einem Becken öffnet. An seinem tiefsten Punkt, dem St.-Anna-Loch, stürzt das Wasser 30 Meter in die Tiefe und bildet gefürchtete Fallwasserzonen. Das St.-Anna-Loch ist vermutlich eine Folge der Auswaschung von Salz im Untergrund.

Von der Brücke aus sieht man von dieser spektakulären Formation nur die unruhige Wasseroberfläche. Es braucht Phantasie um sich die stürzenden Wassermassen auszumalen. So kam das Fricktaler Museum in Rheinfelden auf die Idee, sich ein geologisches Relief davon anfertigen zu lassen: einen Meter lang, 80 Zentimeter breit, Massstab 1:500.

Man beauftragte Toni Mair, dessen Reliefs auch im Naturama oder im Gletschergarten Luzern stehen. Mair machte sich an die Arbeit. Er ist einer der wenigen weltweit, der das aufwendige Handwerk des Reliefbaus noch beherrscht. In einem Quadratmeter Relief stecken 300 bis 350 Stunden Arbeit. Das liegt allerdings auch daran, dass Mair nur perfekte Arbeit erträgt. Das St.-Anna-Loch war eine vergleichsweise einfache Arbeit, da das Museum nur ein geringes Budget dafür hatte. Sonst macht Mair aufwendige Reliefs von Gebirgen. Als letztes hat er etwa auf sechs Quadratmetern minutiös die Walliser Alpen im Massstab 1:5000 nachgebaut – das dauerte zwei Jahre.

Mit viel Liebe zum Detail: Modell von Mair. (Bild: zvg)

«Man muss ein bisschen einen Vogel haben»

Er selbst meint zu seinem Handwerk freimütig: «Man muss schon ein bisschen einen Vogel haben, um zu machen, was ich mache.» Der Reliefbauer arbeitet allein in seinem Keller in Unterägeri (ZG). Nur Gipsstaub ist sein ständiger Begleiter. Wenn er ans Werk geht, staubt es gewaltig – wortwörtlich. Das liegt an den Unmengen Sperrholz und Gips, die er verarbeitet. Weisse Fussstapfen erlauben Mairs Frau stets zu orten, wo im Haus er gerade unterwegs ist. Nur bei der Bemalung hat sich Mair heute von der Tradition gelöst und nutzt Acrylfarben statt traditioneller wasserlöslicher Gouache-Farben. Dies, seitdem eine gewissenhafte Museums-Putzfrau eines seiner Reliefs feucht abgewischt und nicht nur den Staub gelöst hat.

Mair besorgte sich also die topographische und geologische Karte von Rheinfelden und ging erst einmal in den Copyshop. Er brauchte einen grossen Stapel Kopien, die er dann in stundenlanger Arbeit aufs Holz klebte. Dann sägte er zwei Tage lang die Kontur jeder Höhenlinie aus einer dünnen Sperrholzplatte. Diese klebte er aufeinander und erhielt so ein erstes grobes Modell. Daraus wurde mit Kautschuk ein Negativmodell abgegossen, das wiederum als Form für das endgültige Modell aus Gips diente. Dann begann Toni Mairs liebste Arbeit: das Schnitzen. Stunde um Stunde arbeitete er minutiös die Landschaftsformen heraus.

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wettert Perfektionist Mair gegen von Computer erstellte Reliefs, die vor allem in den USA beliebt sind. Niemals könnten diese die Genauigkeit des Kunsthandwerkers erreichen. Es bleibt in Mairs Augen Stümperei: «Der Schuttkegel am Fuss einer Felswand beginnt schon in der Steinschlagrinne. Jede Gesteinsart zeigt ein anderes Bild an den Bruchkanten. Der Computer hat keine Ahnung davon.»

Das Gras aus dem Backofen

Der schlammige Flussboden des St.-Anna-Lochs war eine vergleichsweise leichte Übung. Auch die Bemalung war diesmal einfach – es brauchte dafür vor allem Braungrün. Darüber kam eine bläuliche Plexiglasscheibe als Wasseroberfläche, durch die man das St.-Anna-Loch gut sehen kann. Letztlich blieb noch, gefärbte Kunststoffflocken als Gras aufzukleben. Dabei färbt Mair verschiedene Partien in verschiedenen Grüntönen, trocknet sie im Backofen und mischt anschliessend die Partien zum passenden Farbton. Das Granulat einfach aufzukleben und dann zu bemalen kommt für ihn nicht in Frage. «Es bilden sich winzige Farbbrücken. Das ruiniert mir den Gesamteindruck.»

Brücke und Häuschen schnitzte er aus Balsaholz, penibel darauf achtend, dass die Höhen stimmten. Ein Perfektionist kann halt nicht aus seiner Haut. Er reiste sogar zweimal nach Rheinfelden und machte 150 Fotos von Häusern aus verschiedenen Perspektiven, um ganz sicher zu sein.

Genau an diesem Punkt nahm das Verhängnis seinen Lauf. Kaum waren Gips, Leim und Farben trocken packte Mair die 50 Kilo schwere Platte in den Kofferraum seines Wagens und fuhr nach Rheinfelden. Er erwischte einen ungünstigen Moment, die Museumsleitung war nicht da. Mair lieferte dennoch ab.

Er murmelte noch etwas von «Dilettanten»

Kurz darauf ein Anruf: Man nehme das Modell nicht an. Die Häuser gefielen nicht. Mair ereifert sich: «Der ETH hätte das Modell genügt. Dort stehen sechs meiner nach wissenschaftlichen Kriterien erstellten Modelle. Aber dieser Dame fehlten wohl die Geranien in den Blumenkästen. Es geht doch bei diesem Modell um die geographischen und geologischen Details im Flussbett.» Anschliessend murmelt er noch etwas von «Dilettanten».

Mittlerweile ist das St.-Anna-Loch wieder an seinem Plätzchen im Mairschen Keller – und wäre zu haben. Wer also noch ein spezielles Geschenk sucht – Mair könnte liefern.

Im Keller in Unterägeri staubt es derweil schon wieder. Der Reliefbauer arbeitet an einem 44 Quadratmeter grossen Relief des Kantons St. Gallen für das künftige Naturmuseum St. Gallen. Das Ganze entsteht im Massstab 1: 10’000. Zu klein für geschnitzte Häuschen aus Balsaholz. Mair wird massstabsgetreue Polystyrol-Würfelchen aufkleben. Das wird wissenschaftlichen Massstäben genügen.

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