Über 600 Millionen Euro hat die Regierung im mausarmen Mazedonien in ein Facelifting der Hauptstadt gesteckt. Die pseudoantiken Kitsch-Bauten sollen vorgeblich identitätsstiftend sein. Stattdessen spülten sie Geld in die Taschen hoher Parteifunktionäre und lösen eine «bunte Revolution» aus.
Auf dem Hauptplatz Skopjes ertönt Wagner. Passend zur monumentalen Aufmachung, welche die Stadt seit kurzer Zeit prägt. Kinder rennen herum, versuchen den Wasserstrahlen auszuweichen, die aus kleinen Löchern aus dem Boden schiessen. Hinter dem Wasserspiel sitzt Alexander der Grosse mit erhobenem Schwert auf einem Pferd. Löwen liegen ihm zu Füssen.
Die 23 Meter hohe Statue vor neoklassizistischen Fassaden ist der Mittelpunkt Dutzender Skulpturen. Eine Reihe davon zeigen, wie aus Alexander ein Grosser wurde: Alexander im Bauch seiner Mutter, Alexander an Mutters Brust, Alexander als kleiner Junge, Alexander der Feldherr.
Ein deutscher Tourist schmunzelt und staunt zugleich, während er das neue Gesicht Skopjes betrachtet. «Das ist die verrückteste Stadt, in der ich jemals war», sagt er. «Wie im Europapark! Auf alt gemacht und erbaut von grössenwahnsinnigen Politikern.»
Prunk vor Katastrophenschutz
Vor sechs Jahren hat die nationalkonservative Regierung unter der Führung von Nikola Gruevski das Projekt «Skopje 2014» lanciert. Das Ziel: die komplette Umgestaltung der Regierungsgebäude und öffentlichen Plätze. Es ist das Prestigeprojekt der Inneren Mazedonischen Revolutionären Organisation (VMRO).
1963 ist die historische Bausubstanz der Hauptstadt durch ein Erdbeben zerstört worden. Nun ist sie umgestaltet, im Stilmix von Neoklassizismus und Barock – und maximal kitschig. Wer heute durch die Innenstadt der mazedonischen Hauptstadt spaziert, fühlt sich wie in einem Historienfilm, der zwar schlecht ist, aber bestimmt nicht billig war.
Alexander der Grosse auf dem Hauptplatz Skopjes: Das ideologische Fundament des ganzen Umbaus sitzt auf hohem Ross. (Bild: Krsto Lazarevic)
Wie das Recherche-Netzwerk Birn herausgefunden hat, liegen die Kosten derzeit bei rund 643 Millionen Euro und könnten bis zur Fertigstellung bis auf eine Milliarde Euro anwachsen. Ursprünglich waren 80 Millionen Euro dafür angesetzt. Ein beachtlicher Unterschied.
Zumal Mazedonien eines der ärmsten Länder Europas ist. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen hat keine Arbeit, und unter den Beschäftigten liegt das durchschnittliche Monatsgehalt bei rund 360 Euro im Monat. Viele haben weniger als das zum Leben.
Die Projekte für «Skopje 2014» wurden zwar ausgeschrieben. Doch die Art und Weise, wie sie vergeben wurden, war keineswegs transparent. Gut dotierte Aufträge gingen auffällig oft an Personen aus dem Umkreis der damaligen Regierung der VMRO. Das Bauprojekt scheint von Korruption und Geldwäsche durchzogen, wie aus den Recherchen von Birn hervorgeht. Als bei einem Hochwasser im August in Skopje 21 Menschen ums Leben kamen, wurde der Vorwurf laut, die Regierung Gruevski habe am Katastrophenschutz gespart, weil sie grosse Teile des Budgets in «Skopje 2014» habe fliessen lassen.
Gier und Protest
Wer sich die Bauten ansieht, kann darin die Gier sehen, wie sie bei der führenden Elite der VMRO vorherrscht, aber auch die prekäre Nationalidentität der Mazedonier.
Die 35-jährige Rumena Bužarovska protestiert gegen den Gruevski-Clan, der das Land kontrolliert. Die Autorin und Anglistikprofessorin kritisiert: «‹Skopje 2014› ist ein monströses Projekt mit katastrophalen materiellen und emotionalen Konsequenzen für die Bürger Skopjes und ganz Mazedoniens.»
Sie wirft der VMRO zudem vor, das gesamte Land im eigenen Sinne umzugestalten: «‹Skopje 2014› ist nicht nur die monumentale Manifestation eines korrupten Regimes und eines lächerlich schlechten Geschmacks, sondern symbolisiert auch die Identitätskrise des Landes. Mit seiner Grösse und seinem falschen Glanz zeigt es einen Wahnsinn, der auf den drohenden Zerfall verweist.»
Ein Neubau der Marke Disneyland: In der Antike erlebte die Region am Fluss Vardar ihre Blütezeit. (Bild: Krsto Lazarevic)
Der Zusammenbruch Jugoslawiens war auch das Ende der Devise «Brüderlichkeit und Einheit» und des staatstragenden Antifaschismus. In den Nachfolgestaaten musste die Vergangenheit neu erfunden werden. Während andere Nachfolgestaaten ihr nationales Narrativ auf eine vorjugoslawische Zeit projizieren konnten, war dies für Mazedonien schwieriger.
Der erste moderne mazedonische Staat wurde 1944 im Widerstand unter Tito gegründet und 1946 zur offiziellen Teilrepublik Jugoslawiens. So schufen die Mazedonier ihre Nationalidentität in Abgrenzung zu Bulgaren, Serben, Albanern und Griechen, die allesamt zeitweise Ansprüche auf die Republik Mazedonien stellten. Dies diente der Rechtfertigung der fragilen Eigenständigkeit des jungen mazedonischen Staates. So kommen bei «Skopje 2014», abgesehen von der Albanerin Mutter Theresa, keine nationalen Minderheiten vor.
Dabei ist Mazedonien ein multiethnischer Staat. Fast ein Drittel der Einwohner sind Albaner. Auch Türken, Serben und Roma stellen grosse Minderheiten. Doch die mazedonischen Nationalisten konstruieren eine Nationalgeschichte, die auf Philipp II. und Alexander dem Grossen basiert, die beide als nichtslawische Vorfahren der heutigen Mazedonier gelten. Dieses Narrativ ist die ideologische Grundlage von «Skopje 2014».
Namenstreit mit Griechenland
Dies geschah zum Ärger der Griechen, die selbst einen historischen Anspruch auf Alexander den Grossen und das antike Makedonien stellen. Weil die nördliche Provinz Griechenlands Makedonien heisst, weigern sich die Griechen, Mazedonien unter diesem Namen anzuerkennen. Deswegen wird das Land von der Europäischen Union und den Vereinten Nationen auch offiziell als Former Yugoslav Republic of Macedonia (Fyrom) geführt.
Der offizielle Grund für den absurden Namenstreit ist, dass Griechenland Gebietsansprüche auf sein Territorium befürchtet. Dabei ist es eher unwahrscheinlich, dass das kleine Mazedonien eines Tages gegen die militärisch hochgerüsteten Griechen vorgeht, die auch noch Mitglied der Nato sind.
Unmut in der Bevölkerung: Dass die mazedonische Regierung sich so weit von der EU wegbewegen konnte, hat auch mit Griechenland zu tun. (Bild: Tomislav Georgiev)
Allerdings hat der Namenstreit ernste Konsequenzen. So blockiert Griechenland die EU-Bestrebungen Mazedoniens. Das führte dazu, dass sich die VMRO-Regierung Schritt für Schritt von jeglichen EU-Standards entfernen konnte, da der EU-Beitritt so oder so unwahrscheinlich ist.
Auch unter der linken Syriza-Regierung Griechenlands gab es keine Fortschritte bei der Anerkennung des Nachbarlands. Die EU konnte den Griechen ein knallhartes Sparprogramm aufzwingen, aber nicht, dass sie ihr Nachbarland anerkannten. Nicht nur, weil sich der rechtspopulistische Koalitionspartner Anel dagegen sperrt. Es liegt auch an der zunehmend nationalistischen Rhetorik von Syriza.
Bunte Revolution
«Skopje 2014» ist also nicht nur ein teures, kitschiges Bauprojekt, es ist politisch geladen. Und in den letzten Monaten immer wieder mit allen Farben zugedeckt. Aktivisten haben für dieses Jahr die «bunte Revolution» ausgerufen, um gegen Premierminister Nikola Gruevski, seine Regierung und die neuen Bauten zu demonstrieren. Sie werfen Farbbeutel auf den monumentalen Triumphbogen, die Porta Makedonija und andere Gebäude, die im Zuge von «Skopje 2014» errichtet wurden.
Am Triumphbogen sind Tafeln befestigt, die an die in Skopje geborene und vor kurzem heilig gesprochene Mutter Theresa erinnern. Sie wird mit dem Satz zitiert: «Abtreibungen sind die grösste Gefahr für den Weltfrieden.» Ausdruck der erzkonservativen Ansichten der VMRO. Zu jugoslawischen Zeiten hatte das Recht auf Schwangerschaftsabbruch noch Verfassungsrang. Dieses Recht hat die VMRO längst ausgehöhlt.
Farbkur für den Kitsch-Bau: Aktivisten der «bunten Revolution» am neuen Triumphbogen der Stadt. (Bild: Tomislav Georgiev)
Zdravko Saveski geht mit einem Lächeln an der bunten Porta Makedonija vorbei. Der 39-Jährige ist Vorsitzender der neugegründeten Linkspartei Levica und beteiligt sich am Protest. Dafür wurde er auch unter Hausarrest gestellt. Er spaziert dem Fluss Vardar entlang, der auf beiden Seiten mit pseudoantiken Regierungsgebäuden vollgebaut ist. Mit seinem Finger zeigt er auf die Monumentalbauten von «Skopje 2014». «Schau dir diese hässlichen Gebäude an», ruft er. «Die Menschen in Mazedonien wissen nicht, wovon sie leben sollen, und das Regime baut solchen Kitsch und steckt sich noch Geld in die eigene Tasche.»
Auf Augenhöhe ist das Konterfei von Nikola Gruevski zu sehen. Darunter stehen die Worte: «Er ist fertig.» Ein Satz, mit dem 2000 bereits der Sturz des Milosević-Regimes im Nachbarland Serbien eingeläutet wurde. Mit der bunten Revolution haben sich die Demonstranten einen Teil ihrer Stadt zurückgeholt. Die kitschigen Bauten, die in Skopje kaum jemand haben wollte, sind jetzt wenigstens farbig.
Programm:
Do, 15.9., Vernissage ab 18 Uhr
Fr, 16.9., offen von 18–22 Uhr, Konzert von Emilia Anastazija um 20 Uhr
Sa, 17.9., offen von 14–22 Uhr
So, 18.9., offen von 14–18 Uhr
Do, 22.9., offen von 18–22 Uhr
Fr, 23.9., offen von 18–22 Uhr, Tavce Gravce-Essen ab 20 Uhr
Sa, 24.9., offen von 14–22 Uhr
So, 25.9., 12–16 Uhr, Brunch ab 12 Uhr