Das Entwicklungsprojekt Belgrad am Wasser schreitet voran. Jetzt musste auch das Hotel Belgrad weichen, eine Barackensiedlung, wo Flüchtlinge noch einen Unterschlupf finden konnten.
In der Sekunde, als Javed vom Lärm des Baggers geweckt wurde, wusste er, dass er sein provisorisches Zuhause verlieren würde. «Niemand hat uns gesagt, wann sie kommen, aber wir wussten, dass sie kommen,» sagt der 23-jährige Afghane.
Javed lebte ein halbes Jahr in den Belgrader Baracken. Am Donnerstag kamen Bagger und machten diese platt. Javed war auch hier, als die ganze Welt für einen kurzen Moment auf die frierenden Flüchtlinge in Belgrad blickte, die sich in mit Holz beheizten Tonnen wuschen. Er war da, als Belgrad für einen kurzen Moment Calais und Idomeni als Symbol für das Versagen der europäischen Flüchtlingsabwehr ablöste und die Welt sich anschaute, wie er und andere bei Temperaturen bis zu minus 16 Grad auf eine warme Mahlzeit warteten.
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Daher scheint es nur konsequent, dass die Bagger zuerst die improvisierte Küche in den Belgrader Barracken plattwalzten, in der täglich Hunderte warme Mahlzeiten zubereitet wurden.
Die Balkanroute ist nicht dicht
Laut dem jüngsten Bericht des UNHCR stecken knapp 8000 Geflüchtete in Serbien fest. Davon sind nach der Räumung der Belgrader Baracken mittlerweile bereits über 90 Prozent in den 17 staatlichen Asyl- und Erstaufnahmezentren untergebracht. Seit Montag wurden knapp 750 Personen aus den Baracken in die Flüchtlingslager und Aufnahmezentren in Adaševci, Sombor, Sjenica, Krnjača and Kikinda gebracht.
«Ich will nicht in ein Lager, ich will an einen Ort, wo ich wie ein Mensch behandelt werde.»
Javed, geflohen aus Afghanistan
Javed stieg nicht in einen der Busse: «Ich will nicht in ein Lager, ich will an einen Ort, wo ich wie ein Mensch behandelt werde.» Mehrfach versuchte er vergeblich, nach Ungarn zu gelangen. Er fürchtet, aus einem Flüchtlings- oder Aufnahmezentrum nach Mazedonien abgeschoben zu werden. Diese sogenannten «Push-Backs» sind illegal, werden aber trotzdem vom serbischen Staat umgesetzt.
Eine neue Stadt in der Stadt
Nun wurden die Flüchtlinge auch noch vom letzten Platz in der Belgrader Innenstadt vertrieben, an dem sie geduldet wurden. Hier sollen bald Bürogebäude, megalomane Shopping-Malls und Luxushotels entstehen. Die Belgrader Innenstadt macht sich chic. Auf diesem Grundstück nimmt das Bauunternehmen Eagle Hills mit «Belgrad am Wasser» das grösste Bau- und Gentrifizierungsprojekt auf dem westlichen Balkan in Angriff. Die Kaufpreise pro Quadratmeter liegen hier dreimal höher als im Durschnitt der umliegenden Gegend. Das Elend von Geflüchteten passt nicht in dieses Bild.
Es ist nicht das erste Mal, dass Geflüchtete in Belgrad dem Grossprojekt «Belgrad am Wasser» weichen mussten. Am 24. April wurden mehrere Häuser in einer Nacht- und Nebelaktion illegal abgerissen. Darunter das Miksaliste im Künstlerquartier Savamala, das zuvor Anlaufstelle für über 100’000 Flüchtlinge in Belgrad war.
Javed muss sich nun einen Schlafplatz auf billigerem Baugrund suchen, um seine weitere Reise zu planen.