Naturgemäss hat das italienische Tirano mit seinen 9000 Einwohnern nicht besonders viele Höhepunkte zu bieten. Wenn man jedoch ein klein wenig sucht, stösst man auf Trouvaillen. Und die Reise lohnt sich schon nur aufgrund der spektakulären Zugfahrt, die von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt worden ist.
Die eigentliche Attraktion einer Tirano-Reise erfährt man bereits bei der Hinreise mit der Rhätischen Bahn. Ab Thusis wird die Bahnstrecke aussergewöhnlich imposant.
Ein Höhepunkt jagt den nächsten. Da versteht man, weshalb es diese Bahnlinie zum Unesco-Weltkulturerbe gebracht hat. So erwartet man bei der Ankunft in Tirano, nur einen Steinwurf von der Schweizer Grenze entfernt, nicht mehr wirklich, dass es hier noch viel zu entdecken gäbe, was einen begeistern könnte. So wird Tirano von den meisten Touristen nicht wirklich frequentiert. Die meisten sehen – mit der Bahn vom Puschlav her kommend – nur den Bahnhofplatz, essen dort eine Pizza oder ein Gelato, um sich dann wieder über denselben Weg von Tirano zu verabschieden.
Zu Unrecht ignorierte Altstadt
Dabei würde sich der kurze Fussmarsch über den Fluss Adda in die kleine Innenstadt Tiranos lohnen. Die schlichten Gassen lassen erahnen, wie es im Mittelalter war. Allerdings wurde leider mit dem kulturellen Erbe sehr nachlässig umgegangen und viele Strassenzüge mit völlig unpassenden Neu- oder Anbauten verunstaltet. Was in diesem Hauptort der Provinz Sondrio zu einem teilweise unansehnlichen Stilmix geführt hat.
Die Porta Bormina, eines von drei erhaltenen Stadttoren. Wo bleibt der Denkmalschutz, wenn man ihn braucht? (Bild: Lukas Mannhart)
Ein alter Palast wurde hingegen erfreulich akkurat restauriert und sollte bei einem Besuch im Veltlin unbedingt besichtigt werden: der im 17. Jahrhundert erbaute Palazzo Salis.
Der Palazzo Salis wirkt von aussen eher unscheinbar. (Bild: Lukas Mannhart)
Einst Herrschersitz der aus dem Graubünden stammenden Familie Salis, ist der Palazzo heute ein Museum, das sich mit der Geschichte des Veltlins befasst.
Die Hauptsehenswürdigkeit dabei sind die faszinierenden, optische Illusionen erzeugenden Deckengemälde in den diversen Prunksälen.
Im Saloncello (Kleinsaal) des Palazzo Salis. Die riesig wirkende Kuppel ist aufgemalt. (Bild: Lukas Mannhart)
Prächtige Wallfahrtskirche
Wer den Ausgang des Palazzo Salis findet (es hat darin viele bloss aufgemalte Türen, die das Gebäude grösser wirken lassen), sollte die bereits bei der Hinfahrt mit der Bahn von aussen gesehene Kirche Madonna di Tirano besichtigen. Die 1528 geweihte Kirche wurde laut der Legende einem Feigenpflücker von der Jungfrau Maria persönlich in Auftrag gegeben, als Gegenleistung dafür erlöste sie die Stadt Tirano und Umgebung von der Pest.
Die reich verzierte Orgel (17. Jh.) hat über 2000 Pfeifen. (Bild: Lukas Mannhart)
Obschon andere Gebiete zu dieser Zeit auch ohne Kirchenbau vom Schwarzen Tod befreit wurden, verdankt Tirano diesem Umstand eine aussen und innen sehr reich geschmückte Basilika. Neben zahlreichen Fresken und vielen Stuckarbeiten ist dabei die (nicht zu übersehende) Orgel besonders prunkvoll.
So habe ich unerwarteterweise das Städtchen Tirano nach nur einem kurzen Besuch sehr lieb gewonnen. Die Heimreise anzutreten fällt trotzdem nicht schwer. Denn eine bessere Bahnstrecke als die der Berninabahn kenne zumindest ich nicht. Allein die spektakuläre Fahrt bestätigt die alte Regel: Der Weg ist das Ziel.
- Essen: Da sich Otto Normaltourist in Tirano meist nur um den Bahnhof herum aufhält, kann man die Faustregel anwenden, dass die Restaurants besser und preiswerter werden, je weiter man sich davon entfernt. Eine löbliche Ausnahme bildet das Caffè Merizzi, Viale Italia 65.
- Trinken: Den Grappa und andere Liköre der Distillerie Schenatti findet man in praktisch jedem Laden Tiranos. Ungewöhnlich für Italien und den Gaumen ist der Lakritzlikör.
Distillerie Riunite Schenatti & Della Morte, Via Martiri della Libertà 1. - Schlafen: Einfache Zimmer, mitten in der Altstadt gelegen, mit sehr freundlichem Personal bietet das Albergo Gusmeroli, Piazza Cavour 5.