Das Jahr im Zeichen der Zuwanderung: Hauptsache extrem

Es geht nur so. Oder so. Das Dazwischen ist tot. Ein Ausblick auf das politische Jahr 2014, das im Zeichen der Zuwanderung stehen wird.

Abschotten oder öffnen? Die Migration sorgt in der Schweiz für heisse Debatten. (Bild: Nils Fisch)

Es geht nur so. Oder so. Das Dazwischen ist tot. Ein Ausblick auf das politische Jahr 2014, das im Zeichen der Zuwanderung stehen wird.

Der Schwall wird lauter und lauter und drängender und wird sich ein erstes Mal am 9. Februar über die Schweiz ergiessen: Nach all dem Gerede wird die Schweizer Stimmbevölkerung an diesem 9. Februar eine erste Entscheidung in Sachen Zuwanderung treffen – dem Thema in der Schweizer Innenpolitik.

Auf die Masseneinwanderungsinitiative der SVP folgt die knifflige Abstimmung über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf das neue EU-Mitglied Kroatien, danach wird über die Ecopop-Initiative abgestimmt, mit der eine prozentuale Begrenzung der Zuwanderung in die Schweiz in der Verfassung festgeschrieben werden soll.

So oder so

Die Debatte, sie hat längst begonnen. Und sie ist bereits heute derart aufgeheizt, dass Zwischenpositionen kaum mehr möglich sind. Entweder so. Oder so. Sonst lieber gar nicht.

Zum Beweis – und zur Einstimmung auf das Migrations-Jahr 2014 – präsentieren wir hier einige ausgewählte Zitate aus dem abgelaufenen Jahr. Sie zeigen, wie disparat die Meinungen in den gleichen Teilen der Gesellschaft auseinandergehen. Und sie zeigen auch, dass das Thema eigentlich jetzt schon zu gross ist, um es in seiner Gänze zu erfassen und sich vernünftig dazu zu äussern.

Die Meinungsverschiedenheiten, sie beginnen an oberster Stelle. Gleich drei Bundesräte traten zu Beginn des Abstimmungskampfes gegen die Masseneinwanderungsinitiative der SVP vor die Medien. Die Botschaft war klar: Sagt die Bevölkerung Ja, ist die Personenfreizügigkeit Geschichte.

«Die Initiative liefert keine Antworten auf jene Probleme, die mit der gestiegenen Zuwanderung tatsächlich entstanden sind.» – Justizdirektorin Simonetta Sommaruga, Medienkonferenz des Bundesrats, 25.11.2013

Das sieht allerdings nicht der gesamte Bundesrat so. Verteidigungsminister Ueli Maurer hielt in seiner damaligen Funktion als Bundespräsident während der SVP-Delegiertenversammlung eine betont sachliche Rede zur Masseneinwanderungsinitiative seiner Partei (nachdem er zuerst eine kleine Tischbombe gezündet hatte). An seiner Haltung änderte der Auftritt allerdings nichts. Auf die Frage der «Sonntagszeitung», was Maurer jemandem am Bratwurststand sage, der über die Zuwanderung herziehe, sagte er Ende Dezember:

«Dann sag ich ihm, gehen Sie Ja stimmen am 9. Februar!» – Verteidigungsminister Ueli Maurer, «SonntagsZeitung», 22.12.2013

Offene Grenzen

Auch in der Wirtschaft schert die SVP aus. Während die grossen Wirtschaftsverbände kategorisch an der Personenfreizügigkeit festhalten, zweifeln die Wirtschaftsvertreter der Volkspartei die Wirtschaftlichkeit der offenen Grenzen an. Unterstützung erhalten sie dabei ausgerechnet von offiziellen Stellen des Bundes. In den vergangenen Wochen wurde vermehrt Kritik laut, dass die Zahlen zur «Erfolgsgeschichte Personenfreizügigkeit» vielleicht doch nicht so eindeutig sind, wie man das gerne hätte. So ist etwa umstritten, wie stark das Wirtschaftswachstum mit den offenen Grenzen zusammenhängt (ein Beispiel hier).

«Für die Schweizer Unternehmer ist die Personenfreizügigkeit überlebenswichtig.» – Valentin Vogt, Präsident Arbeitgeberverband, «Tages-Anzeiger», 6.12.2013

«Die Schweizer werden ärmer durch die Personenfreizügigkeit.» – SVP-Nationalrat Christoph Blocher, Medienkonferenz der Unternehmer für die Volksinitiative gegen Masseneinwanderung, 19.12.2013

Klar ist: Sollte die Schweiz am 9. Februar Ja zur Initiative der SVP sagen, würde das Verhältnis zur EU neu ausgehandelt werden müssen.

«Ich bin überzeugt: Die EU wird kaum so tun, als sei nichts geschehen.» – Roberto Balzaretti, Schweizer Botschafter bei der EU, «NZZ am Sonntag», 22.12.2013

«Ich und die ganze EU glauben, dass die Schweiz die Konsequenzen einer solchen Entscheidung tragen müsste.» – Richard Jones, EU-Botschafter in der Schweiz, «Tagesschau», 5.12.2013

Neues Kampffeld

Ein neues Kampffeld eröffnet die Initiative der SVP unter den Linken. Zuwanderung, Multikulturalität, Ausländerthemen – die Linke in der Schweiz und Europa befindet sich in diesem Bereich seit Jahren auf einem klaren Kurs. Dass dieser Kurs nicht überall uneingeschränkt gleich goutiert wird, zeigt die Debatte zur Masseneinwanderungsinitiative. Die «Schweiz am Sonntag» hat es kürzlich schön formuliert: «Noch spielt die Solidarität, auf die sich jeder Sozialstaat stützt, nur innerhalb nationaler Grenzen.»

Die folgenden Zitate sind Ausdruck dieser Haltung. Beispiel 1 bezieht sich auf einen Vorschlag des ehemaligen Wirtschaftsministers von Deutschland, Philipp Rösler, der im vergangenen Jahr Jugendliche aus Südeuropa dazu aufrief, in Deutschland eine Lehrstelle anzutreten.

«Der Vorschlag ist eine Ohrfeige für Hunderttausende junge Menschen, die in Deutschland leben und von denen viele nie eine Chance bekommen haben.» – Sahra Wagenknecht, Die Linke, «Welt», 1.7.2013

«Auf die Dauer ist ein freies Migrationsmodell innerhalb Europas schlicht undenkbar, wenn wie heute zwischen den reichen und den armen Gebieten eine Lohndifferenz von 10 zu 1 gilt und ein Gefälle in der Arbeitslosenquote von ebenfalls 10 zu 1.» – Rudolf Strahm, «Schweiz am Sonntag», 15.12.2013

Interessant ist auch, wie ausserhalb der üblichen Kreise über das Thema Zuwanderung gesprochen wird. Beispielsweise unter Literaten. Die beiden extremsten Positionen vertreten im Moment der Niederländer Leon de Winter (als Vertreter des Nationalstaats) und der Österreicher Robert Menasse (als Vertreter eines vereinten Europas).

«Mir hat die Idee, die Autonomie der Nationalstaaten zu beschränken, nie gefallen. Wir sind noch nicht so weit. Wir sind, nach vielen Jahrhunderten der blutigen Auseinandersetzung, immer noch daran, uns aneinander zu gewöhnen.» – Leon de Winter, Tages-Anzeiger, 23.12.2013

Menasse sieht es genau umgekehrt.

«Dahinter versteckt sich das Grundproblem: Der Nationalstaat kann heute kein einziges relevantes gesellschaftliches, politisches und wirtschaftliches Problem mehr alleine lösen. Das sollte man in der Schweiz eigentlich wissen. Wir erleben derzeit das langsame Sterben des Nationalstaats.» – Robert Menasse, Schweiz am Sonntag, 15.12.2013

Widersprüchliche Aussagen

Aus der Schweiz lässt sich Urs Widmer vernehmen – aber mit eher widersprüchlichen Aussagen. In einem aktuellen Interview mit der «Weltwoche» (online nicht verfügbar) sagt er zuerst:

«Die Europafeindlichkeit Ihres Blattes empfinde ich als verbiestert. Europa wird, hoffe ich, friedensstiftend bleiben.» – Urs Widmer, «Weltwoche», 19.12.2013

Um zwei Fragen später auf die Aussage des Journalisten, der Bundesrat rechne mit einer 11-Millionen-Einwohner-Schweiz, Folgendes zu ergänzen:

«Elf Millionen! Wie soll denn das funktionieren? Das ist eine ausweglose Situation, da gibt es keine Lösung. Aber eben, ich verdränge das erfolgreich.» – Urs Widmer, «Weltwoche», 19.12.2013

Zum Schluss: der Engländer. Aber der war ja schon immer etwas speziell. In diesem Fall: speziell europafeindlich. Etwa der Frontmann von «The Who»:

«Ich werde ihnen [den Mitgliedern der Labour-Partei] nie verzeihen, dass so viele meiner Freunde ihren Job verloren haben, deren Lohnforderungen unterboten werden konnten dank dem idiotischen Europagedanken, laut dem alle herkommen dürfen. Dann leben sie zu zehnt in einem Zimmer und arbeiten für polnische Löhne. Ich habe nichts gegen Polen, aber das war ein Fehler, der mich sehr wütend machte. Die Leute, die dafür gehasst werden, sind die Immigranten. Dabei ist ihnen nichts vorzuwerfen.» – Roger Daltrey, Sänger von «The Who», in der «Weltwoche», 19.12.2013.

Lesen Sie mehr zum Thema in der kommenden Wochenausgabe der TagesWoche vom 10. Januar, auf Papier oder in der App der TagesWoche.


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