Wie viele Interviews hat Dieter Forter bereits zum Läufelfingerli gegeben? Er kann sie selbst nicht mehr zählen. Immer wieder hat der Gemeindepräsident von Läufelfingen betont, wie wichtig die Eisenbahn für seine Gemeinde und das gesamte Homburgertal ist. Und damit fürs ganze Baselbiet. Aber hat sein Appell gefruchtet?
Am Sonntag entscheiden die Baselbieter, ob das Läufelfingerli nach 2019 noch bestehen soll. Geht es nach dem Landrat, wird ab 2020 statt dem Zug ein Bus von Sissach über den Hauenstein nach Olten fahren.
Für die Einwohner von Diepflingen, Buckten oder Rümlingen ist der Zug eine Lebensader. Seit 1858 prägt er das Bild des Homburgertals. Und wenn die Diepflinger, Buckter und Rümlinger alleine bestimmen könnten, würden sie ihren Zug aller Voraussicht nach behalten.
«Es ist ein grosser Kampf, gegen den Kanton anzutreten», sagt der Läufelfinger Gemeindepräsident.
Können sie aber nicht. Stimmbürger aus Allschwil, Laufen oder Langenbruck entscheiden mit dem Rest des Kantons an diesem Wochenende über das Schicksal des Läufelfingerli und damit auch über die Zukunft der rund 4000 Baselbieter, die entlang der Zugstrecke leben.
Für die betroffenen Gemeinden ist der Zug ein wichtiger Standortvorteil, wie Gemeindepräsident Forter betont. In Läufelfingen beispielsweise werden derzeit 40 Millionen Franken in eine Überbauung investiert, in der künftig 200 bis 250 Menschen leben sollen. Fällt das Läufelfingerli weg, wäre das ein herber Schlag und ein falsches Zeichen für die Zukunft. «Dann hätte das ganze Tal Mühe sich weiterzuentwickeln», ist Forter überzeugt.
Es liegen anstrengende Tage, Wochen und Monate hinter ihm. «Es ist ein grosser Kampf, gegen den Kanton anzutreten», sagt er denn auch. Und eigentlich dauert der Kampf schon viel länger. «Ich spüre, dass man diesen Zug seit zehn Jahren eigentlich weghaben will.»
Letzte Geldspritze war 2010
Dabei sah es vor gar nicht allzu langer Zeit gut aus für die S9. Da sprach der Landrat 2,8 Millionen Franken, um die Perrons des Läufelfingerli zu erhöhen und behindertengerecht zu machen. Diese Arbeiten wurden 2010 durchgeführt. Nun, sieben Jahre später, ist alles anders: Der Zug rentiere nicht, ein Bus-Ersatz soll her. Egal, dass die letzten Investitionen noch nicht lange her sind, egal, dass die Linie durch die SBB so oder so weiter offengehalten wird, für den Fall, dass die Gleise auf der Linie Sissach–Tecknau–Olten plötzlich verstopft sind.
Genau hier sieht Forter seine grösste Chance: «Die meisten Leute sichern uns ihre Unterstützung zu, weil sie nicht verstehen, weshalb die bestehende Infrastruktur nicht genutzt werden sollte.» Forter ist aber auch klar: «Die mündliche Zusicherung und das Kreuz auf dem Stimmzettel sind zwei paar Schuhe.»
Die Baselbieter Stimmbürger sind schwer einzuschätzen. Gerade kantonale Abstimmungen, bei denen es nur um eine Gemeinde oder einen Bezirk geht, werden oftmals nicht entlang der Parteilinie entschieden. Ein Phänomen, das auch beim Läufelfingerli das Zünglein an der Waage spielen könnte. Einige Beispiele aus der Vergangenheit:
2011 – Subventionen für das Theater Basel. Der Bezirk Arlesheim setzt sich für den erhöhten Baselbieter Anteil ein, der Rest des Kantons sagt Nein.
2012 – Zusammenführung der Bezirksgerichte. Die Bezirke Laufen und Waldenburg wehren sich, werden aber deutlich überstimmt.
2013 – Augusta Raurica. Sissach, Waldenburg und Laufen sagen Nein zum Neubau des Sammlungszentrums. Aber wegen des wuchtigen Ja vom Bezirk Arlesheim wird das Projekt angenommen.
2016 – Eine neue Deponie im Laufental. Im betroffenen Bezirk legen 90 Prozent der Abstimmenden ein Nein in die Urne. Sissach und Waldenburg wollten die Blauener Deponie dennoch durchboxen. Am Ende wird die Vorlage abgelehnt.
Wollen die Baselbieter nicht zusammenstehen?
Fragt man die Baselbieter Staatsarchivarin Regula Nebiker, ob die Solidarität im Baselbiet weniger wurde, bekommt man eine klare Antwort: «Ich denke nicht, dass man eine absteigende Tendenz belegen kann. Meine These ist: Der Kanton Baselland kämpft schon seit seiner Entstehung mit der fehlenden oder schwachen Solidarität unter den Kantonsteilen.»
«Der Zusammenhalt unseres Kantons war wohl immer problematisch», sagt die Staatsarchivarin.
Nebiker betont, dass ihre Analyse persönlich gefärbt sei – sie ist selbst in einer Randregion aufgewachsen und sitzt heute für die SP im Liestaler Stadtrat. Dennoch kann sie historische Gründe für ihre Schlussfolgerung heranziehen. «Der Zusammenhalt unseres Kantons war wohl immer problematisch – dies zieht sich wie ein roter Faden durch die Kantonsgeschichte.»
Sowohl kulturell als auch mentalitätsmässig seien sich die Kantonsteile immer fremd gewesen: Die Posamenter aus dem Oberbaselbiet und dem Hinteren Frenkental waren aus wirtschaftlichen Gründen Basel-treu, die katholischen Birsecker konnten mit der Reformationsstadt Basel nicht viel anfangen.
«Die Wiedervereinigungs- und die Fusionsabstimmungen zeigten, dass der Zusammenhalt eigentlich nur bei einer Abgrenzung nach aussen funktioniert», so Nebiker. Eine Taktik, mit der gerade das Laufental Erfahrung hat. Als Teil von Bern fristete der Bezirk ein Enklaven-Dasein, gerade nachdem der Jura ein eigenständiger Kanton wurde. Da war es wichtig, sich zusammenzurotten gegen den grossen Rest.
Das wird auch heute noch kultiviert. «Divide et impera – teile und herrsche» sei die Taktik der Baselbieter Regierung, so Nebiker. Eingeführt vom ehemaligen Finanzdirektor Adrian Ballmer. «Er sprach jeweils von einem ‹mittleren Grad der Unzufriedenheit›, den man pflegen müsse», erzählt die Liestaler Stadträtin. Damit habe er sichergestellt, dass sich niemand ungerecht behandelt fühlt – gleichzeitig aber auch fortschrittliches Denken nicht gefördert. «Das protektionistische Denken, das dadurch entstand, war alles andere als solidarisch», so Nebiker.
Der grosse Schuldige ist für Nebiker aber nicht der ehemalige Finanzdirektor, sondern der Baselbieter Finanzausgleich. Denn hier werde die Unsolidarität des Kantons kultiviert: Wer schlecht wirtschaftet, bekomme Geld von den anderen Gemeinden, die schwarze Zahlen schreiben. «Das ist paradoxerweise zu einer der Ursachen für die Strukturprobleme des Kantons Baselland geworden», so Nebiker.
«Es gibt Auseinandersetzungen, aber das sind keine Zerreissproben für das Baselbiet», so Regierungsrat Lauber.
Gleichzeitig sei der Finanzausgleich ein derart technisches Instrument, dass es für die Bevölkerung nicht fassbar sei. «Deshalb verstehen die Leute auch nicht, dass das Läufelfingerli sehr wohl auch Auswirkungen auf den Speckgürtel oder das Laufental haben wird», so Nebiker. Wenn Läufelfingen seine Standortattraktivität und damit Steuerzahler verliert, sinkt es im Ranking der finanzschwachen Gemeinden weiter nach unten. Und muss von den starken Gemeinden getragen werden.
Der Streit ums liebe Geld
Hat das dazu geführt, dass sich die Regionen nun gegeneinander ausspielen? Fragt man Finanzdirektor Anton Lauber, ob der Finanzausgleich unsolidarisch sei, holt er zu einer weiten Erklärung aus, erzählt von den verschiedenen Ebenen der Zusammenarbeit innerhalb des Kantons, spricht von Zentralisierungsgrad und Handlungsspielraum. Klar gebe es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den Gemeinden.
Dann sagt er: «Aber sie haben nie die Grundsolidarität infrage gestellt. Das sind keine Zerreissproben für das Baselbiet.» Anton Lauber ist der Mann für das grosse Ganze, deshalb unterstützt er als Regierungsrat auch die Abschaffung des Läufelfingerli.
Das liebe Geld hat die Solidarität der Baselbieter schon mehr als einmal auf die Probe gestellt. Zum Beispiel 2011, während des Abstimmungskampfes für die zusätzlichen Theater-Subventionen. Da fand der damalige Gemeindepräsident von Arlesheim, dass er lieber der Stadt Geld für das Theater gebe als dem Oberbaselbiet wieder eine Mehrzweckhalle zu finanzieren. Und 2014 fanden die grossen Unterbaselbieter Gemeinden, dass Schluss sein müsse mit den enormen Zahlungen in die Randregionen.
«Die Regierung wollte uns gegeneinander ausspielen»
Und jetzt also das Läufelfingerli: Mit einem Deckungsgrad von 20 Prozent rentiere der Betrieb nicht mehr, der Landrat rechnet damit, jährlich 840’000 Franken einsparen zu können. Für Dieter Forter eine Milchbüchleinrechnung. «Das ist eine typische Vorlage, bei der man nur sagt, was gespart wird, und nicht, was es kostet.»
Dass für den Busbetrieb neue Haltestellen gebaut werden müssten, sei zum Beispiel nicht mit eingerechnet worden. Forter ist über das politische Vorgehen enttäuscht: «Die Regierung hat auch den Auftrag, dass es allen gleich gut geht. Aber sie hat versucht, einzelne Gemeinden und Bezirke gegeneinander auszuspielen», kritisiert er. Und auch von seiner eigenen Partei im Landrat war Forter so enttäuscht, dass er aus der FDP ausgetreten ist.
Jetzt bleibt Forter nur noch zu hoffen. Denn eine Zukunft ohne Läufelfingerli ist für ihn nur schwer denkbar. «Die Bahn gehört zum Homburgertal wie der Siibedupf zum Baselbiet.» Was werden er und seine Mitstreiter tun, wenn sich die Stimmbürger gegen den Zug entscheiden? «Wir werden kurz traurig sein und dann weiterschauen. Aber daran denke ich erst, wenn es so weit ist.»