In diesen Tagen überqueren wieder Tausende Flüchtlinge das Mittelmeer. Die meisten kommen in der sizilianischen Hafenstadt Pozzallo an.
Bald beginnt die Hochsaison in Pozzallo, diesem gemütlichen kleinen Flecken im Süden Siziliens. Die Cafés haben längst Stühle und Tische auf die Strasse gestellt. Überall werden Eis und Granita, die sizilianische Spezialität aus Halbgefrorenem mit Sirup, verkauft. Auch die Liegestühle am Strand stehen schon für den grossen Ansturm bereit. Doch dieses Jahr wird er wohl von ganz anderer Art sein.
«Viele Gäste haben bereits ihren Urlaub bei uns storniert», berichtet Bürgermeister Luigi Ammatuna. Der Grund ist, dass der Name der Kleinstadt in der Provinz Ragusa nun immer häufiger als Synonym für ein Problem in den Nachrichten vorkommt. Am Hafen von Pozzallo landen inzwischen die meisten Flüchtlinge, die Italien über das Mittelmeer erreichen.
10 Euro Ausfallgebühr pro Migrant
«Das neue Lampedusa» – diesen Beinamen trägt Pozzallo nun wie einen Stempel, der nur schwer wieder abzuwaschen sein wird. Die Mittelmeerinsel Lampedusa war einst Synonym für Massenankünfte von Bootsflüchtlingen, die Inselbevölkerung hoffnungslos überfordert, das inzwischen geschlossene Auffanglager meist überfüllt. Bei der Europawahl stimmten auf Lampedusa, am südlichsten Flecken Siziliens, 17 Prozent für die fremdenfeindliche Lega Nord, die ihr Stammgebiet eigentlich zwischen Mailand und Venedig hat. Lange Zeit blieb der Tourismus aus, der für Lampedusa die wichtigste Einnahmequelle bildet.
Sieht so auch die Zukunft des sizilianischen Hafenstädtchens Pozzallo mit seinen 19’000 Einwohnern aus? «Ich habe vom Staat zehn Euro Ausfallgebühren pro Migrant gefordert, der hier ankommt. Aber ich wurde nicht erhört», sagt Bürgermeister Ammatuna. Auch wenn sich Innenminister Angelino Alfano für kommenden Montag in Pozzallo angekündigt hat, will der Bürgermeister nun persönlich in Rom vorsprechen.
Jetzt schon mehr als 2013
Tausende Schiffsflüchtlinge betreten in Pozzallo erstmals italienischen Boden. Hier und im Hafen von Augusta liefern die fünf Schiffe der italienischen Marine die Menschen ab, die sie auf wackeligen Kähnen weit im Meer, manchmal nahe an der libyschen Küste aufgesammelt haben. Insgesamt kamen seit 1. Januar 2014 53’000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien, mehr als im gesamten Jahr 2013. Beinahe 5000 Menschen waren es allein in den vergangenen Tagen. Die vorerst letzten 209 landeten am Dienstagnachmittag in Pozzallo.
Dabei hat das Auffanglager von Pozzallo, das in einer unscheinbaren Halle am Rand des Hafens liegt, gerade einmal Platz für ein paar Hundert Menschen. In diesen Tagen ist es überfüllt. Polizei und Carabinieri, die die Flüchtlinge von den Schiffen in Bussen begleiten, sind mit der Verteilung der Flüchtlinge überfordert. Erst nach Tagen gelingt es den Behörden, die Menschen in die über das gesamte italienische Staatsgebiet verstreuten provisorischen Lager aufzuteilen.
«Die Migranten sind nicht das Problem, eher hakt es an der Verwaltung», sagt ein Bewohner von Pozzallo.
In den 134 Flüchtlingsunterkünften auf Sizilien waren bis vor kurzem knapp 13’000 Menschen untergebracht. Die Behörden in Sizilien fühlen sich mit der Situation überfordert, auch die Bürgermeister von Palermo und Catania protestierten, man fühle sich von Rom und der EU im Stich gelassen. «Die Lage ist ausser Kontrolle», sagte der Bürgermeister der Hafenstadt Porto Empedocle. «Wir sind nun die erste Anlaufstelle für die Flüchtlinge auf Sizilien», sagt auch Enrico Caruso, der das Bed and Breakfast «Mare Nostrum» in Pozzallo führt. «Aber die Migranten sind nicht das Problem, eher hakt es an der Verwaltung hier in der Stadt.» Die Flüchtlinge würden rasch in andere Auffanglager verteilt, im Ortszentrum bekomme man wenig von ihnen mit.
Immer wieder Tote
Unterdessen gibt es im Meer vor Pozzallo immer wieder Tote. Erst vor Tagen kam es zu einem tragischen Unfall, als ein mit über 100 Menschen besetztes Schlauchboot von einem Tanker im Meer gerettet wurde. Als ein Flüchtling die rettende Leiter zum Tanker hochklettern wollte, verlor er den Halt, stürzte und schlitzte das Schlauchboot auf. Das Boot kenterte. Viele der Flüchtlinge, die meisten von ihnen aus Syrien, Eritrea, dem Sudan und Somalia, können nicht schwimmen. Drei von ihnen ertranken, sechs weitere werden immer noch vermisst.
Manche kommen mit Verbrennungen an, von der Sonne oder den überhitzten Motoren der Schlauchboote. Diejenigen, die die Überfahrt überleben, haben keine guten Nachrichten: «An der libyschen Küste warten Tausende auf die Überfahrt», zitiert die Polizei einen Flüchtling.