Das Reiseland Frankreich hat Angst – vor einem Besucherrückgang

Der Tourismus hatte sich in Frankreich eben erst von den Pariser Terroranschlägen zu erholen begonnen. Die Amokfahrt von Nizza macht nun alle Bemühungen zunichte.

A French gendarme boat patrols waters near the beach two days after an attack by the driver of a heavy truck who ran into a crowd on Bastille Day killing scores and injuring as many on the Promenade des Anglais, in Nice, France, July 16, 2016. REUTERS/Pascal Rossignol

(Bild: PASCAL ROSSIGNOL)

Der Tourismus hatte sich in Frankreich eben erst von den Pariser Terroranschlägen zu erholen begonnen. Die Amokfahrt von Nizza macht nun alle Bemühungen zunichte.

Sogar die Engel sind verstummt. Die Stille in der «Baie des Anges» will so gar nicht zu Nizza passen. Ausgerechnet an der berühmten Strandpromenade hat der Terror zugeschlagen. Das ist sicherlich kein Zufall: Die Promenade des Anglais war dank Klubs, Casinos, legendären Hotels und dem in vielen Filmen verewigten Kiesstrand das eigentliche Wahrzeichen der Stadt, Ausdruck auch ihrer mediterranen Vitalität und Festfreude.

Am Samstag bekannte sich die Terrormiliz IS über ihre Agentur Amak zu dem Anschlag und nannte den Attentäter ihren «Soldaten». Das erstaunte in Nizza niemanden mehr. Nicht nur örtlich, auch zeitlich war die Amokfahrt genau geplant gewesen. Und das nicht nur, weil mit dem 14 Juillet ein nationales Symbol getroffen wurde. Nach dem Ende der Fussball-EM waren noch mehr Ferienreisende als sonst an die Côte d’Azur geströmt, und nach dem Ende des Ramadan reisen die reichen Klienten aus der Golfregion wieder in ihre Villen und Luxushotels entlang der Küste. Am Freitagabend hätte der Weltstar Rihanna in Nizza ein Konzert vor 60’000 Fans geben sollen; dazu begann das bekannte Jazzfestival. Beide Events sind nun abgesagt.

Luxushotel wird zum Notspital

Ein Symbol, das alles sagt über den Zustand Nizzas: Das Luxushotel Negresco, eine der besten Adressen an der «Côte», musste vorübergehend in ein Notspital umfunktioniert werden. Viele Gäste des Hauses sind in aller Hast abgereist. Ähnliche Szenen gab es in den meisten anderen Hotels.

Andere Gäste harren trotzig aus. Sie sagen, man dürfe sich nicht unterkriegen lassen von den Terroristen, sonst hätten sie ihr übles Spiel gewonnen. Aber gerade ausländische Touristen reisen in Scharen ab – namentlich Chinesen und Amerikaner, die auf geopolitische Ereignisse sensibel reagieren. Aber die Russen, die in Nizza traditionell stark vertreten sind, oder die Golf-Araber sind auch nicht mehr bei der Sache. Die europäischen Reiseanbieter bieten ihrerseits Hand, wenn ihre Kunden die Reise abbrechen und nach Hause kehren wollen. Das gilt allerdings nur für Nizza, nicht für andere Reiseorte in Frankreich.

Die ökonomischen Folgen für die Sommersaion Nizzas und darüber hinaus sind kaum abschätzbar. Noch stehen die «Niçois», wie sich die Einwohner nennen, ohnehin unter Schock. Sicher ist nur, ihre glitzernde Stadt ist die zweite Tourismusdestination Frankreichs nach Paris, und 12 Millionen Gäste passieren jährlich den wichtigsten Flughafen zwischen Monaco und Cannes. Jetzt ist erstmals ein französischer Ort ausserhalb von Paris durch einen Massenmord dieser Art getroffen worden.



The sun casts long shadows as people walk on the Promenade des Anglais the day after a truckran into a crowd at high speed killing scores and injuring more who were celebrating the Bastille Day national holiday, in Nice, France, July 15, 2016. REUTERS/Eric Gaillard

Die Anschläge in Frankreich werfen einen Schatten auf die Tourismusbranche im wichtigsten Reiseland Europas. (Bild: ERIC GAILLARD)

Die Hauptstadt leidet selbst noch immer unter den beiden Anschlagsserien von 2015. Die Attentate des 13. November sorgten in den grossen Pariser Hotels zuerst für Einbrüche von bis zu 30 Prozent. Für das laufende Jahr rechnete der Pariser Fremdenverkehr bisher – das heisst vor dem Anschlag in Nizza – mit einem Rückgang von 11 Prozent.

Die französischen Provinzdestinationen hatten sich in diesem Frühling hingegen langsam wieder erholt. Sie gingen bis zum Ende diese Jahres immerhin wieder von einer Umsatzzunahme von einem Prozent aus. Im ganzen Land arbeiten mehr als zwei Millionen Menschen direkt oder indirekt für den Tourismus. Sie haben Frankreich bisher zu dem – mit 85 Millionen Besuchern – wichtigsten Reiseland der Welt gemacht.

Die Erholung des Reisesektors, der fast 8 Prozent an das nationale Bruttoinlandprodukt beisteuert, war umso willkommener, als die Wirtschaft in vielen Belangen in der Krise steckt und unter einer rekordhohen Arbeitslosigkeit von elf Prozent leidet. Der seit Monaten dauernde, bis heute nicht ausgestandene Sozialkonflikt um die Reform des französischen Arbeitsmarktes drückt seinerseits auf die Konjunktur.

Langzeitwirkung befürchtet

Allerdings hielten die Protestdemos kaum Reisende aus dem Ausland ab. Für sie gehören die Bilder faustreckender Demonstranten zum Pariser Stadtbild wie der Eiffelturm. Auch die glimpflich ausgegangene Fussball-EM wirkte auf die Franzosen eher stimulierend. Die Regierung hatte vor wenigen Tagen erst ein Wirtschaftskomitee einberufen, das Ideen und Projekte für die Neulancierung der Reisebranche erarbeiten und umsetzen soll.

In diese vorsichtig optimistische Stimmung platzte die Lastwagen-Attacke auf der Promenade des Anglais. «Jetzt stehen wir wieder vor dem gleichen Scherbenhaufen», meinte der Direktor des Branchenbüros Protourisme, Didier Arino. Er schätzt, dass nicht nur die Hotelbelegung in Nizza um ungefähr 25 Prozent einbrechen dürfte.

Und vielleicht macht die Amokfahrt jetzt alles noch schlimmer. Denn langsam erhält Frankreich das Image eines Landes, wo man auch als Reisender auf der Hut sein sollte. Die internationalen Behörden bezeichnen Frankreich zwar weiterhin als «sichere Destination». Experten fürchten aber den Wiederholungseffekt. «Wir sind nicht im klassischen Terrorismus, bei dem die Wirtschaftsaktivität nach ein paar Monaten wieder zunahm», schätzt Georges Panayotis, Vorsteher der Tourismusberatung MKG. Die Häufung dieser furchtbaren Attacken drohe, «die Touristen doch für einige Zeit abzuhalten».

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