Das Schlimmste ist noch nicht vorbei

Die Pegel sinken, die Situation auf dem Balkan hat sich aber längst nicht entschärft. Fast täglich verlassen Hilfssendungen nach Bosnien, Kroatien und Serbien die Schweiz. Aber auch die Helfer vor Ort stammen teilweise aus der Region. Eine Übersicht von TagesWoche-Leser Sven Lützelschwab.

Evacuees from the Serbian town of Obrenovac are seen lying on beds in shelter hall in Belgrade, May 18, 2014. Two Russian cargo planes carrying food, generators and rescue boats land in Serbia as part of a relief effort after the worst floods in over a ce (Bild: MARKO DJURICA)

Die Pegel sinken, die Situation auf dem Balkan hat sich aber längst nicht entschärft. Fast täglich verlassen Hilfssendungen nach Bosnien, Kroatien und Serbien die Schweiz. Aber auch die Helfer vor Ort stammen teilweise aus der Region. Eine Übersicht von TagesWoche-Leser Sven Lützelschwab.

«Marsal Djokovic» – so lautet der Titel des neusten Blogbeitrags von Vedrana Rudan, einer der bekanntesten Bloggerinnen Kroatiens, in Anspielung auf den ehemaligen Präsidenten Jugoslawiens, «Marsal Josip Broz Tito». Er handelt davon, wie Novak Djokovic auf Twitter die jugoslawische Karte veröffentlicht hatte, in der Hoffnung, dass sich in solchen Notsituationen wie in dieser Flutkatastrophe die mentalen und physischen Grenzen wegwischen lassen.

Die Hoffnung hat sich absolut bestätigt. Aus Sarajevo treffen meist junge Muslime in den im Norden Bosniens, in der Republika Srpska gelegenen, überfluteten Gebieten ein. Sie sind freiwillige Helfer, wie die kroatischen Grenzpolizisten, die jenseits der Sava auf bosnischem Gebiet erste Hilfe leisten. Die Menschen sind vereint in der Hoffnung, den Schaden der Wassermassen möglichst klein zu halten.

Eine der kuriosesten Geschichten liefern zurzeit die Fans des Fussballclubs «Roter Stern Belgrad». Auf ihrem offiziellen Twitter-Account liefern sie Bilder von Helfern, Spendenaufrufen und Dankesreden. Ähnlich wie Anfang der 1990er-Jahre, als die Fans von Roter Stern Belgrad, Partizan Belgrad, Hajduk Split und Dinamo Zagreb an vorderster Front im Bürgerkrieg gegeneinander kämpften, befinden sich die gleichen Gruppierungen wieder an vorderster Front, um zu helfen. Bilder von Nächstenliebe, Aufopferung und Antinationalismus machen die Runde. Zusammen mit kroatischen Spezialeinheiten haben die Delije, eine Fangruppierung von Roter Stern Belgrad, beispielsweise mitgeholfen, im serbischen Ort Obrenovac ca. 20’000 Menschen zu evakuieren (mehr zum Thema auch im Artikel: Die Menschen kämpfen miteinander)

Videoaufnahmen aus Obrenovac:

Helfer aus der Region

Unter den Helfern sind auch viele, die in der Schweiz leben – Antonija Martinovic aus Basel beispielsweise. Sie ist vor einigen Tagen nach Odzak – eine Kleinstadt im Norden Bosniens – gereist und hat Hilfsgüter in ihrem Kombi transportiert. Ihrer Meinung nach sollten die Güter nur direkt in die Hände der Opfer verteilt werden, denn laut Antonija ist weit und breit niemand vom Roten Kreuz zu sehen. Hingegen hätten sich Kriminelle schon an den Gütern bereichert. Scheinbar sind Diebstähle an der Tagesordnung und mittlerweile ist bereits ein Sicherheitsangestellter vor der Sporthalle postiert, die zur Notschlafstelle umfunktioniert wurde. Antonija engagiert sich zusammen mit dem Fussballclub «NK Posavina» aus Basel für die Opfer der Flutkatastrophe (wir berichteten über die Aktion bereits). Am Mittwochabend haben sich verschiedenste kroatische Vereine aus der ganzen Schweiz zum weiteren Vorgehen in Zürich beraten.

Nicht weniger zu besprechen haben die Helfer vor Ort. Auf der kroatischen Seite der Sava, im ostslawonischen Cerna, befindet sich Jurica Katic an einer Sitzung. Er ist von Beginn an mit dabei und hat die Evakuation des Dorfes geleitet. Mittlerweile hilft er in der Sporthalle mit, die Menschen zu versorgen. Er steht immer noch unter Schock darüber, wie schnell der Pegel stieg. Innerhalb einer Stunde lagen viele Häuser schon unter Wasser.

Aufnahmen aus Ostslawonien:

Bedarf besteht an: Wasser, Mundschutz, Handschuhen, Medikamenten und langhaltbaren Nahrungsmitteln

Seit der Pegel der Sava sinkt, bereiten sich die Menschen auf den Zustand nach den Wassermassen vor. In einigen Dörfern ist das Ausmass bereits sichtbar. Der Schlamm gepaart mit dem ganzen Müll, den Kadavern und Fäkalien bereiten den Menschen grosse Sorgen. «Die Aufräumarbeiten», sagt Jurica Katic, «werden die grösste Schlacht sein, die es zu schlagen gilt.» Dafür benötigen die Menschen vor allem viel Wasser, Mundschutz, Handschuhe, Medikamente und langhaltbare Nahrungsmittel wie Konserven.

Der kroatische Gesundheitsminister Rajko Ostojic hat den Epidemie-Notstand ausgerufen. Die kroatische Regierung hat bislang rund 1000 Stellen für den Wiederaufbau ausgeschrieben. Voraussetzungen für die Anstellung sind, dass die Bewerber aus den betroffenen Regionen kommen und arbeitslos gemeldet sind.

Die Angst vor Krankheiten

Goran Begovic, der Ortsvorsteher der Stadt Cerna, denkt nicht ans Verzweifeln. Am Mittwoch erhielt er hochrangigen Besuch vom Trainer der kroatischen Fussballnationalmannschaft, Niko Kovac. Zusammen mit seinem Bruder Robert und dem Stürmerstar Ivica Olic, kamen sie auf Besuch, um den Menschen Hoffnung zu geben. Zudem spendeten sie einen Teil ihrer WM-Prämien in der Höhe von 1 Million Kuna (circa 150’000 Franken). Im ganzen Balkan melden sich Sportler, Musiker und Kulturschaffende und rufen zur Hilfe auf.

Begovic ist zufrieden mit der Arbeit des Roten Kreuzes und überwältigt von der landesweiten Anteilnahme. Täglich kommen Hilfswaren an, und die Menschen sind in der Zwischenzeit alle in Sicherheit. Was auf die Menschen in Cerna zukommt, nachdem die Wassermassen verschwunden sind, kann auch er nicht einschätzen. Es häufen sich die Meldungen von kranken Menschen in Kroatien und in Bosnien, deshalb ist er vor allem darauf bedacht, die toten Tiere und den ganzen Müll zu beseitigen. Die kroatische Regierung hat versprochen mit dem Wiederaufbau zu beginnen, sobald sich die Lage beruhigt hat.

Die bosnische Ortschaft Dobor:

Pegel der Sava steigt in Serbien

In Serbien hingegen warten die Menschen gebannt auf den Freitag, denn da bahnt sich der höchste Pegelstand der Sava an. In Belgrad, der Hauptstadt Serbiens, mündet die Sava in die Donau, und die Menschen südöstlich von Belgrad befürchten weitere Überschwemmungen. Laut Behörden ist Belgrad gewappnet und wird dem höchsten Pegelstand in der Geschichte Südosteuropas standhalten können.

Der Stadt Obrenovac wird das nicht viel nützen, denn der Vorort westlich von Belgrad wurde von den Wassermassen am härtesten getroffen. In Obrenovac sind laut Behörden alle Menschen evakuiert. Wann die Aufräumarbeiten beginnen können, ist jedoch ungewiss.

Hilfskonvoi aus Basel

In Basel versammeln sich derweil Angehörige und andere Betroffene, um Hilfe zu organisieren. Einer dieser Betroffenen ist Boris Smiljic. Er studiert Wirtschaft an der Universität Basel und kümmert sich zusammen mit der Organisation «Botajicka Grupa» um Direkthilfe für Modrica, einer überfluteten Kleinstadt im Norden Bosniens, und die umliegenden Dörfer. Zurzeit steht ein Sattelschlepper im Industriegebiet beim St. Jakob bereit, um eine weitere Lieferung nach Bosnien zu bringen.

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Wer etwas spenden möchte:

Gesucht werden vor allem Gaskocher, Decken, Gummistiefel, Hygieneartikel, Babynahrung und –bekleidung, langhaltbare Nahrung, Medikamente gegen Durchfall, Verbandzeug, Pflaster, Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel, Werkzeuge und ähnliches. Alle weiteren Infos sowie weitere Sattelschlepper-Orte ausserhalb Basels erhalten Sie direkt bei Boris Smiljic unter der Nummer: 076 502 20 81

In Rheinfelden wird Donnerstag und am Freitagabend weiterhin im Klub Domovina an der Ehrlenstrasse 5 gesammelt, um einen Lastwagen voll Hilfsgüter nach Bosnien zu senden. Um Spendenvorankündigung wird gebeten: 076 528 65 26.

Der Serbische Dachverband (SKSS) in der Schweiz sammelt Spenden für die Flutopfer in Serbien und Bosnien.

Freitag, 23. Mai, findet im Singerhaus Basel eine Benefizparty statt. Der Eintritt ist frei wählbar und wird vollumfänglich dem Schweizerischen Roten Kreuz gespendet.

Auch das Rote Kreuz sammelt Spenden für die Flutopfer in Serbien, Bosnien und Kroatien. 

Die Kroatische Gemeinde der Schweiz organisiert ihre Hilfsaktionen auf hrvati.ch

Wer Güter auf direktem Weg in die Flutregion senden will, muss diese beim SRK bestätigen lassen und ein grosses H, für «Humanitär», auf jedes Paket schreiben.

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