Die Verfassung verlangt schon lange Lohngleichheit zwischen Mann und Frau. Weil die Umsetzung nicht vorankommt, will der Bundesrat nun schärfere Massnahmen. Doch der Widerstand aus der Wirtschaft zeigt, wie Verfassungsartikel Papier bleiben, solange sie von Teilen des Establishments nicht akzeptiert werden.
Heute werden gerne Randprobleme auf Verfassungsebene angegangen. So schreibt man etwa die Bekämpfung der sogenannten Ausländerkriminalität in die Verfassung hinein. Und wenn sich menschenfeindlicher Radikalismus nicht so einfach umsetzen lässt, dann droht man mit Durchsetzungsinitiativen. Dabei gäbe es bestehende und flächendeckende Probleme, derer wir uns annehmen könnten – zum Beispiel der Lohndiskriminierung in der Bezahlung für gleiche Leistungen von Frau und Mann.
Soeben hat der Bundesrat die noch immer eklatante Geschlechter-Lohnschere in Erinnerung gerufen und Massnahmen dagegen angekündigt. Und er hat, vertreten von Justizministerin Simonetta Sommaruga, darauf hingewiesen, dass es dabei auch um eine krasse Missachtung unserer Verfassung und Gesetzgebung geht.
Gegen Gott und die Natur
Am 14. Juni 1981 hatte nämlich das Schweizervolk mit 60,3 Prozent Ja-Stimmen den Gleichstellungsartikel gutgeheissen, der heute als Art. 8.3 in der erneuerten Bundesverfassung steht und eigentlich gelten sollte: «Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.»
Es gab natürlich schon damals, 1981, Widerstand mit Parolen, das sei doch Gleichmacherei, Einmischung in die freie Arbeitswelt, es schwäche die Familie, der Staat dürfe gesellschaftlichen Wandel nicht vorantreiben, dieser müsse dem freien Willen überlassen bleiben, allenfalls nötige Korrekturen könnten auch ohne Verfassung herbeigeführt werden.
Auch Blocher war damals dagegen. 1982 erklärte er, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegen die Naturgesetze und die göttliche Ordnung verstosse, beide hätten da klar Über- und Unterordnung vorgesehen. Und 1985 bekämpfte Blocher – allerdings erfolglos und damals noch gegen die eigene SVP-Fraktion – das neue Eherecht, das die Gleichheit von Mann und Frau in der Ehe garantiert.
Das Gesetz zur Gleichstellung ermöglicht individuelle Klagen, stellt aber die Lohngleichheit nicht selber her.
Die 1981 angenommene Verfassungsbestimmung entsprang einem Gegenvorschlag, der nur darum auf den Tisch kam, weil nach zunächst geduldigem Zuwarten 1975 eine Initiative lanciert worden war. Diese wollte aber ausser dem Gleichheitsgrundsatz auch noch eine verbindliche Übergangsfrist von fünf Jahren für seine Verwirklichung in der Verfassung festschreiben. Eine Variante sah acht Jahre vor, wurde aber ebenfalls als zu kurz empfunden. Das war der absehbaren Mehrheit zu viel, weshalb die Initiantinnen ihren Vorschlag zurückzogen.
Es brauchte dann viele Jahre, bis das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann am 24. März 1995 verabschiedet und auf den 1. Januar 1996 in Kraft gesetzt wurde. Das Gesetz ermöglicht individuelle Klagen, stellt aber die Lohngleichheit nicht selber her. Und was die Klagen betrifft: Wer kann es sich schon leisten, gegen seinen Arbeitgeber anzutreten?
Ein Uranliegen des liberalen Bürgertums
In den letzten Tagen reagierte nun die Organisation der Arbeitgeber – erstaunlich und doch nicht erstaunlich – mit einem Aufschrei gegen die bundesrätliche Ankündigung, das Gleichheitsgebot vermehrt durchsetzen zu wollen. Von «unnötigen Zwangsmassnahmen», von «Lohnpolizei» und von «überflüssiger Bürokratie» ist die Rede.
Die Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl hat kein Verständnis für die bundesrätliche Absicht, sie sieht darin kein «bürgerliches» Projekt und findet, dass eine bürgerliche Regierungsmehrheit doch bürgerliche Vorlagen bringen sollte. Dem ist nur entgegenzuhalten: Es wäre nicht nur ein Gerechtigkeitsanliegen, sondern würde auch das «Bürgerliche» stärken, wenn es die Antidiskriminierung zu seiner Sache machte. In seiner Ausgangslage war die Gleichheit ein Uranliegen des liberalen Bürgertums. Hätte man gesagt, dass im gleichen Reformschritt auch das Rentenalter auf 65 egalisiert werden müsste, wäre das für viele nachvollziehbar gewesen.
Wenig Wille zum freiwilligen Dialog
Die Gegner der schärferen Massnahmen gegen Diskriminierung bezweifeln, dass die festgestellte durchschnittliche Lohndifferenz von 19 Prozent überhaupt auf Diskriminierung zurückzuführen sei und nicht auf «objektive Faktoren» wie ungleiche Qualifikation, Verantwortung und Verfügbarkeit. Das Bundesamt für Statistik hat diesem Einwand aber bereits Rechnung getragen und erklärt, dass etwa die Hälfte der Lohndifferenz durchaus damit zu erklären sei, aber noch immer gegen neun Prozent tatsächlich rechtswidrige Diskriminierung seien.
Man kann angesichts der langen Vorgeschichte wirklich nicht sagen, dass sich der Bundesrat nun überstürzt der Problematik angenommen habe. Zudem war 2009 vom Bund und den Sozialpartnern ein freiwilliger «Dialog» für Lohngleichheit lanciert worden. Das brachte aber nicht den erwünschten und nötigen Erfolg, da nur wenige Betriebe mitmachen wollten.
Bescheiden in die Vernehmlassung
Der Bundesrat will jetzt Arbeitgeber mit mindestens 50 Beschäftigten etwa alle drei Jahre zu Analysen der Lohngleichheit der Geschlechter, zu externen Kontrollen und Publikation in ihren Jahresberichten verpflichten. Das ist aber bloss eine Ankündigung. Es wird wieder Zeit vergehen. Die Details sind noch offen. Bis Mitte 2015 soll eine Vernehmlassung ausgearbeitet werden. Dem bescheidenen Vorschlag dürften dabei noch die Zähne, sofern es überhaupt solche gibt, gezogen werden.
Es dürfte auch dem Bundesrat bewusst sein, dass mit der geplanten Regelung keine umfassende Lösung des Problems erreicht wird. Die Linke erinnerte denn auch sogleich daran, dass die Publikationspflicht für Ungleichheit diese nicht beseitige und viel Diskriminierung auch und vielleicht sogar in noch grösserem Mass in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten stattfindet.
Zudem geht es nicht nur um Löhne, es geht auch um Stellen und um den Frauenanteil in den Chefetagen und in bestimmten Branchen. Die Top-Unternehmerin Carolina Müller-Möhl hat im «Tages-Anzeiger» auf die bundesrätliche Ankündigung reagiert und diese zwar grundsätzlich gutgeheissen, aber auf andere Abschnitte der Problematik hingewiesen: «Genauso wichtig sind die Rekrutierung, flexible Arbeitsmodelle, Weiterbildungsmöglichkeiten und Unternehmenskultur.» (Artikel online nicht verfügbar).
Erfolgsinteresse schlägt Ethik
Gleichzeitig lehnt sie eine gewerkschaftliche «Monsterbürokratie» ab, weil sie Klientelismus begünstige. Sie empfiehlt aber die von zwei Frauen geführte und bereits erprobte und mit strikt quantifizierbaren Kriterien arbeitende Edge-Stiftung. Müller-Möhls uneingeschränkter Glaube geht davon aus, dass sich Gleichstellung wirtschaftlich lohne und darum aus Erfolgsinteresse und nicht aufgrund ethischer Haltungen umgesetzt werde. Die nächste Generation würde sich die Arbeitgeber mit den besten Arbeitsbedingungen suchen, und da gehöre eben auch dazu: unterschiedliche Arbeitsmodelle und Kinderkrippen.
Frauen werden noch immer als Puffergrösse verstanden, als blosses Zusatzpotenzial entweder zur Männerarbeit oder zur Ausländerarbeit.
Frauenförderung oder blosse Rücksicht auf die «condition féminine» erscheint nun wegen der drohenden Aufhebung der Personenfreizügigkeit als eine reale Notwendigkeit eigener Art. Das zeigt, dass Frauen zum Teil noch immer als Puffergrösse verstanden werden, das heisst als blosses Zusatzpotenzial entweder zur Männerarbeit oder zur Ausländerarbeit. Es ist sehr zu wünschen, dass die «Ausschöpfung» der weiblichen Ressourcen auch dann noch ein Anliegen ist, wenn die äusseren Restriktionen nicht dazu zwingen.
Zurück zum Anfang: Die Ungleichbehandlung und die Missachtung der Verfassungs- und Gesetzesbeschlüsse sind an sich schon skandalös. Besonders dreist ist nun aber der angemeldete Widerstand gegen die Absicht, dem Missstand verbindlich entgegenzuwirken. Man sieht eben, wie willkürlich, aber umso lauter, Argumente eingesetzt werden. Offenbar ist nicht alles gleichermassen verbindlich, wenn es einmal in unsere Rechtsordnung aufgenommen worden ist. Darauf sollte man achten – und es ändern.