Der Schweizer Alexander Hug ist Vize-Chef der OSZE-Mission in der Ukraine. Im Interview spricht er über die Zuspitzung der Lage vor Ort und die zunehmende Kritik an den OSZE-Beobachtern. Eine Kritik, mit der er gut leben kann.
Die Lage in der Ostukraine entspannt sich nicht. Während die Aussenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine am Dienstagabend ein Ende des Blutvergiessens forderten, zeigt sich die OSZE über die Eskalation der Gewalt im Osten der Ukraine besorgt. «An der Front werden Schützengräben ausgehoben, Brücken gesprengt und Minenfelder gelegt», sagte der stellvertretende Leiter des OSZE-Beobachtereinsatzes Alexander Hug gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Wir haben mit dem Schweizer gesprochen.
Herr Hug, die Kämpfe in der Ostukraine dauern an. Sehen Sie unter den gegebenen Umständen vor Ort überhaupt die Möglichkeit, Ihr Mandat zu erfüllen?
Alexander Hug: Die Situation ist in der Tat sehr schwierig, die Lage im Osten der Ukraine hat sich zugespitzt. Wir sehen eine grössere Anzahl ziviler Opfer sowie eine grössere Anzahl von Verletzten und Toten aufseiten der Kämpfer. Wir beobachten auch den vermehrten Einsatz schwerer Waffen auf beiden Seiten. Und wir sehen das vermehrte Errichten von Minenfeldern. Unsere Patrouillen werden immer wieder in Vorfälle verwickelt – sie werden beschossen, sie werden an Checkpoints nicht durchgelassen. Fast täglich.
Nach den Kämpfen bei Donezk vor zwei Wochen war die Rede davon, das Minsk-II-Abkommen sei gescheitert. Sehen Sie das auch so?
Es ist zu absolut, das so zu sagen. Ich war vor dem Marinka-Vorfall, den Kämpfen in einem Donezker Vorort, in Minsk und habe dort der Arbeitsgruppe «Sicherheit» vorgesessen. Es gab gute Diskussionen zwischen allen Beteiligten. Die Plattform, die die Minsker Vereinbarung bietet, ist wichtig – es ist die einzige, die zur Verfügung steht. Und solange die Parteien sich zumindest unterhalten, besteht Hoffnung.
An welchen Punkten sehen Sie denn Fortschritt? Sicherheit ist es offenkundig nicht.
Fortschritt ist auch die Fähigkeit der OSZE-Mission, weiter aktiv zu sein. Wir sind mit einer robusten Präsenz vor Ort. Unsere Arbeit unterstützt ganz sicher auch die Bemühungen beider Seiten, hier eine friedliche Lösung herbeizuführen. Es liegt aber an den beiden Seiten und nicht an der Spezialmission, das Feuer einzustellen und Waffen abzuziehen. Wir begleiten diese Bemühungen, wir dokumentieren sie.
Glauben Sie denn, dass das Minsk-Abkommen eines Tages voll umgesetzt wird?
Ich bin vorsichtig optimistisch. Man muss optimistisch sein.
Es wurde von Kiew wiederholt eine Änderung des OSZE-Mandates angeregt. Glauben Sie, dass mit dem aktuellen Mandat die Lage wirklich entschärft werden kann?
Wichtig ist, dass das Mandat zwei Hauptkomponenten hat: Die erste ist das Beobachten und Feststellen von Tatsachen und das Berichten darüber. Die zweite ist das Ermöglichen von Dialog. Ich glaube, man muss einschätzen, ob zusätzliche Massnahmen zur Stabilität in der Ukraine beitragen. Wenn das mit Ja beantwortet werden kann, dann sollte man sie in Betracht ziehen.
Stichwort Dialog: Zuletzt ist der Eindruck entstanden, dass das Vertrauen in die OSZE-Mission von vielen Seiten wackelt. Wie sehr wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Es stimmt, dass von vielen Seiten Kritik an uns herangetragen wird, vonseiten der Separatisten, vonseiten Kiews und auch vonseiten Moskaus – was grundsätzlich nichts Schlechtes ist. Wenn wir kritisiert werden, heisst das auch, wir sind unparteiisch. Wir haben vermehrt Waffensysteme beobachtet, die wir vorher noch nicht beobachtet haben; unsere unbemannten Flugzeuge sehen viel, wir haben jetzt Zugang zu Satellitenbildern. Die Tatsache, dass wir mehr sehen, gefällt nicht allen. Aber unser Mandat ist es, unabhängig zu berichten. Das werden wir weiterhin tun. Unser Dialog mit den Separatisten funktioniert nach wie vor gut. Das Gleiche gilt für die ukrainische Seite.
Es wurde eine personelle Ausweitung der OSZE-Beobachtermission angedacht, die Rede war von insgesamt 1000 Mann – reicht das bei einer 500 Kilometer langen Kontaktlinie?
Die Verlängerung des Mandats beinhaltet diese Option. Aber man muss abschätzen, ob mehr Beobachter auch mehr Erkenntnisse bringen. Die Lage, die ich Ihnen geschildert habe, beschränkt uns sehr. Ein Beispiel: Wir haben bis zu 50 Patrouillen unterwegs im Osten der Ukraine, haben aber zuletzt aufgrund der Sicherheitslage reduziert auf 25 oder sogar nur 20 pro Tag. Wenn man hier jetzt mehr Beobachter einsetzen würde, dann führt das nicht notwendiger Weise auch zu besseren Berichten.
«Wir haben diverse Male Personen gesehen, die Insignien der russischen Föderation tragen.»
Eine Dauerfrage in diesem Krieg ist, ob reguläre russische Truppen im Einsatz sind. Was sagen Sie?
Wir haben diverse Male gesehen, dass sich Personen in nicht von der Regierung kontrolliertem Gebiet bewegen, die Insignien der russischen Föderation tragen; wir haben Waffensysteme gesehen, die die Ukraine nicht besitzt; wir haben massive Bewegungen von Material – LKW, Panzer und anderen militärischen Mitteln – von Osten nach Westen gesehen. In Kiew haben wir zwei Personen befragt, die aussagten, dass sie Teil einer aktiven Einheit der russischen Armee waren und auf Rotationsbasis in die Ukraine geschickt wurden. Es ist nicht an uns, Schlussfolgerung zu ziehen – das obliegt den OSZE-Mitgliedsstaaten. Es ist aber wichtig anzufügen, dass diese Beobachtungen von keiner Seite bestritten werden.
Auch nicht von Russland?
Nein. Nicht formell gegenüber uns. Was in den Medien passiert, ist etwas anderes.