Demonstration der Einigkeit gegen Terror

Hunderttausende haben in französischen Städten und anderen Ländern gegen die Pariser Terroranschläge der vergangenen Woche demonstriert. 60 Regierungschefs aus aller Welt demonstrierten untergehakt.

In ganz Frankreich schätzte man die Anzahl Demonstranten am Sonntag auf 3,7 Millionen. (Bild: Ian Langsdon)

Hunderttausende haben in französischen Städten und anderen Ländern gegen die Pariser Terroranschläge der vergangenen Woche demonstriert. 60 Regierungschefs aus aller Welt demonstrierten untergehakt.

Als der Zähler bei 1,5 Millionen Menschen angelangt war, gaben die Agenten des französischen Innenministeriums das Rechnen auf. Ein Menschenmeer wogte von der Place de la République zur Place de la Nation, und das über drei verschiedene Strecken, weil die breiten Boulevards für eine einzigen Umzug zu eng waren. Vorneweg gingen Angehörige der 17 Terroropfer, das heisst der ermordeten Mitarbeiter der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, der erschossenen Geiseln eines jüdischen Supermarktes sowie der dienstleistenden Polizisten. «Je suis Charlie», hiess es überall, aber auch «je suis policier» oder «je suis juif» – ich bin Charlie, ich bin Polizist, ich bin Jude.

Grosse Solidarität auch in der Provinz

Fast noch eindrücklicher waren, gemessen an der Bevölkerungszahl, die Umzüge in der französischen Provinz. In Lyon gingen etwa 300’000 Menschen auf die Strasse – was die bedächtige Rhonestadt überhaupt noch nie erlebt hatte. Aber auch in der bretonischen Hauptstadt Rennes zählte die Polizei 115’000 Kundgebungsteilnehmer. Insgesamt zählte man in Frankreich 3,7 Millionen Demonstranten.

Alles in allem war es eine imposante und sehr emotionale Demonstration der «unité nationale», der nationalen Einheit, die Premierminiser Manuel Valls beschwor. Man spürte die Bestürzung und Betroffenheit der Bürger. Selbst Schulkinder nahmen den allgemeinen Slogan «je suis Charlie» auf oder sangen die Marseillaise.

Eine 26-jährige Franko-Algerierin namens Dalia demonstrierte im islamischen Kopftuch und meinte: «Der Terrorismus hat keine Verbindung mit dem Islam. Meine Religion ist gegen den Terror. Es lebe Frankreich, es lebe die Republik.» Viele Leute hatten Tränen, andere trugen Kerzen oder persönliche Transparente mit trotzigen Aufschriften wie etwa: «Mme pas peur des terroristes» – schon gar nicht Angst vor Terroristen.




(Bild: Laurent Cipriani)

Weltweite Anteilnahme

Das Ausmass der Solidaritätsbekundungen ging aber auch über die Landesgrenzen hinaus. In anderen europäischen Städten wie London fanden kleinere Treffen und Demos in den rotweissblauen Farben Frankreichs statt. Im Überschwang der Gefühle, die viele Umzüge in Frankreich prägten, erklärte Präsident François Hollande gar Paris zur «Hauptstadt der Welt». Mit dem 60-jährigen Sozialisten ging erstmals seit 1990 – damals François Mitterrand gegen eine antisemitische Friedhofschändung – wieder ein französischer Staatschef auf die Strasse.

Hollande führte den Umzug zusammen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an. Arm in Arm gingen an ihrer Seite europäische Spitzenpolitiker wie Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, Matteo Renzi aus Italien oder Rajoy aus Spanien. Mit von der Partie waren auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und der russische Aussenminister Serguei Lawrow, dazu der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Palästinenserchef Mahmud Abbas. Seitens der Schweiz nahm Simonetta Sommaruga teil.

Die Ambivalenz marschierte mit

Bissige Kommentare provozierte die Anwesenheit des ungarischen Premiers Viktor Orban, der nicht als vehementester Verfechter der Meinungspluralität gilt. Unter den acht afrikanischen Staatschefs war aber auch Ali Bongo, der Präsident Gabuns, der missliebige Journalisten ohne Prozess einkerkert. Einer von ihnen, Désiré Enamé war erst Mitte Dezember von Gabun nach Paris geflüchtet und nahm wie Bongo an der «manif» (manifestation, zu Deutsch Demonstration) teil.

Das zeigte nicht nur die Ambivalenz der französischen Diplomatie, sondern auch der Umzüge, an denen französische Politiker aller Couleur teilnahmen. Nur die Rechtsextremistin Marine Le Pen war in Paris Persona non grata, sie demonstrierte im Camargue-Ort Beaucaire, der sich 2014 einen Bürgermeister des Front National gegeben hatte.




(Bild: THIBAULT CAMUS)

Eine «Situation des Krieges»

Vor dem Pariser Trauer- und Solidaritätsmarsch hatte Hollande Vertreter des jüdischen Dachrates Crif im Elysée empfangen. Deren Vorsteher Roger Cukierman erklärte nach den anhaltenden Anschlägen auf französische Juden, der Westen sei in einer «Situation des Krieges». Gleichzeitig versammelte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve seine EU-und US-Kollegen zu Gesprächen zur internationalen Terrorbekämpfung. Wie zur Illustration erfolgte in Deutschland ein Brandanschlag auf die Redaktion der «Hamburger Morgenpost», die wie zuvor Charlie Hebdo Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte.

Am Sonntag zirkulierte auch ein Internetvideo eines der getöteten Attentäter, Ahmedy Coulibaly, der sich zur Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) bekannte. Aus der irakischen Stadt Mossul erfolgte bereits wenige Tage nach dem Anschlag das Echo: «Morgen werden es England und die USA und andere sein», drohte der IS-Prediger Abu Saas al-Ansari in bezug auf die Pariser Anschläge.

Wie eng genau die Bande der Kouachi-Brüder und Coulibalys mit IS und Al Kaida waren, müssen die Ermittlungen zeigen. Eine Grossfahndung nach Coulibalys 26-jähriger Frau Hayat Boumeddiene hat bisher nichts ergeben – sie soll sich nach jüngsten Erkenntnissen am 2. Januar nach Syrien gereist sein.

Nächster Artikel