Demonstration der Ewiggestrigen

Der Ultranationalist Vojislav Seselj hält eine Rede vor seinen Anhängern in Belgrad. Er stilisiert sich zum Sieger über das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und wirft der Regierung vor, das serbische Volk verraten zu haben.

Anhänger des serbischen Ultranationalisten Vojislav Seselj feiern ihr Idol bei der Rückkehr nach Belgrad.

(Bild: Keystone/Darko Vojinovic)

Der Ultranationalist Vojislav Seselj hält eine Rede vor seinen Anhängern in Belgrad. Er stilisiert sich zum Sieger über das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und wirft der Regierung vor, das serbische Volk verraten zu haben.

Auf den ersten Blick könnte es sich um Belgrad in den 1990er Jahren handeln, doch auf dem zweiten Blick wird deutlich, dass dafür zu wenige gekommen sind. Auf dem Platz der Republik haben sich am heutigen Mittag  3000 Anhänger des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Vojislav Seselj versammelt, um die Ankunft ihres Helden zu feiern.

 

Die Rede begann mit den Worten:  «An diesem Ort habe ich versprochen, dass ich das Haager Tribunal besiegen werde. Es hat etwas länger gedauert als erwartet, aber ich habe das Gericht gebrochen.»

Der Ultranationalist Vojislav Seselj durfte vergangenen Mittwoch nach Belgrad zurückkehren, um dort seine Krebserkrankung behandeln zu lassen. Aber um seine Gesundheit scheint es ihm höchstens in zweiter Linie zu gehen: «Ich werde meine Zeit nicht mit einer Behandlung verschwenden. Ich werde alle meine Kräfte für Rache aufbringen», so erklärte er laut serbischen Medien bereits vergangene Woche.

Angeklagt wegen Kriegsverbrechen

Seselj wird vorgeworfen, Anführer mehrerer paramilitärischer Einheiten gewesen zu sein, welche in den jugoslawischen Bürgerkriegen Massaker, Folter und systematische Vergewaltigungen an der nicht serbischen Zivilbevölkerung begingen. In Bosnien-Herzegowina, Kroatien und dem Kosovo wurden diese Einheiten umgangssprachlich als «Seseljianer» bezeichnet.

Vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wird ihm konkret vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. Ziel dieser Vereinigung waren laut Anklageschrift Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Insbesondere soll er den Hass mit seinen ausschweifenden Propagandareden beflügelt haben.

Sein Name wird auch in Verbindung mit Internierungslagern in Vukovar, Bosanski Samac und Zvornik genannt. Problematisch ist, dass Seselj zwar der ideologische Scharfmacher der serbischen Kriegsverbrecher war, man ihm aber schwerlich nachweisen kann, dass er diese auch angeführt habe.

«Schweizer Nutte»

2003 stellte sich Seselj freiwillig dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, mit dem Ziel das Tribunal lächerlich zu machen. Die Schweizer Chefanklägerin Carla del Ponte bezeichnete er als «Schweizer Nutte», was noch als relativ harmloser Ausraster von Seselj gilt.

Er machte aber nicht nur sich selbst zum Affen, sondern erreichte sein Ziel, Zweifel an der Legitimität des Gerichts zu wecken. Dass es nach knapp zwölf Jahren immer noch kein endgültiges Urteil gegen ihn gibt, ist eine der größten Niederlagen für das Tribunal.

Anfangs beobachteten die serbischen Zuschauer Seseljs clowneske Ausführungen noch im Fernsehen, doch je länger der Prozess dauerte, umso weniger Menschen schauten zu. Irgendwann wurde sein Prozess nicht mehr im Fernsehen übertragen, die Serben begannen sich mit anderen Themen zu befassen.

Seselj feiert sich selbst

Nun ist der mutmaßliche Kriegsverbrecher wieder in Belgrad und wird von seinen Anhängern gefeiert. Bei seiner Rede auf dem Platz der Republik in Belgrad betont Seselj, dass er die derzeitige serbische Regierung nicht bis zum Ende der derzeitigen Legislaturperiode ertragen wolle und bereits im nächsten Jahr Neuwahlen erwarte: «Die derzeitige Regierung ist schlecht und tückisch. Sie senken die Löhne und Renten und zerstören Arbeitsplätze», sagte Seselj bei der Demonstration mit dem Titel: «Die Rückkehr des Siegers».

Damit versuchen die rechtsextremen Überbleibsel der einst starken Serbischen Radikalen Partei (SRS) den Unmut über die derzeitigen sozialen Kürzungen in politisches Kapital zu verwandeln. Premierminister Aleksandar Vucic läutete am 1. November eine der umfassendsten Reformprogramme der jüngeren serbischen Geschichte ein.

Die staatlichen Löhne und Renten wurden um 10 Prozent gesenkt. Um bei den Lehrerstellen zu sparen wurden in Serbien die Schulstunden von 45 Minuten auf 30 Minuten verkürzt. Staatunternehmen werden verkauft und im kommenden Jahr sollen noch weit mehr Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden. Fast jeder zweite Beschäftigte in Serbien arbeitet bei Behörden oder Staatsfirmen. Letztere sollen zahlreich privatisiert werden, auch weil die meisten horrende Verluste machen.

Premier ist Ziehkind von Seselj

Der stellvertretende Parteivorsitzende der SRS Nemanja Sarovic nutzte die Veranstaltung um der Regierung Verrat am serbischen Volk vorzuwerfen: «Präsident Tomislav Nikolic und Premierminister Aleksandar Vucic haben alles in ihrer Macht stehende getan, um die heutige Veranstaltung zu verhindern“.

Sowohl der amtierende Präsident, wie auch der Premierminister Serbiens sind politische Ziehkinder Vojislav Seseljs. Als Mitglied der SRS wurde Nikolic 1998 stellvertretender Ministerpräsident unter Slobodan Milosevic und ist Taufpate von Seseljs Enkeln. Vucic wurde zur selben Zeit zum Informationsminister des Milosevic-Regimes, mit der vorrangigen Aufgabe die kritische Presse zu gängeln.

Die Regierung strebt nun in die Europäische Union und möchte ihre Vergangenheit vergessen machen. Da wäre beispielsweise die Rede Premierministers Vucic vom 20. Juli 1995 im serbischen Parlament, in der er verlautbaren ließ: «Für jeden Serben den ihr tötet, töten wir hundert Moslems».

Partei treibt es bunt

Diese Rede hielt Vucic eine Woche nach dem Genozid in Srebrenica. Seine Wortwahl war zudem eine direkte Anspielung auf den Befehl des Nazigenerals Franz Böhme, welcher am 10. Oktober 1941 in Serbien die Erschießung von 50 Zivilisten für jeden verwundeten und 100 Zivilisten für jeden getöteten Wehrmachtsoldaten veranlasste.

Diese Rhetorik lernte der damals junge Vucic bei seinem Mentor Vojislav Seselj, denn er nun nicht einmal mehr begrüßen möchte. Im September 2008 kam es zum Bruch innerhalb der SRS. Aus seiner Zelle in Den Haag heraus, forderte der Parteivorsitzende Seselj gegen die Ratifizierung des EU-Assozierungsabkommens zu stimmen und sich weiterhin an Russland zu orientieren, wogegen sich Wiederstand formierte.

Ein Parteivorsitzender vor dem Kriegsverbrechertribunal, wirtschaftlicher Selbstmord durch die Abschottung von Europa und die Träume von einem Großserbien – vielen in der SRS wurde es zu bunt, weswegen sich Abgeordnete zusammen taten um die Fortschrittspartei zu gründen und für die Ratifizierung des EU-Abkommens zu stimmen.

Der Rest der Ewiggestrigen

An vorderster Front eben der amtierende Präsident Nikolic und der Premierminister Vucic. Seitdem versinkt die SRS zunehmend in der Bedeutungslosigkeit und schaffte es bei den letzten Wahlen nicht ins Parlament. Die konservative und proeuropäische Fortschrittspartei hingegen holte die absolute Mehrheit.  

3000 Menschen die einem ultranationalistischen Propagandisten und mutmaßlichen Kriegsverbrecher zujubeln sind noch der Rest der Ewiggestrigen, die von einem Großserbien träumen und politisch kaum noch eine Rolle spielen. Seseljs Gesicht und seine selbstgerechte Opferpose stehen ikonisch für diese Ewiggestrigen. Seine ehemaligen Kameraden haben sich der EU zugewandt.

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