Den Wolf zieht es ins Baselbiet

Der Wolf wird im Baselbiet erwartet – vielleicht ist er sogar, wie der Luchs, schon da: Experten rechnen jedenfalls damit, dass das Tier in den kommenden Jahren einwandert. Möglicherweise wird es sich sogar in Rudeln ansiedeln. Eine Gefahr für den Menschen gehe von den geschickten Jägern nicht aus, sagen Fachleute.

Fasst der Wolf die Region Basel als Lebensraum ins Auge? (Bild: keystone)

Der Wolf wird im Baselbiet erwartet – vielleicht ist er sogar, wie der Luchs, schon da: Experten rechnen jedenfalls damit, dass das Tier in den kommenden Jahren einwandert. Möglicherweise wird es sich sogar in Rudeln ansiedeln. Eine Gefahr für den Menschen gehe von den geschickten Jägern nicht aus, sagen Fachleute.

Vor rund 20 Jahre sorgte der «Wolf von Hägendorf» schweizweit für Schlagzeilen: Während drei Wochen streifte er im oberen Baselbiet und im Kanton Solothurn umher, ehe er am 15. Mai 1990 in einem Gebiet zwischen dem solothurnischen Hägendorf und Bärenwil bei Langenbruck erschossen wurde. Woher dieser Wolf kam, konnte bis heute nie geklärt werden. Das Auftauchen dieses Tieres blieb ein isoliertes Einzelereignis. Tatsache ist aber, dass sich der Wolf dem Jurabogen nähert.

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Seit 2004 gibt es im französischen Jura, etwas nördlich von Bellegarde, gesicherte Wolfsnachweise. Zufallsbeobachtungen erfolgten im  Jahr 2006 in der Ajoie und in den Jahren 2007 und 2008 im Solothurner Jura. «Solche Zufallsbeobachtungen sind immer mit etwas Vorsicht zu geniessen. Die Beobachter könnten sich auch getäuscht haben», erklärt Urs Tester von Pro Natura Schweiz. Aufgrund des Musters der Beobachtungen sei es aber gut möglich, dass sich in den genannten Jahren ein Wolf im Jurabogen aufgehalten habe: «Jedenfalls würde es mich nicht überraschen, wenn in absehbarer Zeit ein gesicherter Nachweis aus dem Schweizer Jura gemeldet würde.»

Einen Schritt weiter geht Urs Chrétien von der Pro Natura Baselland: «Vielleicht war der Wolf sogar schon hier, aber bloss hat es noch niemand gemerkt.» Immerhin halte sich auch der Luchs schon seit längerer Zeit – zumindest sporadisch – im Kanton Baselland auf. Dies sei den meisten Leuten gar nicht bewusst. Der Grund für diese Heimlichkeit liege darin, dass der Luchs bisher überhaupt keine Probleme verursacht habe. Beim Wolf könnte dies ähnlich ablaufen. Im Baselbiet gebe es nämlich keine unbeaufsichtigten Schafherden, die den Luchs – oder gegebenenfalls eben auch den Wolf – in Versuchung führen könnten.

Joanna Schönenberger vom WWF Schweiz erklärt anhand eines Beispiels, wie anpassungsfähig und vorsichtig Wölfe sind. In den italienischen Abruzzen habe es vor längerer Zeit einmal einen der dort seltenen Schneefälle gegeben. Erst dann habe man dort festgestellt, dass sich durch die Dörfer Wolfsspuren zogen. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten die dortigen Bewohner noch gar nie bemerkt gehabt, dass die Wölfe so nahe an ihre Siedlungen kamen.

Könnten sich Wölfe hier gar auf Dauer niederlassen?

«Auch im Kanton Baselland können und werden Wölfe auftauchen», erklärt Reinhard Schnidrig vom Bundesamt für Umwelt (BAFU). Der Wolf sei sehr anpassungsfähig und komme gut mit der heutigen Kulturlandschaft zurecht. Er brauche ruhige, abgelegene Gebiete (Wälder, Tobel) für die Fortpflanzung und genügend Nahrung (Wildhuftiere). Beide Voraussetzungen seien im Baselbiet vorhanden. Nach Ansicht von Reinhard Schnidrig wird sich der Wolf in der Schweiz in den Alpen, Voralpen und im Jurabogen bestandesbildend – also mit Rudel und Fortpflanzung – verbreiten. Zudem sei es auch im Mittelland möglich, dass einzelne durchwandernde Wölfe bis vor die Tore der Städte auftauchen werden.

Auch Urs Tester von der Pro Natura kann sich vorstellen, dass der Wolf in den Kanton Baselland einwandern wird. «Einzelne Wölfe aus den Wolfsrudeln in Italien und in Frankreich werden dem Alpenbogen entlang nach Osten und dem Jurabogen entlang nach Norden wandern. Sie werden dabei auch die Waldgebiete des Baselbieter Juras durchqueren.» Wann dies geschehe und ob diese Wölfe dann das Gebiet auch als dauernden Lebensraum nutzen werden, sei schwer abzuschätzen. Es gebe aber im Raum Baselland Gebiete, die als solche Wolfshabitate in Frage kämen. Kristina Vogt von der Fachstelle Kora sagt: «Der Jura bietet einen guten Lebensraum für den Luchs und würde auch den  Ansprüchen des Wolfes genügen.» Für Ignaz Bloch, Leiter des Veterinär-, Jagd- und Fischereiwesens im Kanton Baselland, kommen als mögliche Wolfshabitate im Baselbiet vorallem der Passwang sowie das Belchen- und Blauengebiet in Frage.

Das Problem von möglichen Störungen

Für Pascal Cueni,  Präsident von Jagd Baselland, steht fest, dass die dichtbesiedelte Landschaft des Mittellandes dem Wolf keinen geeigneten Lebensraum biete. Grundsätzlich sollen seiner Ansicht nach aber auch Grossraubtiere im Baselbiet Platz haben, falls sie von selber kommen und keine anderen wildlebenden Tiere in ihrem Bestand gefährden.

Nach Ansicht von Joanna Schönenberger vom WWF Schweiz könnte das reichliche Angebot an Beutetieren wie Reh und jungen Hirschen dafür sprechen, dass sich der Wolf im Baselbiet heimisch fühlen könnte. Auch sie verweist aber auf das Problem der möglichen Störungen, die in der Nähe von urbanisierten Gegenden fast zwangsläufig auftreten. Sie hält fest: «Wie fast immer ist weniger der Platz in den Wäldern, als vielmehr der Platz in den Köpfen der Leute das Problem.»

Der letzte Baselbieter Wolf wurde 1807 erschossen

Der Bündner Forstingenieur Tom Etter hat vor 20 Jahren in einer ETH-Diplomarbeit die Ausrottungsgeschichte des Wolfes in der Schweiz untersucht. Der früheste Eintrag für das Gebiet des Kantons Baselland stammt aus dem Jahre 1725: «Bauern wollen kein Wolfsgeld mehr zahlen.» Dies kann so gedeutet werden, dass Wölfe um diese Zeit nicht mehr als Bedrohung empfunden wurden. Vermutlich im Jahre 1807 wurden bei Sissach zwei Wölfe erlegt. Bis ins Jahr 1834 sind verschiedene Wolfsjagden belegt. Eine allerletzte entsprechende Meldung stammt aus dem Jahre 1867.

Wie Markus Ramseier von der Flurnamenforschung Baselland erklärt, gibt es im Baselbiet ein paar Dutzend Flurnamen, welche das einstige Vorkommen dieses Wildtieres in allen fünf Bezirken belegen. Dies macht deutlich, dass der Wolf früher im ganzen Baselbiet verbreitet war. Als ein paar Beispiele unter vielen seien erwähnt: Wolfstigi (Gelterkinden), Wolfsgraben (Itingen), Wolfhag (Arlesheim), Wolfgalgen (Kilchberg), Wolfsgruebe (Füllinsdorf), Wolfsholden (Liestal). Die Bezeichnungen deuten oft auf die damals wenig zimperlichen Jagdmethoden hin. Zum Einsatz gelangten unter anderem mit Ködern und Reisig bedeckte Wolfsgruben, spezielle Fangnetze, aber auch Galgen, an denen die erlegten Wölfe aufgehängt wurden.

Wieviel Fläche benötigen Wölfe?

Gemäss Auskunft von Urs Breitenmoser von der Fachstelle Kora Schweiz (Koordinierte Forschungsprojekte zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz) beträgt die Grösse eines Familien-Wohngebietes von Wölfen in den Südwestalpen rund 200 bis 400 Quadratkilometer.

Zum Vergleich: Die Wälder im Kanton Baselland bedecken eine Fläche von rund 220 Quadratkilometer. Ein Rudel im Gebiet der Südwestalpen umfasst im Mittel 4,4 Tiere. Rudel in Mittel- und Südeuropa sind tendenziell eben eher klein. Die Streifgebiete von Einzelwölfen betragen rund 50 Quadratkilometer bis mehrere hundert Quadratkilometer. Bei den jungen Männchen, die jetzt in der Schweiz auftauchen (sogenannte Rover) sind das nur temporäre Wohngebiete. Diese Tiere können über riesige Flächen streifen. Siedlungen und Verkehrswege stellen für den Wolf grundsätzlich kein Wanderhindernis dar.

Sind Wölfe gefährlich?

Der Wolf ist ein sich sehr heimlich verhaltendes Tier, welches dem Menschen grundsätzlich ausweicht. Trotzdem kann man nicht zu 100 Prozent ausschliessen, dass es unter Umständen zu einem Zwischenfall mit einem Menschen kommen könnte. Urs Breitenmoser von der Fachstelle Kora weist darauf hin, dass es einige wenige solche belegte Fälle gebe. So gehe aus verschiedenen zuverlässigen Quellen hervor, dass eine Frau in Alaska und ein Mann in Kanada von einem Wolf getötet worden seien. Zwar kämen derartige Ereignisse extrem selten vor; grundsätzlich unmöglich seien sie aber dennoch nicht.

Quellen

Artikelgeschichte

3.1.2012, 17.05 Uhr: Lead überarbeitet, Video eingebunden

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