Die Übergangsregierung in Ägypten hat den Ausnahmezustand verlängert und die Gesetze verschärft. Die Reaktionen auf die jüngste Gewalt erinnern an die Herrschaft von Hosni Mubarak. Proteste dagegen brauchen heute Mut wie bei der Revolution 2011.
Über 3000 Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi sind in den vergangenen Wochen allein in Kairo verhaftet worden. Oft kam die Polizei überfallartig im Morgengrauen, brach in Wohnungen ein, obwohl die Gesuchten keinen Widerstand leisteten.
Nach der Verhaftung eines Anwaltes für Arbeitsrecht und eines bekannten Journalisten – beide regierungskritisch – sowie der Polizeirazzia in einem Büro der Jugendorganisation «6. April», befürchten Menschenrechtsorganisationen eine Ausweitung des gefährdeten Kreises. Das sei eine klare Botschaft der Militärführung an die Revolutionsjugend, man könne mit ihr dasselbe tun wie mit den Muslimbrüdern, befand Rashid Hammouda, ein in London lebender Politologe in einer ägyptischen Tageszeitung.
Die Polizei fühlt sich unantastbar
In der Bevölkerung ist wieder viel Lob für die Polizei und viel Nostalgie für die «Stabilität» in der Mubarak-Ära zu hören. Tatsächlich fühlt sich die Polizei zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren wieder in einer unantastbaren Position: Wer ihre Aktionen kritisiert, gilt als Verräter. Menschenrechtsorganisationen nennen den Gewaltmissbrauch der letzten Wochen – etwa 1000 Menschen kamen ums Leben – schlimmer als in den letzten Mubarak-Jahren, als Beschwerden wenigstens hin und wieder untersucht wurden.
An der Spitze des Innenministeriums steht mit Mohammed Ibrahim ein Mann, der bekannt ist für seine eiserne Hand. Wenn er «aufräumt» – etwa auch 2005 mit einem Flüchtlingslager von Sudanesen – dann gibt es immer viele Tote wie jetzt bei der brutalen Auflösung der Pro-Mursi-Protestcamps Mitte August.
Seit dem Bombenanschlag auf den Konvoi des Innenministers ziehen manche Analysten die ersten Parallelen zu den führen 90-er Jahren; nicht nur wegen der Art des Anschlages sondern vor allem wegen der «fatalen Denkfehler» von damals. Mit Generalisierungen, falschen Stereotypen, einseitigen Medien und einer Politisierung der Religion sei die Basis für einen staatlichen Anti-Terror-Diskurs geschaffen worden, der zur Rechtfertigung diente, um den Ausnahmezustand zu verlängern, den Polizei und andere Sicherheitsorgane als selbstverständlich ansahen, warnte Ziad Akl vom Kairoer al-Ahram Zentrum für Strategieforschung in einer Kolumne nur Tage bevor der Übergangspräsident die Verlängerung des Ausnahmezustandes um zwei Monate bekannt gegeben hatte.
Neue Gesetze und Polizeivollmachten
Um arbiträre Restriktionen gegen Regimekritiker durchzusetzen, habe das Justizministerium zwei neue Gesetze mit einer weitgefassten, unklaren Definition von Terror ausgearbeitet, unter die praktisch jeder Protest falle, hält das Arabische Netzwerk für Menschenrechte (ANHRI) fest. Weil es zur Zeit kein Parlament gibt, hat die Regierung auch gesetzgeberische Befugnisse. Das sei eine Umkehr der Errungenschaften der Revolution von 2011 und zeige die Absicht des Staates, Terrorismus zu benützen, um die Menschen zum Schweigen zu bringen und zum Polizeistaat zurückzukehren, kritisiert ANHRI.
Die Regierung hat zudem die Untersuchungshaft für schwere Anschuldigungen von 15 auf 45 Tage ausgedehnt und das Justizministerium den privaten Sicherheitsdiensten an den Universitäten Polizeivollmachten übertragen. Exponenten der Übergangsregierung, vor allem liberale Minister, betonten dagegen immer wieder, dass es keine Rückkehr zu einem Polizeistaat gebe, aber es gelte die Gefahr durch die Muslimbrüder zu bannen.
In der Übergangsregierung sitzen jetzt wieder viele bekannte Gesichter aus der Mubarak-Ära.
Niemand bestreitet, dass die Massendemonstrationen vom 30. Juni und die Entmachtung von Präsident Mursi, massgeblich von Mubarak-Loyalisten, Geheimdiensten und der Armee – gern als «tiefen Staat» bezeichnet – getrieben waren. Diese Säulen der Macht waren mit der Revolution nicht wirklich eingebrochen. Ihre Mitglieder haben sich zurückgehalten und auf die Möglichkeit einer Rückkehr gewartet.
In der Übergangsregierung sitzen jetzt wieder viele bekannte Gesichter aus der Mubarak-Ära, eine Ministerin gehörte sogar der Führung der damaligen Regierungspartei an. Auch die Mehrheit der Provinzgouverneure stammt wie in alten Zeiten wieder aus Polizei und Militär und die engsten Verbündeten und Geldgeber sind die autoritär regierten Golfmonarchien, vor allem Saudi-Arabien. Der neuen Allianz nach dem Mursi-Sturz gehören auch die Business-Eliten und ein grosser Teil der Politiker an, die sich nach der Revolution von 2011 etabliert hatten.
Sisi als Kopf der neuen Allianz
Kopf dieser Allianz ist Armeechef Abdel Fattah al-Sisi. Sein Porträt prangt auf Plakatwänden, Schulranzen und Süssigkeiten. Bereits ist eine heftige Diskussion über seine mögliche Präsidentschaftskandidatur im Gang und eine Unterschriftenkampange, um ihn dazu zu bewegen, schon lanciert. Da passt die provisorische Freilassung des 2011 gestürzten Hosni Mubarak ins Bild. Er hatte das Glück, dass sämtliche staatlichen Institutionen hinter ihm standen und halfen, Beweise für seine Verbrechen zu vernichten oder zu verstecken, während bei Mursi das Gegenteil der Fall ist.
Der ganze Staatsapparat arbeitet gegen ihn und die Muslimbrüder. Man stehe wieder ganz am Anfang, hat Ahmed Maher von der Jugendbewegung «6. April» resümiert. Sie war eine der treibenden Kräfte der Revolution von 2011 und führt auch jetzt die ersten, zaghaften Proteste gegen die Verlängerung des Ausnahmezustandes und willkürliche Verhaftungen an. Dazu braucht es in diesen Tagen ebenso viel Mut wie im Januar 2011.