Der Besuch der alten Dame

Am Freitag landete nach zwanzig Stunden Flug das grösste Flugzeug der Welt, die Antonov 225, auf dem Euroairport. Zahlreiche Schaulustige beobachteten, wie der Koloss vom Himmel stieg.

Auf den Fersen von Mrija. Zum Fotografieren wurden alle Utensilien verwendet. (Bild: Livio Marc Stöckli)

Am Freitag landete nach zwanzig Stunden Flug das grösste Flugzeug der Welt, die Antonov 225, auf dem Euroairport. Zahlreiche Schaulustige beobachteten, wie der Koloss vom Himmel stieg.

Unter starkem Dröhnen drehen sich Köpfe gegen Norden, Augen eilen an die Sucher der Kameras, Gespräche reissen mittendrin. Einige Münder bleiben halboffen stehen. Dann sieht man, wie von Norden her, fern und nur sehr schemenhaft, ein Ungetüm den Euroairport ansteuert. Sie dreht ab, ein schwerer grauer Vogel, schwebt schief vor den Wolken vorbei und wirkt irgendwie schüchtern, als hätte man sie ertappt. «Mrija» bleibt in den Lüften und verschwindet, woher sie gekommen ist, hinter den elsässischen Hügeln. Ein erstes Mal werden die Finger an den Abzügen wieder ruhig.

Zwei Stunden früher an einem Freitagnachmittag in der Ankunftshalle. Der übliche Flughafenkaffeeduft, beissend und warm. Brötchen zum Runterwürgen prädestiniert. Alle möglichen Düfte – sogar die Wände scheinen parfümiert.

Das Zittern des Abzugfingers

Vivienne Gaskell kämpft sich durch die Traube von Flugzeug-Paparazzi und Journalisten. Auch einige, es war der grösste Anteil, Swissport-Mitarbeiter sind erschienen. Alle warten sie nur auf die Frau mit der blauen Bluse. Auf sie und die Bewilligung, den Landeanflug der Antonov 225 vom Rollfeld aus beobachten zu dürfen. Energisch wendet sie sich an die Medienleute, gibt zackig den Tarif durch, dass sie niemanden in den Weiten der Landebahnwildnis suchen wolle und doch «s’il vous plaît» die Leute nicht davonzurennen hätten. Ach ja, die Maschine komme frühestens in zwei Stunden, so gegen 18.05 Uhr.

An einem solchen Tag gibt Vivienne Gaskell, Leiterin der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit des Euroairports, Geduld wenig Platz im Programm. «Wann kommt sie dann endlich? Wir werden hier schon nervös», fragt keine fünf Minuten später ein Aviatikbegeisterter mit Playboybunny-Stecker im Ohr, und fuchtelt nebenbei an seinem riesigen Zoomobjektiv rum. Vivienne Gaskell hebt den Blick kaum von ihren Unterlagen, lässt aber erkennen, dass sie selbst das ganze Szenario um ein Flugzeug überhaupt nicht gebraucht hätte. Scharf meint sie nur: «Je vous demande d’être patient, ich kann nichts für Sie tun im Moment.»

Flugzeug-Safari am Euroairport

Als sie zwei Stunden später dann doch etwas tun kann, tut sie das sehr schnell. Badge bereit, Schutzweste an und durch die obligatorische Gepäckkontrolle zur Landebahn, alles separé versteht sich. Dennoch alles mühsam, wie halt generell am Flughafen. Dann donnert der Bus kreuz und quer über die Landebahnen, ein wenig Ferienstimmung unter den ungefähr 30 Besuchern kommt auf. Die fleissigeren Aviatiker sind bereits auf Flugzeugsafari – Kamera fester an die Busfenster geklebt und gierig nach Augenfrass wirken sie ein wenig wie Wespen am Fenster.

Vivienne Gaskell treibt die Leute aus dem Bus, klemmt sie ein zwischen zwei Linien auf dem Rollfeld. Kameras werden ausgefahren, Objektive ein letztes Mal geputzt. Der Abzugfinger gedehnt, nervös in die Sonne geblinzelt. Dann fliegt die Antonov 225, die ukrainische Grossmutter (Babusya) Mrija, unweit einer tiefgrauen Wolke über den Euroairport. Sie meldet sich an, brüllt vom Himmel herunter, wie ein Raubvogel, der seine Beute ausspäht. Irgendwoher kommt ein Jauchzer, wahrscheinlich vom Mann mit dem Playboy-Stecker – er dürfte lange auf diesen Augenblick gewartet haben.

Ein Elefant, der vom Himmel fällt

Eine Viertelstunde später erscheint die Antonov ein zweites Mal am Firmament, definitiv nun. Sie scheint genug zu haben vom Flanieren in den Lüften. Sie legt nun von Süden her an, scheint, als könnte sie die kleineren Flugzeuge im Landeanflug nur so verschlucken. Das Fahrwerk wird ausgefahren, sieben Reifen auf jeder Seite. Dazu drei Turbinen an beiden Flügeln. Pure sowjetische Kraft. Pure sowjetische Machtdemonstration – aber im Kalten Krieg, der Bauzeit der Antonov 225, ging es ja um Muskeln.

Als die An-225 um 18.18 Uhr auf dem Euroairport aufsetzt, frisst sie beinahe die Landebahn. Starker Bremsrauch quillt in die Luft, der Geruch von Gummi beisst in der Nase. Dazu Kerosin, Urlaubsduft. In diesem Moment wird bewusst, wie ungestört vom Rollfeld aus alle Himmelsrichtungen gleichzeitig beobachtet werden können. Wie ungestört hier alles wirkt. Blautöne ringsum, mal dunkel, mal hell. Ein wenig Sonne schimmert noch im Westen. Die grünen Hügel liegen ruhig und schauen sich das Spektakel an. Irgendwo düst ein Follow-Me-Car herum, ein Easyjet hebt ab und eine Meute Fotografen knipst sich die Finger wund.

Wiederum eine halbe Stunde später rollt die Antonov, die von Miniatur-Fahrzeugen begleitet wird, über das Rollfeld auf ihren Parkplatz. Die alte Dame ist zu Besuch. Die ukrainischen Landesfarben, Gelb für die Kornfelder, Blau für die Weiten des Himmels, prangen an ihren Flügeln und am Bug, der sich dann langsam öffnet. Die Crew befördert Gerüste hinaus, die französische Gendarmerie drängt die Schaulustigen zurück und der Kommandant brüllt durch den Lärm, er wolle jetzt keine Journalisten mehr nahe des Flugzeugs sehen. Dabei sind die Journalisten nur noch schwer auszumachen – in gelben Westen drängt sich das halbe Personal des Euroairports um die Maschine. Wie Angehörige eines Kultes starren sie in den riesigen Innenraum der Antonov, wo winzige Männlein beginnen, die Fracht zu entladen. Vivienne Gaskell versucht unterdessen, zwischen der Gendarmerie und den Journalisten zu vermitteln.

Ukrainisch durch und durch

Am Rande, wo keiner irgendetwas Wichtiges erwartet, sitzt auf einem Metallpfeiler Anton Kulbaka, der Flugmanager der Antonov 225. Noch keine dreissig ist er, der junge Ukrainer, der sich gleich als Anton vorstellt und nebst den Piloten, die sich bereits zum Hotel verzogen haben, als einziger eine Uniform trägt. 21 Leute seien an Bord des Ungetüms, allesamt aus der Ukraine. «Acht Piloten hat der Flieger. Dazu elf Techniker und zwei Flugmanager», sagt er und wirkt erschöpft. 20 Stunden war die Antonov unterwegs. Vom südkoreanischen Incheon aus über Almaty in Kasachstan und das aserbaidschanische Baku nach Basel. Bereits am Samstag um 10 Uhr soll es weiter gehen nach Leipzig.

Die Flugfrequenz ist hoch, meint Anton. «Als Angestellte der Antonov Company arbeitet man in Schichten. Die Piloten sind jeweils einen Monat im Einsatz, die restliche Crew zwei Monate. In dieser Zeit reist man durch die Welt, ist weg von zuhause.» Anton sagt das zwar voller Stolz, doch irgendwie scheint der junge Ukrainer, der zuschaut wie die restliche Crew Stück für Stück undefinierbarer Gerüste aus dem Flugzeug schleppt, einsam und eingeklemmt zwischen zahlreichen Flugstunden.

Mit der Antonov 225 ist Anton erst das zweite Mal unterwegs, obwohl er schon zwei Jahre für das Unternehmen arbeite. Die grösste Maschine sei nicht mehr so oft im Einsatz, mehrheitlich werde die kleinere Version, die vierstrahlige Antonov 124 für Transporte gebraucht. «Mrija kommt zum Zug, wenn die Fracht in einem Stück transportiert werden muss», sagt er – und spricht von der Maschine wie von der geliebten Grossmutter.

Ruhiger Schlaf und Startbahn-Rollen

Aus dem Getümmel der gelben Westen taucht plötzlich wieder Vivienne Gaskell auf und treibt die Journalisten zurück in den Bus. Sie wolle jetzt Schluss machen, «s’il vous plaît». Der Bus füllt sich, die Knipser haften sich wieder an die Scheiben und nehmen ein letztes Augenmass der alten Dame.

Über den Euroairport senkt sich langsam die Dämmerung. Swissport-Mitarbeiter stehen noch verstreut um den Flieger, im Halbdunkel leuchten ihre gelben Westen. Im Rumpf von Mrija gehen Lichter an, die Frachtentladung wird noch eine Weile dauern. Während der Bus zurück zum Terminal fährt, verschwindet Anton wieder in der Maschine. Ein Spektakel ist die Maschine für ihn schon lange nicht mehr.

Der Mann mit dem Playboy-Ohrstecker zeigt im Bus seine Bilder rum und kichert. Für ihn ging ein Traum in Erfüllung. Er wird noch lange wach liegen, über den Kerosingeruch sinnieren, über das Geräusch der aufschlagenden Reifen, den Rauch und das unglaubliche Donnern der Triebwerke. Dann wird er einschlafen. Am nächsten Morgen, wenn der Mann gemütlich mit Kaffee und Gipfeli seine Bilder betrachtet, sitzt Flugmanager Anton Kulbaka bereits wieder in der Maschine. Der Vogel wird sich mühselig wieder von der Rollbahn heben und den nächsten Flughafen ansteuern, um von erneutem Blitzgewitter in Empfang genommen zu werden.

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