Der Bürgerkrieg hilft den IS-Dschihadisten

Vier Jahre nach dem Beginn der libyschen Revolution in Benghazi ist das Land mit zwei rivalisierenden Regierungen und Parlamenten praktisch unregierbar. In diesem Machtvakuum gewinnt der Islamische Staat an Stärke, wie er mit der Ermordung von 21 ägyptischen Kopten demonstrierte.

Im Gegensatz zum letzten Jahr ist heute kaum jemand mehr in Feierlaune in Libyen: Die Auswirkungen von Krieg und Gewalt treffen die Menschen im ganzen Land hart. (Archivbild, Benghazi, 17. February 2014) (Bild: SABRI ELMHEDWI)

Vier Jahre nach dem Beginn der libyschen Revolution in Benghazi ist das Land mit zwei rivalisierenden Regierungen und Parlamenten praktisch unregierbar. In diesem Machtvakuum gewinnt der Islamische Staat an Stärke, wie er mit der Ermordung von 21 ägyptischen Kopten demonstrierte.

Youssef hat das Video mit den Bildern von den ersten Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei im Zentrum von Benghazi von seinem Mobiltelefon gelöscht, das er am 15. Februar 2011 dem Fernsehsender Al-Jazeera geschickt hatte. Die überraschenden Proteste von Menschenrechtsaktivsten waren damals der Auslöser für die Revolution des 17. Februar gegen die Gaddhafi-Diktatur.

Youssef war ein stolzer Revolutionär der ersten Stunde. Heute ist er ernüchtert und leidet unter den Folgen der Bürgerkriegswirren. Er hält sich aus allem heraus und ist froh, dass die militärischen Auseinandersetzungen in Benghazi sein Wohngebiet noch nicht erreicht haben.

Auch von den Feierlichkeiten vom 17. Februar will er nichts wissen. Gefeiert werden soll dafür in Tripolis, wo die Gegenregierung auf dem Märtyrer-Platz einen Anlass organisiert hat, der jetzt von dem Mord an 21 ägyptischen Kopten überschattet wird.

Kriegsfolgen für alle spürbar

In Feierlaune ist ohnehin kaum ein Libyer. Die Auswirkungen von Krieg und Gewalt treffen die Menschen im ganzen Land hart. Es fehlt an allem. In mehreren Städten gibt es Versorgungsengpässe bei Öl und Strom, die auch das komplizierte Wassersystem tangieren.

In Tripolis fällt die Elektrizität bis zu acht Stunden pro Tag aus. Die lebenswichtige Ölindustrie ist am Boden. Spitäler schliessen, weil das ausländische Personal flieht. Schulen lassen ihren Unterricht ausfallen, weil die Lehrer wegen der ausstehenden Löhne streiken. Hunderttausende Libyer leben gar nicht mehr in ihren Häusern, sondern wurden von den Kämpfen vertrieben. 

Seit vergangenem Sommer herrscht in Libyen die institutionelle Anarchie. In Tobruk sitzt das offiziell anerkannte Parlament und die Regierung von Abdullah al-Thini, die von der nationalen Armee und ex-General Hafter unterstützt werden. In der Hauptstadt Tripolis herrscht eine rivalisierende Administration, die von den bewaffneten Kräften der islamistischen Fajr-Milizen (Morgenröte) getragen wird. Keine der Regierungen ist aber in der Lage, die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten und für deren Sicherheit zu sorgen.

Es herrscht ein Machtvakuum und in mehreren Gebieten toben bürgerkriegsähnliche Kämpfe um Ressourcen, vor allem in Benghazi, in den Nafusa-Bergen und im Öl-Halbmond in Zentrallibyen. Im Süden streiten sich die Minderheiten Tuareg und Tebu um die Kontrolle über die Schmugglerrouten.

Ein Volk ohne Staat

Ein «Volk ohne Staat» seien die Libyer heute, sagt Adel Faydi vom einflussreichen Forum der Stammesführer. Statt einer starken Regierung hätten sich viele Ministaaten gebildet. Seit es keine anerkannten staatlichen Institutionen mehr gibt, gewinnen die Stämme wieder mehr Einfluss. Sie unterstützen in ihrer Mehrheit die Tobruk-Regierung und sind eine wichtige zweite Kraft neben der UNO, die zu vermitteln versucht und eine Front gegen islamistische Extremisten bildet.

Islamisten waren immer eine wichtige Komponente der Opposition gegen die Gaddhafi-Diktatur. Mit dem Beginn der Rebellion am 17. Februar 2011 haben extremistische Kräfte in den Reihen der Revolutionäre eine entscheidende Rolle gespielt.

Die neue Führungsriege in Libyen hat diese Tatsache stets heruntergespielt, um die Unterstützung des Westens nicht zu verlieren. Nach der Einnahme von Tripolis und dem Tod des Diktators haben islamistische Milizen einen Rachefeldzug gegen Gaddhafi-Anhänger begonnen. Mit Waffengewalt haben sie ein rigoroses Isolationsgesetz durchgesetzt, das alle, die in der Gaddhafi-Administration tätig waren, von Führungsämtern ausschliesst und damit die Basis für den Machtkampf zwischen liberalen Kräften und Ehemaligen des Gaddhafi-Regimes gelegt.

IS beherrscht Sirte und Derna

Im vergangenen Oktober schlossen sich erste libysche Milizen dem Islamischen Staat (IS) an. Heute haben sie die Städte Derna und Sirte, wo die Kopten entführt wurden, unter ihrer Kontrolle. Vor wenigen Tagen verübte der IS einen Anschlag auf ein Luxushotel in Tripolis. Auf die Ermordung von 21 ägyptischen Christen, auf welche die ägyptische und die libysche Luftwaffe mit Bomben auf IS-Stellungen in Derna antwortete, reagierten beide rivalisierenden Regierungen mit Abscheu. Jene von Tripolis bezeichnete die Luftschläge aber als Verletzung der Souveränität. Rund 40 bis 50 Jihadisten seien getötet worden, meldete der libysche Generalstabschef.

Die Shoura der islamistischen Rebellen in Benghazi, die die Gegenregierung unterstützt, erklärte ausdrücklich, sie habe mit dem IS nicht im Entferntesten etwas zu tun. Ein Teil der Rebellen hat sogar angekündigt, in der Region von Sirte den Kampf gegen IS aufnehmen zu wollen.

Die IS-Milizen haben in den letzten Monaten, unterstützt durch ausländische Kämpfer, eindeutig an Stärke gewonnen. Besorgte ausländische Stimmen, die vor der Gefahr der IS-Dschihadisten für Libyen und die ganze Region warnen, sind in der letzten Zeit zwar lauter geworden, aber eine Strategie für ihre Bekämpfung ist bisher nicht auszumachen.

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