Seine Gegner beschimpft er als Marionetten Angela Merkels, er selbst verspricht seinen Wählern freie Fahrt im öffentlichen Verkehr. Alexis Tsipras inszeniert sich als Revolutionär – und will damit am 25. Januar das Amt des griechischen Ministerpräsidenten erobern.
In Berlin war Alexis Tsipras (40) schon oft. Aber die Tür des Kanzleramts hat sich für ihn bisher nicht geöffnet. Das Verhältnis zu Angela Merkel gilt als zerrüttet. Kein Wunder – Tsipras hat ein neues Schimpfwort in die politische Debatte eingeführt: Seine Gegner, allen voran Ministerpräsident Antonis Samaras, bezeichnet er als «Merkelisten», als Marionetten der deutschen Kanzlerin. Schon bald gehen die beiden möglicherweise auf Tuchfühlung. Wenn Tsipras mit seinem Bündnis der radikalen Linken (Syriza) die Wahl am 25. Januar gewinnt und griechischer Ministerpräsident wird, sitzt er im Europäischen Rat gleich neben Merkel. Das wird lustig.
«Gehen sie zurück, Frau Merkel.» Alexis Tsipras auf einer Ansprache im Zuge seiner Kampagne im Mai 2014:
Tsipras als Regierungschef der Hellenischen Republik beim EU-Gipfel: Das wäre der Karriere-Höhepunkt eines politischen Senkrechtstarters. Als 16-Jähriger schloss sich der Gymnasiast Tsipras der Jugendorganisation der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands an und organisierte Schulbesetzungen gegen die Bildungspolitik der damaligen konservativen Regierung.
Wochenlang fiel der Unterricht aus, Tsipras proklamierte ein «Grundrecht auf Schule Schwänzen». 2006 wurde Tsipras auf der Liste der «Koalition der Linken und des Fortschritts» (Syn), eines Vorläufers des heutigen Bündnisses Syriza, in den Athener Stadtrat gewählt. Zwei Jahre später übernahm er den Parteivorsitz.
Die Krise als politischer Push-Faktor
Unter dem wortgewandten ehemaligen Studentenfunktionär nahm das Linksbündnis einen in der griechischen Parteiengeschichte beispiellosen Aufstieg: Zwischen 2009 und 2012 vervierfachte sich der Stimmenanteil der Partei. Tsipras profitierte von der Krise, die ihm viele enttäuschte Anhänger der sozialdemokratischen Pasok in die Arme trieb. Bei der Europawahl im Mai wurde Syriza stärkste politische Kraft.
Diesen Erfolg hofft Tsipras bei der Parlamentswahl zu wiederholen. Das grösste Handicap ist allerdings Syriza selbst: ein Sammelbecken ganz unterschiedlicher, widerstreitender ideologischer Strömungen und politischer Sekten wie der trotzkistischen «Internationalen Werktätigen Linken» oder der maoistischen «Kommunistischen Organisation Griechenlands». Tsipras scheut bisher die klärende Auseinandersetzung mit dem linksextremen, europafeindlichen Syriza-Flügel.
Aus dem Revolutionär wird ein Erneuerer
Auf seinen Wahlkundgebungen kündigt er «Revolution» und «Umsturz» an, in Gesprächen mit ausländischen Diplomaten spricht er dagegen lächelnd von Reformen. Tsipras besuchte die Mönche auf dem Heiligen Berg Athos und machte dem Papst in Rom seine Aufwartung. So versucht er die Rolle des Bürgerschrecks abzustreifen. Er gibt sich als «Erneuerer».
Aber das Programm seiner Partei wirkt anachronistisch: Verstaatlichungen, Masseneinstellungen im ohnehin aufgeblähten öffentlichen Dienst, landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften – Ideen aus der politischen Mottenkiste. Tsipras wettert gegen die Vetternwirtschaft der alten Parteien, betreibt aber selbst Klientelpolitik: Seine treuesten Anhänger sind die Staatsbediensteten, denen er lebenslangen Kündigungsschutz verspricht.
Der gewiefte Populist greift die Stimmung des Volkes auf und verspricht, was viele Menschen hören wollen: Schluss mit dem Sparkurs, neue Jobs im Staatsdienst, Steuersenkungen, kostenlose Krankenversorgung, Freifahrkarten für die Verkehrsbetriebe, Kreditnachlass für überschuldete Haushalte. Wenn Syriza an die Regierung komme, würden die Finanzmärkte «nach unserer Pfeife tanzen» und nicht umgekehrt, wie bisher, sagt Tsipras. Das ist Musik in den Ohren vieler Griechen, die sich vom «Spardiktat» um ihre Würde gebracht fühlen.
Diffuse Versprechechungen in alle Richtungen
Aber solche Phantasien zeigen auch ein bedenkliches Mass an politischer Naivität und ökonomischer Ignoranz. Oder ist alles nur Rhetorik? Tsipras versucht die Wähler des linksextremen Spektrums an sich zu bringen, geht aber zugleich auf Stimmenfang bei den Sozialdemokraten und sucht die Unterstützung der bürgerlichen Mitte. Entsprechend breit gefächert – und widersprüchlich – sind seine politischen Ankündigungen.
Mal will Tsipras die Kreditverträge mit den Gläubigern «zerreissen», mal spricht er von «Verhandlungen». Einerseits verspricht er, Griechenland in der Euro-Zone zu halten, andererseits sagt er, der Euro sei für ihn «kein Fetisch». Ob der Spagat die Wähler überzeugt, wird sich in drei Wochen zeigen.
Alexis Tsipras, portraitiert vom online-Portal «Euronews»: