Der Bulle von Rom

Die Anschläge von Paris belasten das Heilige Jahr in Rom. Franco Gabrielli soll die Sicherheit gewährleisten. Mit der Einschätzung von Gefahrenlagen kennt sich kaum einer besser aus in Italien als der aktuelle Polizeichef, aber viele Pilger werden wohl dennoch fernbleiben.

Prefect of Milan and new commissioner of Rome Francesco Paolo Tronca (R) and government prefect Franco Gabrielli talk during a news conference in Rome, Italy, December 2, 2015. Rome is bracing for the arrival of millions of pilgrims for the Roman Catholic Holy Year which officials had hoped could revitalize the scandal-plagued city, but which threatens to be more of a headache than a help. During the 12-month Jubilee, Catholics coming to the Eternal City can gain indulgences, which, they believe, might speed their passage to heaven. Picture taken December 2, 2015. REUTERS/Max Rossi

(Bild: MAX ROSSI)

Die Anschläge von Paris belasten das Heilige Jahr in Rom. Franco Gabrielli soll die Sicherheit gewährleisten. Mit der Einschätzung von Gefahrenlagen kennt sich kaum einer besser aus in Italien als der aktuelle Polizeichef, aber viele Pilger werden wohl dennoch fernbleiben.

Das Licht ging plötzlich aus. Nur die Laternen der Via della Conciliazione leuchteten am Mittwochabend noch. Am Ende der Strasse, wo sich sonst in aller Pracht der hell angestrahlte Petersdom mit seiner grossen Kuppel auftut, war nur noch ein tiefes, beinahe unheimliches Dunkel. Ein Kurzschluss? Ein Test? Vielleicht sogar im Hinblick auf die Terrorgefahr?  

Nein, hiess es zwei Tage später aus dem Vatikan: Vorbereitungen für eine Fotoshow mit Projektionen auf die Kuppel des Petersdoms am Vorabend des Heiligen Jahres, nichts weiter. Aber die Spekulationen über den unter normalen Umständen ganz banalen Blackout am wichtigsten Ort des Katholizismus zeigten, wie angespannt die Atmosphäre ist.

Der Glaube wird von der Angst erschüttert

Am Dienstag will Papst Franziskus das von ihm selbst angekündigte Heilige Jahr mit der Öffnung der Heiligen Pforte im Petersdom einweihen. Das ausserordentliche Jubiläum ist der Barmherzigkeit gewidmet und doch steht es nach den Terrorattacken von vor drei Wochen in Paris vor allem unter dem Eindruck starker Sicherheitsvorkehrungen. «Offene Türen» wünschte sich der Papst, aber dieser Tage werden zusätzliche Metalldetektoren und Gepäckscanner an den Zugängen zum Petersplatz angebracht.

«Offene Türen» wünschte sich der Papst, aber dieser Tage werden zusätzliche Metalldetektoren und Gepäckscanner montiert.

Bereitschaftswagen von Polizei, Carabinieri und Militär stehen bestens sichtbar in Vatikannähe. 2000 Polizisten sollen ab Dienstag im Einsatz sein, dazu 300 Soldaten und etliche Beamte in Zivil. Es wirkt so, als könnte das Jahr der Barmherzigkeit in Rom vielmehr ein Jahr der Verunsicherung werden.

Der Zulauf zu den Generalaudienzen des Papstes ist gering, zuletzt kamen gerade einmal 10’000 Menschen. Auch die Schätzungen, dass zwischen 20 und 30 Millionen Touristen bis Ende des Jubiläums im November 2015 kommen, wurden zurückgeschraubt. Viele Hoteliers beklagen Stornierungen. Zur Einweihung am Dienstag erwartet der Präfekt der Stadt Rom, Franco Gabrielli, keinen extremen Zulauf. Von 50’000 bis 100’000 Pilgern ist die Rede.

Die Risikoversicherung hat ein Gesicht

Gabrielli ist so etwas wie die Risikoversicherung für das geschrumpfte Massenevent. Für viele Italiener verkörpert der 55-Jährige eine Art kumpelhafte Seriosität. Bekannt wurde Gabrielli vor allem, als er in seiner Funktion als Chef des italienischen Katastrophenschutzes die Bergung und Aufrichtung des vor der Insel Giglio havarierten Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia koordinierte. Sein Umgang mit der Öffentlichkeit ist hemdsärmelig und unkompliziert.

Als «Sbirro», also als «Bulle» bezeichnet sich der gebürtige Toskaner selbst. Gabrielli ist und fühlt sich in erster Linie als Polizist und als einer, der nach Jahren in der Terrorismus-, in der Mafia-Bekämpfung und beim Geheimdienst Gefahrenlagen einzuschätzen weiss. «Als mich mein Sohn fragte, wie er sich nach den Angriffen in Paris verhalten sollte, habe ich ihm gesagt, er soll sein Leben so wie bisher weiterleben», sagt Gabrielli. Die Terrorgefahr zum Heiligen Jahr sei zwar existent, aber nicht näher bestimmbar. Die Institutionen seien dazu da, Anschläge zu verhindern.

Spott muss auch der «Erzengel Gabrielli» ertragen.

Als 2009 in den Abruzzen die Erde bebte, war es Gabrielli, der einen Teil der Rettungs- und Wiederaufbauarbeiten koordinierte. Wechselnde Regierungen konnten seinem Aufstieg nichts anhaben. Im April 2015 ernannte ihn Premier Matteo Renzi zum Polizeichef der Stadt Rom, die sich seit bald einem Jahr in einen grossen Mafiaskandal verwickelt sieht. Gabrielli, teilweise von den Zeitungen ironisch als «Erzengel Gabrielli» verspottet, musste sich vorwerfen lassen, dass er aus politischen Gründen die Stadtverwaltung nicht auflöste, wie es angesichts der Ausmasse des Bestechungsskandals eigentlich Gesetz wäre.

Inzwischen ist Gabrielli vor allem mit den Sicherheitsvorkehrungen für das Heilige Jahr befasst. Und das bedeutet, eine Stadt gegen etwaige Terroranschläge zu rüsten und diese am besten schon im Vorfeld zu verhindern. «Ich bekomme viele Anfragen von Schuldirektoren, die wissen wollen, ob es angebracht ist, mit ihren Klassen zum Heiligen Jahr nach Rom zu kommen», erzählt Gabrielli. Niemand müsse sich vor einem Rom-Besuch fürchten, aber: «Wir sind uns der Bedrohung bewusst.» Die Pilger sollten auf den Petersplatz so wenige Gegenstände wie möglich mitbringen, damit die Kontrollen rasch abgeschlossen werden können.

Kameras und Militär sollen Sicherheit vermitteln

Ähnliche Worte fand der Kommandeur der Vatikangendarmerie, Domenico Giani, in einem Fernsehinterview: «Wir wissen nichts über konkrete Bedrohungen des Papstes, das bedeutet aber nicht, dass diese nicht existieren können.» 2000 über die Stadt verteilte Überwachungskameras sollen Täter abschrecken, U-Bahn-Stationen werden vom Militär bewacht. Krankenhäuser haben ihre Notfallpläne aktualisiert, die beiden Flughäfen werden stark kontrolliert.



A policeman (R) and Carabinieri patrol in front of the Vatican in Rome, Italy, December 4, 2015. Rome is bracing for the arrival of millions of pilgrims for the Roman Catholic Holy Year which officials had hoped could revitalise the scandal-plagued city, but which threatens to be more of a headache than a help. During the 12-month Jubilee, Catholics coming to the Eternal City can gain indulgences, which, they believe, might speed their passage to heaven. REUTERS/Max Rossi

Die Polizei nimmt es ernster mit den Kontrollen als auch schon: In Rom werden die Körperkontrollen strenger vor dem Vatikan. (Bild: MAX ROSSI)

Gabrielli kündigte sogar einen Mechanismus zur Überwachung und zum Abschuss von Drohnen an. Die Körperkontrollen vor dem Kolosseum und Sankt Peter wirken ernsthafter als noch vor Kurzem. Teilweise geht die Aufregung der sonst eher unaufgeregten Römer so weit, dass in der Ewigen Stadt sogar sogenannte Antiterrorkurse angeboten werden. Ab Samstag können Taxi- und Busfahrer, Mitglieder der Lokalpolizei und Freiwillige sich von einer Privatorganisation zu nicht näher definierten Wachposten ausbilden lassen.

Wenn die Römer einer einzigen Person ihre Sicherheit anvertrauen müssten, dann wäre Gabrielli gewiss in der engeren Wahl. Aus der Hauptstadtperspektive weist er allerdings einen gravierenden Mangel auf. Er hält nicht zu einem der beiden lokalen Fussballteams, sondern ist Anhänger von Juventus Turin.

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