Die Landesregierung muss jetzt das Kontingentsystem bei der Zuwanderung auch für die EU wieder einführen. Diskussionen um weitere bilaterale Abkommen werden auf Eis gelegt.
Lange Gesichter machten die vier Mitglieder der Landesregierung, die vor den Medien in Bern die Resultate der Volksabstimmungen kommentierten: Auch Alain Berset (SP) und Doris Leuthard (CVP), die ja mit ihren klaren Erfolgen bei der Abtreibungsinitiative und der FABI Vorlage eigentlich als Sieger dasassen, war gar nicht ums Lachen zumute. Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) und Bundespräsident Didier Burkhalter (FDP) blickten erst recht zerknirscht in den vollbesetzten Saal.
Die Fragen der Medienleute drehten sich fast nur um ihre überraschende Schlappe bei der Abstimmung über die SVP-Initiative gegen die Masseneinwanderung. «Nein», beteuerte etwa der temporäre Präsident und Aussenminister Burkhalter, als er gefragt wurde, ob er mit seinem Ausflug zum Kaiser Japans kurz vor dem Urnengang die Prioritäten falsch gesetzt habe. Er sei auch mit seinen Vorschlägen für weitere Abkommen mit der EU nicht zu forsch vorgegangen, so Burkhalter. Er räumte aber ein, dass die Verhandlungen über eine institutionelle Anbindung der Schweiz an die EU (die «noch gar nicht angefangen» hätten) nun nicht mehr im Vordergrund stünden.
Umsetzung des «Systemwechsels» noch in diesem Jahr
Sommaruga, die federführende Bundesrätin in dieser Sache, betonte, der Volkswille, der einen «Systemwechsel» bedinge, werde sofort umgesetzt. «Noch in diesem Jahr» werde sie ihre Vorschläge für ein Gesetz und eine Verordnung dem Bundesrat vorlegen und in die Vernehmlassung geben. Die Initiative gibt der Landesregierung und dem Parlament dazu drei Jahre Zeit. Das sei «sehr anspruchsvoll», sagte die Justizministerin. Grundsätzlich geht es darum, das Kontingentsystem für Zuwanderer, das jetzt schon für alle Länder ausserhalb der EU (und einige neuere EU-Oststaaten) gilt, wieder auf die ganze EU anzuwenden. Sommaruga sagte: «Künftig wird wieder von Bern aus kontrolliert und bestimmt, wer einwandern darf.»
Im Hinblick auf die anstehenden Abstimmungen über die Ausdehnung der Bilateralen Verträge auf das neue EU-Mitglied Kroatien und über die «EcopopInitiative», die eine noch striktere Regulierung der Zuwanderung verlangt, hielten Sommaruga und Burkhalter fest, dass der Bundesrat da nun über die Bücher gehen werden müsse. Vor allem aber werde man in «exploratorischen Gesprächen» mit der EU die neue Ausgangslage besprechen und beurteilen. Der Aussenminister versicherte, die EU werde durchaus Respekt zeigen vor dem Entscheid des Schweizer Volks. Dies insbesondere, weil in weiten Teilen der EU die Bevölkerung wohl auch ähnlich entscheiden würde, wenn sie denn abstimmen könnte.
Stromverhandlungen als Gradmesser der EU-Verstimmung
Nun gelte es abzuwarten, wie Brüssel auf den überraschenden Entscheid des Schweizer Souveräns reagieren werde, betonten die Bundesräte. Leuthard sagte konkret, ein erster Hinweis würden die laufenden Verhandlungen über das Stromabkommen geben: «Wenn die EU der Meinung ist, diese technischen Fragen hätten nichts mit dem Volksentscheid über die Migration zu tun, dann laufen diese Verhandlungen weiter – sonst werden wir sehen müssen.»