Der Bundesrat will den Bergregionen das Wasser abgraben

150 Millionen Franken will der Bundesrat ab 2020 umverteilen – von den Berggebieten zu den Stromproduzenten. Doch das ist erst der Anfang: Ab 2023 soll der fixe durch einen vom Marktpreis abhängigen Wasserzins ersetzt werden. Das wünscht auch die Stromlobby.

Blick auf Stausee und Zervreilahorn (2898 Meter über Meer), aufgenommen am Dienstag, 11. August 2015, in Vals. Der Berg wird auch als "Matterhorn Graubuendens" bezeichnet, und ist auf der Flasche des Valser Mineralwassers abgebildet. Das zum Stausee gehörende Kraftwerk wird von der Kraftwerke Zervreila AG betrieben. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Wieviel darf die Primärenergie Wasserkraft maximal kosten? Das ist die Preisfrage bei der Neuregelung der Wasserzinsen. Heute – genauer: Von 2015 bis Ende 2019 – sind es 110 Franken pro installiertes Kilowatt (kW) Wasserkraftleistung. Das ergibt einen Primärenergie-Preis von rund 1,6 Rappen pro Kilowattstunde (kWh) Strom aus Wasserkraft. Zum Vergleich: Für – weniger wertvollen – Strom aus Kohlekraftwerken ist der aktuelle Primärenergiepreis etwa gleich, für Strom aus Gaskraftwerken mehr als doppelt so hoch.

27 Prozent weniger Geld für Bergregionen

Von 2020 bis Ende 2022 will der Bundesrat diesen maximalen Wasserzins auf 80 Franken pro Kilowatt Leistung oder um 27 Prozent senken; das entspricht dem Wasserzins-Maximum vor dem Jahr 2011. Eine entsprechende Vorlage zur Änderung des Wasserrechts-Gesetzes schickt er jetzt in die Vernehmlassung; Kantone, Parteien und Interessenorganisationen können bis Ende Oktober dazu Stellung nehmen, bevor der Bundesrat seinen endgültigen Vorschlag dem Parlament unterbreitet.

Diese Übergangsregelung bringt folgende Umverteilung: Die Einnahmen der Wasserkraft-Kantone und -Gemeinden sinken von heute rund 550 auf 400 Millionen Franken pro Jahr. Betroffen von diesem Verlust von jährlich 150 Millionen oder 27 Prozent sind primär die Berggebiete: Im Kanton Graubünden allein dürften die Einnahmen um mehr als 30 Millionen, im Wallis um über 40 Millionen sinken.

Entsprechend entlastet werden die Schweizer Stromproduzenten, welche Wasserkraftwerke besitzen oder daran beteiligt sind. Sie liefern den produzierten hydrologischen Strom heute je zur Hälfte zu Marktpreisen an Gross- und zu Monopoltarifen an Kleinverbraucher. Weil die im Monopol gefangenen Haushalte und Kleinfirmen Anspruch auf Tarife haben, die sich an den Gestehungskosten orientieren müssen, dürften die tieferen Wasserzinsen ihre Tarife ab 2020 ebenfalls geringfügig senken (sofern die Aufsichtsbehörde Elcom diese Regelung konsequent umsetzt).  

Gratis-Energie für neue Kraftwerke 

Noch stärker als die bestehenden will der Bundesrat neue Wasserkraftwerke entlasten: Schon mit dem revidierten Energiegesetz gewährt der Bund ab 2018 an den Bau von neuen Wasserkraftwerken einen Investitionsbeitrag. Mit der Revision des Wasserrechts-Gesetzes sollen diese subventionierten Kraftwerke nun während zehn Jahren ab Inbetriebnahme vom Wasserzins und damit vom Entgelt für die Primärenergie vollständig befreit werden. Das ist, wie wenn eine Regierung den regionalen Gasverkäufern vorschreiben würde, sie müssten die Besitzer von neuen Gaskraftwerken zehn Jahre lang gratis mit Erdgas beliefern. 

Die ersten Reaktionen auf diese Übergangslösung fallen erwartungsgemäss unterschiedlich aus: Der Dachverband der Schweizer Elektrizitätsunternehmen (VSE) wertet sie als «Schritt in die richtige Richtung«. Der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband findet es «bedauerlich», dass der Bundesrat den Systemwechsel bis 2023 aufschiebt. Und Not Carl als Sachwalter der Bündner Wasserkraft-Gemeinden ist «masslos enttäuscht», weil dieser Vorschlag die Einnahmen vieler Berggemeinden deutlich vermindert. 

Systemwechsel erst ab 2023 

Die obigen Neuerungen stellen wie erwähnt eine «Übergangsregelung» dar. Damit spielt der Bundesrat auf Zeit. Denn ab 2023 will er den viel kritisierten Strommarkt mit einem «neuen Marktdesign» generell anders regeln, Dann sollen die Bestimmungen über die Wasserzinsen erneut revidiert werden. Folgenden Systemwechsel stellt der Bundesrat im begleitenden Bericht zu seiner Vorlage schon mal «zur Diskussion»:

  • Der heute fixe Wasserzins soll weiter gesenkt werden auf einen «Sockelbeitrag» von noch 50 Franken pro Kilowatt Leistung. Gegenüber heute ist das weniger als die Hälfte.
  • Diese fixe Abgeltung will der Bundesrat ergänzen mit einem variablen, vom Preis auf dem Strommarkt abhängigen Wasserzins. Dieser variable Zins läge bei null, solange der Marktpreis unter dem heutigen Niveau von 4,5 Rappen pro kWh liegt.
  • Mit jedem Rappen, um den der Marktpreis gegenüber heute steigt, soll der Wasserzins um 0,3 Rappen/kWh erhöht werden. Gemäss Rechnung des Bundesrats würde damit der gesamte Wasserzins das heutige Niveau erst wieder erreichen, wenn der Preis auf dem europäischen Strommarkt auf 7,4 Rappen/kWh steigen sollte.

Ein ähnliches Modell schlug schon im Februar 2017 die Stromlobby vor, aber mit einer weniger steilen Progression für den variablen Teil. Nach ihrem Modell würde das heutige Wasserzins-Niveau erst wieder erreicht, wenn der Marktpreis für Strom auf mehr als 11,4 Rappen/kWh stiege, also höher wäre als im Spitzenjahr 2008.

Die Katze bleibt im Sack

Wie gut oder wie schlecht diese langfristige Lösung für die Berggebiete ausfallen wird, lässt sich heute aus zwei Gründen nicht voraussagen: Erstens weiss kein Mensch, wie sich der Marktpreis von Strom ab 2023 entwickeln wird. Zweitens können, weil der Bundesrat auf Zeit spielt, Interessenorganisationen, Regierung und Parlament noch drei Jahre länger um das Modell und damit die Höhe des fixen und variablen Wasserzinses feilschen.

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