Mit dem Bau eines kombinierten Lager- und Wohnhauses auf dem Kunstfreilager-Areal leisten Herzog & de Meuron aktive Geburtshilfe für das neue Stadtquartier im Süden der Stadt, das sie 2002 mit ihrer «Vision Dreispitz» skizziert haben.
Einer müsse ja den Anfang machen, sagt Jacques Herzog, Gründungspartner des Architekturbüros Herzog & de Meuron. Die Rede ist von einem Projekt, das bislang noch in keinem Hochglanz-Architekturführer veröffentlicht wurde. Noch ist der zwischen Lagerhallen auf dem Dreispitz herausragende 40 Meter hohe Bau vom Baugerüst verdeckt. Doch dahinter verbirgt sich ein überaus eigensinniges Bauprojekt: ein massiver Betonsockel, der einen achtstöckigen Büro- und Wohntrakt mit wabenartiger Fassadenstruktur trägt. Im Oktober soll das Gebäude, das von seine Struktur her an die Elbphilharmonie in Hamburg erinnert, als «Leuchtturm» auf dem Areal bezugsbereit sein.
Die ersten Bauherren auf dem Entwicklungsareal sind Herzog & de Meuron nicht. In unmittelbarer Nachbarschaft ist bereits das Kunst- und Atelierhaus Oslo entstanden, und einen Steinwurf davon entfernt steht der neue Campus für die Hochschule für Gestaltung und Kunst der Fachhochschule Nordwestschweiz unmittelbar vor seiner Eröffnung. Herzog & de Meuron sind auch nicht die eigentlichen Bauherren, sondern vielmehr die Initianten und Planer des Projekts.
Schrittmacher der städtebaulichen Entwicklung
Dennoch darf man die weltbekannten Architekten zu den Schrittmachern des neu entstehenden Stadtteils im Süden Basels zählen. Mit ihrer Studie «Vision Dreispitz» schufen sie vor über zehn Jahren im Auftrag der beteiligten Behörden aus den beiden Basel und der Standortgemeinde Münchenstein sowie der Christoph Merian Stiftung als Grundbesitzerin die planerischen Leitideen zur Entwicklung des Logistikgewerbeareals. Ein neuer «metropolitaner Stadtteil» mit einem lebendigen Mix aus Gewerbe, Kultur, Hochschule und Wohnen soll es werden.
Bei Letzterem, nämlich der Nutzung als Wohnort, stehen Herzog & de Meuron nun erneut in der ersten Reihe. Die 41 loftartigen Wohnungen, die in luftiger Aussichtshöhe entstehen, werden die ersten auf dem Kunstfreilager-Areal sein. «Für uns als Architekten und Städteplaner ist dies ein überaus interessantes Projekt, zumal wir damit auch einen Beitrag an unsere Vision leisten können», sagt Herzog. «Wir haben uns bereits für den Neubau der Hochschule für Gestaltung und Kunst eingesetzt, jetzt können wir uns auch aktiv an der Entwicklung des Areals als Wohnort beteiligen.»
Architekt, aber nicht Bauherr
Herzog legt Wert auf die explizite Nennung seiner Funktion als Architekt und Städteplaner. «Wir sind die Architekten, aber nicht die Bauherren der Wohnungen», betont er. Für diese habe man nach einem Investor gesucht, der bereit sei, das Risiko dieser Pionierleistung einzugehen. Dieser wurde in der Senn-Gruppe, einem Immobilien-Gesamtdienstleistungsunternehmen aus St. Gallen, gefunden.
Ein bisschen Bauherren sind Herzog & de Meuron indes doch. Denn der grosse Sockel soll als Archiv und vielleicht mal öffentlich zugängliches Schaulager für die unzähligen Pläne und Architekturmodelle dienen, die seit der Gründung des weltweit vielbeschäftigten Architekturbüros 1978 entstanden sind. «Mit dem Bau unseres Archivs und dem initiierten Wohnhaus als Beitrag zur Stadtteilentwicklung konnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen», sagt Herzog.
Das Risiko des Projekts liegt in der Tatsache, dass es die ersten Wohnungen auf dem Areal beinhaltet, das sich noch mitten in seiner Entwicklungsphase befindet. Die Mieterinnen und Mieter der Wohnungen werden ihre schöne Aussicht in die umliegenden Hügellandschaften vorerst noch in ziemlicher Einsamkeit geniessen müssen, wenn abends die Gewerbebetriebe, Kunstinstitutionen und die Hochschule ihre Tore schliessen.
Auch Restaurants, Cafés oder Einkaufsläden sind noch keine vorhanden. «Ein Entwicklungsgebiet funktioniert nicht ohne Pioniere, die bereit sind einen Schritt voranzugehen», sagt Herzog. Der städtebauliche Vordenker der Dreispitzentwicklung gibt sich nach wie vor vollauf von der Qualität und der Ausstrahlungskraft des Stadtentwicklungsprojekts überzeugt, und auch davon, dass sich Schritt für Schritt weitere Investoren finden lassen werden.
Weitere Wohnbauten in Planung
Was auch offensichtlich zu funktionieren scheint. Denn auch für das bestehende Lagergebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zum Lager- und Wohnhausneubau, das wegen des markanten, steil aufragenden Giebeldachs «Chillespitz» genannt wird, bestehen bereits Umbaupläne zum Wohnhaus, wie die «Basellandschaftliche Zeitung» vermeldete. Dazu kommt das grosse Umbauprojekt des ehemaligen Transitlagers zum durchmischten Gewerbe- und Wohnkomplex, der voraussichtllich im Frühling 2016 bezugsbereit sein wird.
Ein Blick auf die Internetseite der für die Verwaltung zuständigen Madiba Immobilien AG offenbart überdies, dass bereits über die Hälfte der 62 bis 194 Quadratmeter grossen Loftwohnungen reserviert sind. Dies trotz Nettomietzinsen zwischen 1510 und 5170 Franken – Mietpreise, die Herzog im Vergleich zu ähnlich gelagerten Neubauprojekten als relativ günstig bezeichnet. «Natürlich kommen diese Wohnungen finanziell für die Studentinnen und Studenten der benachbarten Kunsthochschule nicht in Frage», antwortet er auf eine ensprechende Frage. «Aber das gilt generell und auch anderswo für Neubauwohnungen – ausser es handelt sich um genossenschaftlichen Wohnungsbau. Aber dies ist nicht unser Aufgabengebiet.»
Private Investitionen in Wohnhäuser
Vielleicht entspricht eine Wohnung im hübschen kleinen Mehrfamilienhaus-Altbau an der Ecke Oetlinger-/Mörsbergerstrasse eher in den finanziellen Möglichkeiten von Studierenden. Dieses Haus wurde, wie dem «Basler Kantonsblatt» zu entnehmen ist, vor knapp einem Jahr von Jacques Herzog und Pierre de Meuron gekauft. Im Februar griffen die beiden Gründungspartner bei einem stattlichen Villengebäude an der Hammerstrasse in der Nähe des Wettsteinplatzes noch einmal zu.
Haben Herzog & de Meuron vielleicht doch ein kleines bisschen Ambitionen, ins Real-Estate-Geschäft einzusteigen? «Keineswegs», betont Jacques Herzog. «Bei diesen Häusern handelt es sich um rein private Investitionen von Pierre de Meuron und mir – im Sinne einer Altersvorsorge.» Ausserdem handle es sich um erhaltenswerte Bauten, die man nicht aus dem Stadtbild verschwinden lassen dürfe. Das Architekturbüro habe aber damit nichts zu tun. «Wir haben mehr als genügend Aufträge und müssen uns nicht selber Arbeit beschaffen.»