Der etwas zu glatte Abgang des Carlo Conti

Der CVP-Gesundheitsdirektor hätte viel früher merken müssen, dass mit seiner Buchhaltung etwas faul ist.

Ein zu perfekter Abgang. Der Basler Gesundheitsdirektor Carlo Conti während seiner Rücktrittsankündigung in der «Safran-Zunft». (Bild: Keystone/Georgios Kefalas)

Der CVP-Gesundheitsdirektor hätte viel früher merken müssen, dass mit seiner Buchhaltung etwas faul ist.

Man sah Carlo Conti den Abgrund nicht an, in den er sich eben gestürzt hatte. Zusammenreissen, lächeln, die Contenance bewahren, Gesicht geradeaus, Rücken durchgestreckt.

Ja. Ja. Ja.

Zwei Tage vor seinem Auftritt in der «Safran-Zunft», zwei Tage vor dem öffentlichen Ende seiner politischen Karriere, da wusste erst ein enger Kreis von Leuten vom Abgang des Gesundheitsdirektors. Und vor diesen Leuten, seinen Freunden, musste sich Conti nicht mehr zusammenreissen. Er habe ein Bild des Jammers abgegeben, heisst es aus seinem Umfeld. Die Stimme zittrig, die Augen wässrig, die Wangen fahl. Ein Gespenst im Massanzug.

Nein. Nein. Nein. Vorbei.

Seine verbliebene Energie steckte Conti in jene halbe Stunde am Dienstag in der «Safran-Zunft». Es war Krisenkommunikation auf höchstem Niveau. Ein reuiger Sünder, dem nicht mehr viel blieb ausser seiner Ehre. «Ja, das war mein Fehler. Ja, ich hätte es merken sollen. Ja, ich entschuldige mich.»

Offene Fragen

Nach dem Auftritt in der «Safran-Zunft» tauchte Carlo Conti ab, er ist nicht mehr zu sprechen. Das übernehmen nun andere: Die Reihen des Basler ­Establishments schlossen sich nach der Rücktritts­ankündigung in schwindelerregender Geschwindigkeit. Die Kollegen aus dem Rathaus verkündeten: «Der Regierungsrat bedauert diesen Entscheid ausserordentlich und spricht seinen grössten Respekt vor diesem persönlichen Entscheid aus.»

Politische Gegner und Freunde attestierten Conti ein aussergewöhnliches Rückgrat. Via «Basler Zeitung (Artikel online nicht verfügbar) drückten Pascal Brenneisen, Chef Novartis Schweiz, und UBS-Regionaldirektor Samuel Holzach ihr Bedauern über den Rücktritt aus. «Ich habe grössten Respekt vor dieser konsequenten Haltung», sagte Holzach am Neujahrsapéro des Gewerbeverbandes.

Nicht nur die Haltungsnoten waren schnell vergeben (hier war die TagesWoche im Übrigen keine Ausnahme), auch die Schuldfrage schien schon einen Tag nach Contis Auftritt in der «Safran-Zunft» geklärt. Noch bevor die Basler Finanzkontrolle ihre Arbeit überhaupt aufgenommen hat, ist für den ehemaligen Strafgerichtspräsidenten Jeremy Stephenson (LDP) bereits klar: «Den Fall strafrechtlich zu untersuchen, wäre ein Leerlauf.» (Zitat aus der BaZ)

Mit aller Macht wird der Fall Conti für erledigt erklärt. Dabei gäbe es noch einige offene Fragen. Zum Beispiel: Wann hätte Conti merken müssen, dass seine Buchhaltung nicht stimmt? Wie nachlässig darf ein Regierungsrat mit Geld umgehen? Ist Contis Verhalten strafrechtlich wirklich so unbedenklich, wie es Stephenson meint?

Das jährlich wiederkehrende Formular

Die Antworten auf diese Fragen sind für Carlo Conti nicht besonders schmeichelhaft. Von den unsauber verbuchten 111 000 Franken stammen 52 000 Franken aus Honoraren für Reden und 59 000 Franken aus Mandatsbeiträgen und Sitzungsgeldern. Die Regelung für die Basler Regierung ist folgende: Immer zu Beginn des Jahres erhalten die Regierungsräte ein Schreiben des Zentralen Personaldienstes, mit dem sie aufgefordert werden, ihre Nebeneinkünfte zu deklarieren. Auf diesem Blatt Papier müssen sie auflisten, was sie im vergangenen Jahr an Mandatsbeiträgen, Honoraren und Sitzungsgeldern erhalten haben.

Das ausgefüllte Formular geht an den Zentralen Personaldienst, wo die Angaben überprüft werden und ausgerechnet wird, wie viel der betreffende Amtsträger dem Kanton noch schuldet. In den Richtlinien betreffend Nebeneinkünfte des Basler Regierungsrats heisst es unter Punkt 5.2: «Das ausgefüllte Formular sowie die zugehörigen Lohnausweise bzw. Belege über die Nebeneinkünfte des Vorjahres sind bis 1. April des laufenden Jahres dem zuständigen Personaldienst, respektive für die Regierungsräte dem Zentralen Personaldienst, abzugeben.» 20 000 Franken dürfen die Regierungsräte für sich behalten; von allem, was darüber hinausgeht, sind 95 Prozent für den Kanton bestimmt.

Das heisst im Klartext: Carlo Conti hätte in jedem seiner 14 Amtsjahre die Gelegenheit gehabt, seine «Versäumnisse» zu entdecken.

Hochgradig nervös

Er tat es nicht – aus welchen Gründen auch immer. Bis zu den Enthüllungen im Baselbiet, wo über 300 000 Franken nicht korrekt abgerechnet worden waren und die Gefahr bestand, dass auch die Abrechnung der Basler Regierung etwas genauer angeschaut würde.

Den Entscheid, an die Öffentlichkeit zu gehen und seinen Rücktritt zu verkünden, scheint er dabei alleine getroffen zu haben. Zwar ist die Basler Regierung (und mit ihr die Verwaltung) seit den Skandalen um die Basler Verkehrsbetriebe und der zweifelhaften Kommunikation von Bau­direktor Hans-Peter Wessels hochgradig nervös und sitzt geradezu auf Nadeln, was ihre Aussenwirkung betrifft. Aber die Quellen aus Contis Umfeld sind eindeutig: kein Druck, weder von der Regierung noch von anderswo, ein einsamer Entscheid.

Dazu passt die Struktur von Contis Departement: Der 59-Jährige hat sich in den 14 Jahren als Regierungsrat ein Imperium aufgebaut, in dem er «Kopfnicker» um sich scharte, wie zwei Chefbeamte aus einem anderem Bereich sagen. Sein Departement hat Conti voll und ganz unter Kontrolle, und möglicherweise ist genau das der Grund, warum er die Kontrolle über seine eigenen Abrechnungen verlor. Weil er niemanden mehr hatte, der ihn kritisch hinterfragte, ihn auf Fehler aufmerksam machte. Das kostete ihn den Job.

Wenigstens konnte er aber seinen Ruf retten, mit einer perfekt konzertierten Krisenkommunikation. «Linke wie rechte Politiker zollen ihm Respekt», hielt die «bz Basel» (Artikel online nicht verfügbar) danach fest. Und auch in der «Basler Zeitung» war viel die Rede von «Respekt» und von «Bedauern», das allgemein gross sei.

Die gleiche Zeitung hatte die Baselbieter Regierung nach Bekanntwerden der Honoraraffäre auf dem Land als «Korruptionsrat» bezeichnet. Der grösste Profiteur sei ausgerechnet der frühere Finanzdirektor Adrian Ballmer, der vorgebliche «Bettelmönch», der alle anderen dazu aufgefordert hatte, den Gürtel enger zu schnallen, während er selbst ihn lockerte.

Gute Basler, böse Baselbieter

Hier der gute Conti, dort der böse Ballmer, der immer noch so tut, als habe er immer alles richtig ­gemacht. Hier ein einzelner armer Sünder, dort ein ganzer Kanton, der von einer üblen Bande regiert wird.

Wenn es nur so einfach wäre.

In der Realität ist es nicht der Basler, sondern der Baselbieter Regierungsrat, der in den letzten Tagen und Wochen sehr viel mehr unternommen hat, um für Aufklärung zu sorgen und das Abzweigen von Staatsgeldern künftig zu verhindern.

Die Baselbieter Regierung hat den Untersuchungsbericht der Finanzkontrolle öffentlich gemacht, der zeigt, dass Adrian Ballmer (FDP), der ­inzwischen verstorbene Volkswirtschaftsdirektor Peter Zwick (CVP) und zwei Chefbeamte zwischen 2009 und 2013 Honorare von insgesamt 320 000 Franken in die eigene Tasche gesteckt haben sollen.

Als Reaktion darauf haben die fünf Baselbieter Regierungsräte entschieden, künftig keine Sitzungsgelder mehr zu behalten, die ihnen laut Gesetz eigentlich noch zustehen würden. Und schliesslich hat der Regierungsrat mit seiner Strafanzeige dafür gesorgt, dass der ganze Fall untersucht wird – möglichst sauber und damit möglichst unvorein­genommen, von einer ausserkantonalen Staats­anwaltschaft. Das scheint auch nötig, so gravierend der Verdacht ist: ungetreue Geschäftsbesorgung beziehungsweise Veruntreuung, ein Offizialdelikt, bei dem die Staatsanwaltschaft auch von sich aus aktiv werden müsste.

Keine Angst vor Interessenkonflikten

Um die genau gleichen Vorwürfe könnte es auch bei Conti gehen, auch wenn gewisse Juristen nun einen ganz anderen Eindruck zu vermitteln versuchen und auch die Medien in ihren ersten Berichten grosszügig darüber hinwegsahen. Die TagesWoche hakte darum am Mittwochmorgen bei der Staatsanwaltschaft nach. Die Antwort klang nicht unbedingt danach, als würde sie sich für die krummen Geschäfte von Regierungsmitgliedern auch nur annähernd so sehr interessieren wie für die sogenannten Kriminaltouristen, vor denen sie immer so gerne warnt. Von einer «Kenntnisnahme» war zu diesem Zeitpunkt die Rede, von mehr nicht.

Eine Stunde später lieferte die Basler Staats­anwaltschaft immerhin noch eine etwas ausführ­lichere Stellungnahme nach: Man warte die Untersuchung der Finanzkontrolle ab und werde nach deren Vorliegen über allfällige weitere Schritte entscheiden. Wir fragten nochmals nach: Welche Rolle wird dabei der erste Staatsanwalt Alberto Fabbri spielen – Contis Parteifreund?
Fabbri wird involviert sein, lautete die Antwort. Das sei so üblich bei wichtigen Fällen. Bedenken wegen möglichen Interessenkonflikten scheinen keine vorhanden zu sein.

Einfach wird die Frage nach dem Recht und dem begangenen Unrecht nicht zu beantworten sein, gerade bei Conti und seinem Kontokorrentkonto; diesem Hin und Her von Bezügen und Einlagen, die er teils privat, teils in seiner Funktion als Departementsvorsteher tätigte. Umso wichtiger ist eine saubere Aufklärung – von der Finanzkontrolle und danach allenfalls auch von der Justiz. In diesem Punkt sind die Landschäftler weiter als die Städter, nur nimmt das in der Öffentlichkeit kaum jemand wahr, weil die ganze Debatte auf die beiden Hauptfiguren fokussiert ist: den guten Conti und den bösen Ballmer.

Etwas schwerer tut man sich in Basel-Stadt auch bei der Anpassung der geltenden Regeln. Zwar fordert die SVP in einer Motion, dass die Regierungsräte in Zukunft alles abgeben müssen. Aber diese raten zur Zurückhaltung. Erziehungsdirektor Christoph Eymann, der als Mitglied des Universitätsrates 20 000 Franken pro Jahr erhält: «Wir dürfen jetzt nicht stimmungslabil alles über Bord werfen. Wir sind keine Bananenrepublik, wir haben klare Regelungen, die auch kontrolliert werden.»

Andere Kantone ziehen nach

Das wird aber längst nicht mehr nur in Basel angezweifelt. Eine ganze Reihe von Kantonen hat erkannt, wie unklar die Gesetzgebung teilweise ist, wie lückenhaft die Kontrolle – und wie gross damit die Missbrauchsgefahr. Logische Folge: strengere Gesetze, bessere Kontrollen. Es ist wenigstens ein positiver Effekt, der die Baselbieter Honoraraffäre und die Aufregung in Solothurn um die üppigen Entschädigungen von Alpiq für den inzwischen abgetretenen Finanzdirektor Christian Wanner (FDP) hatte.

Ein Vorbild in Sachen Nebeneinkünfte könnte der Bund sein. Bundesräte verdienen im Jahr brutto 444 718 Franken (Stand 1. Januar 2012), dazu kommen eine Spesenpauschale von jährlich 30 000 Franken und eine zusätzliche Pauschale für den Bundespräsidenten von 12 000 Franken. Mehr gibt es nicht. Wer Bundesrat wird, muss aus anderen Gremien (Verwaltungsräte, Geschäftsleitungen) zurücktreten. Und erhält auch sonst keinen Zustupf: «Der Bundeskanzlei sind keine Honorar­zahlungen an Mitglieder des Bundesrates bekannt», heisst es auf Anfrage. Kleine Geschenke (Wein, Blumen) seien nach Auftritten durchaus üblich, und es sei auch schon vorgekommen, dass einladende Or­ganisationen einen Geldbetrag an ein karitatives Werk überwiesen.

Der Lohn hoch, die Rente formidabel (die Hälfte des letzten Jahreslohns), die Regeln klar, das Renommee gross: Der Bundesrat kennt keine Nachwuchssorgen. Auf der Ebene der Regierungsräte sieht das etwas anders aus – befürchten vor allem Regierungsräte.

Mit dem «blutten» Finger

Es gebe zwei Risiken in der Debatte, sagt der ­Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich (SP), der ebenfalls von einer Untersuchung wegen zu hoher Nebeneinkünfte betroffen ist: «Erstens, dass ein Amt als Regierungsrat für hochqualifizierte Leute unattraktiver wird. Zweitens – und das ist das grös­sere Risiko: Wenn wir so weitermachen, werden nur noch Leute in die Regierungen gewählt, die es als ihre einzige Aufgabe ansehen, keinen Fehler zu machen.» Die Gesellschaft als Ganzes brauche etwas mehr Toleranz. Wenn man nur noch mit dem «blutten» Finger aufeinander zeige, dann erzeuge das eine miserable Grundstimmung.

Verzagtheit und Politikverdrossenheit – das ist die eine Seite des Problems. Die andere heisst: Masslosigkeit und Abhängigkeit.

In Solothurn wurde darauf schon Mitte 2013 aufmerksam gemacht wegen der Alpiq-Zahlungen an Christian Wanner, wegen der 100 000 Franken an Sitzungsgeldern und Spesen. Ebenso in Luzern, wo sich SP- und SVP-Politiker über die 350 000 Franken empörten, die Verena Briner, Chefärztin im Kantonsspital Luzern und Professorin für Innere Medizin in Basel, nebenbei für ihr Mandat im Novartis-Verwaltungsrat erhält. In beiden Fällen war von Gier die Rede – und von einer möglichen Befangenheit.

Inwiefern sind Regierungsräte, Chefbeamte und Spitzenärzte entschlossen, Missstände in den staatsnahen Betrieben und der Wirtschaft aufzudecken, solange sie von den entsprechenden Unternehmen fürstlich bezahlt werden? Diese Frage müsste man sich nun eigentlich auch in der Region Basel stellen, nicht nur wegen der Honorare, die Gesundheitsdirektor Carlo Conti unter anderem für seine Vorträge vor Vertretern der Medizinlobby und der Pharma hielt, sondern auch wegen der üppigen Sitzungsgelder, von denen andere Regierungsräte profitieren. Im Unirat, im Verwaltungsrat der Messe Schweiz oder des Kraftwerks Birsfelden gibt es bis zu 500 Franken – pro Stunde.

Eine Frage der Verhältnismässigkeit

Dabei stellt sich auch die Frage der Verhältnis­mässigkeit – besonders krass bei der Messe, die ihre Prachtbauten von polnischen Arbeitern zu Dumpinglöhnen hochziehen lässt, während sie ihre Verwaltungsräte fürstlich entschädigt.

Oder ist das etwa gerecht, Herr Wüthrich? Nein, natürlich nicht, sagt er: «Aber das ist eine Realität unserer Wirtschaftswelt.»

In dieser «Wirtschaftswelt», ja, in unserer ge­samten Gesellschaft, scheint einiges ausser Kontrolle geraten zu sein: die Löhne in der Wirtschaft, die Entschädigungen für irgendwelche Mandate, die Ansprüche der Politiker. Aber auch unsere ­An­sprüche an die Politiker. Carlo Conti hat diesen Ansprüchen 14 Jahre lang genügt. Und ist am Schluss an ihnen gescheitert.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 10.01.14

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