Der Fall in Raten

So undurchdringlich wie immer wieder heraufbeschworen war das Bankgeheimnis nie. Die Schweiz musste auf ausländischen Druck immer wieder Kompromisse eingehen und Eingeständnisse machen.

Abbau in Raten: Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Bankgeheimnis immer wieder unterhöhlt. (Bild: Michael Würtenberg)

So undurchdringlich wie immer wieder heraufbeschworen war das 1934 eingeführte Bankgeheimnis nie. Die Schweiz musste auf ausländischen Druck immer wieder Kompromisse eingehen und Eingeständnisse machen.

Was die innenpolitische Opposition und auch die EU-Nachbarn nicht zustande brachten, gelingt in unserer Zeit offensichtlich den amerikanischen Sheriffs. 1984 erlitt die von der SPS bereits 1979 lancierte Initiative gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses mit einer Ablehnung von 72 Prozent eine überdeutliche Abfuhr. Das Parlament war zuvor – aber erst dann – dem Anliegen wenigstens so weit entgegen gekommen, als es in Fällen von Steuerbetrug eine internationale Rechtshilfemöglichkeit einführte.

Für das massive Nein von 1984 waren die auch heute noch zirkulierenden Argumente ausschlaggebend: Schutz der Privatsphäre (vor allem der schweizerischen und weniger der auswärtigen Steuerbürger), der volkswirtschaftliche Faktor der Bankenbranche, die Steuerleistungen der Banken. Aus jener Zeit könnte übrigens das auch später gerne zitierte Wort von Bundesrat Willi Ritschard stammen, wonach das Bankgeheimnis «unantastbar wie eine Klosterfrau» sei – eine Männermetapher.

Angriffe auf eine Sache führen nicht zwangsläufig zu deren Schwächung. Sie können oft auch das Gegenteil bewirken. Im Falle des Bankgeheimnisses verliefen die Dinge jedenfalls so. Das 1966 erschienene Buch von Theodore Reed Fehrenbach über «The Swiss Banks. Gnomes of Zurich» war zwar als Kritik gemeint, es war zugleich aber eine enorme Reklame für das Kritisierte. Das bestätigte 1967 auch ein Diktum des Bundespräsidenten Roger Bonvin: «Die bösartigen und interessierten Angriffe auf unsere Banken werden allerdings erst aufhören, wenn ihre Urheber merken, dass gerade ihre Übertreibungen den Mythos des schweizerischen Bankgeheimnisses schaffen und in weiten Kreisen im Ausland eine unentgeltliche und doch wirksame Propaganda für unsere Banken darstellen.»

Paralleler Aufbau und Abbau

Auch wenn dies nicht logisch erscheint, der Aufbau des Bankgeheimnisses und der Abbau liefen parallel zueinander. Der in diesen Tagen wieder vermehrt spürbare Druck aus den USA ist überhaupt kein Novum.

•    1945/46 konfiszierte die Schweiz völlig rechtswidrig, ebenfalls unter massivem Druck der USA, sämtliche privaten Vermögenswerte, die von deutschen Staatsbürgern in der Schweiz deponiert worden waren, und händigte sie dann teilweise den Siegern aus.

•    1972 «knackten» die USA (wie man einem Tresor zu Leibe rückt) das Bankgeheimnis im Zusammenhang mit Mafiageldern, indem sie handelspolitische Retorsionsmassnahmen bei Uhren und Käse androhten.

•    Mitte der 1980er-Jahre musste die Schweiz auf Druck der USA eine Strafnorm für Insidergeschäfte einführen. Zuvor war die Schweizerische Volksbank in diesem Zusammenhang temporär von den amerikanischen Börsen ausgesperrt.

•    1990 machte das französische Satireblatt «Canard enchaîné» nicht ohne Genugtuung darauf aufmerksam: «Le secret bancaire suisse n’est plus vraiment ce qu’il était… .» Es verwies auf mehrere gegenüber den USA eingegangene Verpflichtungen bezüglich der Feststellung der Identität von Bankkunden.

•    Im Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA von 1996 verpflichtete sich die Schweiz, eine Quellensteuer auf Anlagen von US-Bürgern zu erheben und weiterzuleiten. Konrad Hummler hatte Recht, als er 2009 sagte, das schweizerische Bankgeheimnis gegenüber den USA sei nicht erst 2009, sondern bereits 1996 gehörig relativiert worden.

•    1997 mussten die «Nachrichtenlosen Vermögen» offengelegt werden.

•    1998 musste die Schweiz eine Strafnorm gegen Geldwäscherei einführen.

•    In einem weiteren Schritt forderten die USA eine Neuregelung des Doppelbesteuerungsabkommens und ein (2000/01 zugestandenes) Auskunftssystem und Quellensteuern auf Zinserträgen sogar für Doppelbürger (allerdings ohne Namensnennung).

Der Anfang vom Ende zieht sich also schon eine ganze Weile hin und schien noch längere Zeit nicht zu Ende zu gehen. Wie der Fall Wegelin&Co zeigt, lohnte es sich offenbar, obwohl das Ende absehbar und das Risiko bekannt war, nach 2008 für ein paar Jährchen nach dem alten Geschäftsmodell weiterzumachen.

Zwischen alten und neuen Haltungen

Man könnte sagen, dass 1984 die Zeit für die Volksinitiative zur Einschränkung des Bankgeheimnisses trotz des vorangegangenen Chiasso-Skandals eben noch nicht reif war. Wäre sie es heute? Noch bis vor wenigen Jahren erzielte das Bankgeheimnis deutliche Umfragewerte von 80-90 Prozent Zustimmung. Heute sind die Verhältnisse wie bei vielem unklar. Im vergangenen Jahr waren gemäss «Sonntagsblick» von 600 Befragten nur noch 35 Prozent für die Verteidigung der alten Ordnung und 56 Prozent der Meinung, man solle auch im Falle der gewöhnlichen Steuerhinterziehung mit dem Ausland kooperieren (zumal die inländische Steuerhinterziehung davon unberührt blieb).

Es gab einmal eine Zeit, um 20003/04, da wollte man das Bankgeheimnis wie den Gotthard verteidigen. Sechs Kantone (AG, TI, ZH, GE, BL und ZG) setzten sich mit Standesinitiativen für die Rettung des Bankgeheimnisses ein. Es sollte sogar in der Bundesverfassung festgeschrieben werden, analog zu ähnlich sonderbaren Versuchen, die Neutralität oder die Distanz zur EU in der Verfassung zu verankern. Im 2006 erteilten beide Eidgenössischen Kammern diesen Vorstössen mit Hinweise auf die veränderten internationalen Gegebenheiten jedoch eine deutliche Absagen.

Dass man mit dem Schutz von Steuerflüchtlingen krasse Verstösse gegen Gesetze anderer Staaten schützte, ja dazu ermunterte («aktiv unterstützte«), war kein Problem, denn diese Staaten waren gemäss diesem Verständnis doch selbst schuld, wenn sie mit «räuberischen» Abschöpfungen ihre Bürger geradezu in die Arme der Swiss Bankers trieben. Ein weiteres beliebtes Argument war, dass die Schweiz mit ihren Fluchtangeboten für die auswärtigen Steuersysteme eine segensreiche Wirkung habe, weil sie dafür sorge, dass die Steuern im Ausland nicht beliebig in die Höhe gingen. Noch heute kann man zu hören bekommen, dass Aktionen, die im Ausland als kriminell eingestuft werden, problemlos seien, solange sie kein schweizerisches Recht verletzten, und dass Schweiz doch nicht die Steuereintreiberin «für den Rest der Welt» sei (noch in einem NZZ-Leserbrief 7. Feb. 2012).

Dass das schweizerische Recht – auch in diesen Fragen – internationalen Standards genügen sollte, hat in dieser Art des Denkens offensichtlich keinen Platz. Sonderbar war oder ist doch auch das Wegschauen der schweizerischen Bankenaufsicht (FINMA), welche vom Transfer von UBS-Schwarzgeldkunden zu anderen Schweizer Banken wusste, aber nichts unternahm, weil es dazu keine Rechtsgrundlage gebe.

Kritik an dieser einzelgängerischen Haltung lässt sich die schweizerische Mehrheit nicht von allen Seiten in gleichem Masse gefallen. Ganz schlecht kommen die Vorhaltungen an, wenn sie von der EU und insbesondere wenn sie von «den Deutschen» kommen. Interessanterweise sind die Reaktionen auf amerikanische Gegenaktionen in der Regel erstaunlich milde. Die Schweiz reagierte bisher jedenfalls nicht in dem Masse mit antiamerikanischen Reflexen, wie sie zu Anti-Brüssel-Reflexen neigt. Am schwächsten ist das Abwehrpotenzial gegenüber den Vorhaltungen der OECD. Es brauchte die Drohungen dieser Institution, dass sich die massgebenden Kräfte der Schweiz auf eine Angleichung an internationale Standards einliessen und sie somit das gerne beschworene Prinzip der Rechtsstaatlichkeit auch in seiner transnationalen Dimension anerkannten.

Wundersame Wortgebilde

Die im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Frage des Bankgeheimnisses verwendeten Bilder und Begriffe sollte man vielleicht nicht ernster nehmen, als sie sich selber verstehen. Bekanntlich wurde vom Begriff der «Oase», die ausgetrocknet werden sollte, mit einer an sich einleuchtenden Logik gesagt, dass bei diesem Verständnis die restliche Welt demnach eine «Wüste» sei. Das Bild des «Dammbruchs» darf nicht zu wörtlich verstanden werden, hier geht es darum, die Grenzen der entgegengesetzten Abwehrbemühungen in ein Bild zu kleiden. Stimmiger und der Schweiz besser entsprechend erscheint die wegen der Vielzahl der bereits eingetretenen Löcher häufig verwendete Emmentaler-Metapher.

In den Zeitungskommentaren wechseln die Bilder vom schlagartigen und vom schleichenden Wandel. In der einen Variante heisst es, dass das Bankgeheimnis per Weisung über Nacht „aufgehoben“ worden (TA vom 19. Februar 2009) oder in der anderen Variante dass der „Abgesang“ längst eingeläutet sei. Im „Magazin“ vom 22. Juni 2002, also vor bald einem Jahrzehnt, konnte man unter dem Titel „Begrenzte Haltbarkeit“ nachlesen, wie wenig vom Mythos Bankgeheimnis noch übriggeblieben ist, der Kampf ums Bankgeheimnis sei längst verloren, es sei schon beinahe abgeschafft. Hinzu kamen weiter wundersame Wortschöpfungen. Nach dem Aufweichen und Lockern kam das Bild vom Anfang vom Ende und vom Zu-Grabe-Tragen.

Am Schluss gibt es wenigstens einen «Kerngehalt» zu retten, nur um nicht, was man in der Schweiz grundsätzlich ungern tut, zugeben zu müssen, dass sich die Welt ändert. Was gehört zum Kern? Die Opferung ausländischer Steuersünder mit einem mehr oder weniger ruppigen Übergang zu einer so genannten Weissgeldstrategie kann man offenbar noch hinnehmen. Den lieben Eidgenossen aber sollte der Schutz der Privatsphäre vor dem eigenen Staat unbedingt erhalten bleiben. Allerdings: Haben sich nicht bereits auch einzelne Kantone, die ganz gerne an mehr Steuereinnahmen herankämen, überlegt, dass für sie doch billig sein soll, was für die USA recht ist?

 

Unzutreffende Geschichtsbilder

Wie alles hat auch das Bankgeheimnis eine Geschichte. Darum können sich auch Historiker dafür interessieren. Es gibt aber einen darüber hinaus gehenden Grund dafür, dass historisches Interesse angebracht ist: Es braucht in unserer schnelllebigen Zeit ein gutes Gedächtnis, wenn man sich noch daran erinnern wollte, was nicht nur gestern, sondern vorgestern war. Anderseits ist die Geschichtsschreibung «à chaud», wie man im französischen Sprachraum sagt, eine problematische Geschichtsschreibung, weil sehr gegenwartsnahe und beinahe nur noch chronikalisch.

Zudem besteht eine gleichbleibende Aufgabe darin, unzutreffende Geschichtsbilder (wie im ersten Teil geschehen) zu korrigieren. Solche melden sich regelmässig in der Auseinandersetzung mit dem Bankgeheimnis, von Seiten sowohl der Verteidiger wie der Kritiker. Und dies eben im Moment, da diese Zeilen verfasst werden. Eine D.B. aus ZH bemüht die mythische Vergangenheit :«Unsere Vorfahren haben Steuervögte ohne Wenn und Aber aus dem Land vertrieben.» Sie scheint überhaupt nicht zu wissen, wie sehr die in der Schweiz lebenden Menschen in früheren Zeiten stets abgabepflichtig waren. Und ein R.P.H. aus Herrliberg geht ebenfalls, aber auf andere Art von idealisierten Vorstellung aus, wenn er annimmt, dass weniger guten Zeiten bessere vorausgegangen sind: «Einst bot das Bankgeheimnis Vermögenswerten politisch Verfolgter Schutz vor dem Zugriff ihrer Häscher. Doch schon bald wurde es zur Fluchtburg nationaler und internationaler Steuerbetrüger.» (NZZ vom 9. Februar 2012).

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