Die Ägypter sind ein fussballbegeistertes Volk. Weil in der heimischen Liga seit Februar 2012 nicht gespielt wird, stehen die im Ausland spielenden Profis ganz besonders im Fokus. Allen voran Mohamed Salah.
Wer sich über die Spiele des FC Basel informieren will, kann das auch in einer ägyptischen Tageszeitung tun. Und wer nicht warten will, bis das Blatt gedruckt erscheint, nützt den SMS-Service von Mobilnil, der jedes Tor von Mohamed Salah sofort verkündet, wenn es gefallen ist. Oder er verfolgt die grossen Spiele Minute für Minute auf spezialisierten Web-Portalen wie Kingfut.
Spätestens seit seinen beiden Toren gegen den grossen Chelsea FC in der Champions League überschlagen sich die Kommentatoren mit ihren Lobeshymnen auf den jungen «ägyptischen Magier», den «elektrisierenden Flügel», der scheinbar ganz allein für die nationalen und internationalen Meriten des Schweizer Meisters verantwortlich ist. Zitat: «Er hat Basel wohl im Alleingang in die Gruppenphase der Champions League geführt.»
Die Begeisterung über Salahs Leistungen im Ausland ist umso grösser, als in Ägypten selbst derzeit kein professioneller Fussball gespielt wird. Seit der Fussball-Tragödie Anfang Februar 2012 in Port Said, als nach einem Match zwischen dem lokalen al-Masry Club und al-Ahly aus Kairo bei einer Massenpanik über 70 Al-Ahly-Ultras ums Leben kamen, ist der Spielbetrieb der ägyptischen Liga unterbrochen. Die politischen Unruhen haben ein Weiteres dazu getan, dass der Neustart der Liga aus Sicherheitsgründen immer wieder hinausgezögert werden musste. Neuer Termin ist der 26. Dezember. Aber auch der wackelt schon wieder.
Fussball als Lebenselixier
«Kora» – Fussball ist aber so etwas wie das Lebenselixier vieler Ägypter. Er macht nicht nur Spass, sondern sorgt für Ablenkung und verbindet über alle gesellschaftlichen und politischen Grenzen hinweg. Geblieben sind den Fussballfans allerdings bloss die internationalen Wettbewerbe. Al-Ahly ist immerhin eben wieder Afrika-Meister geworden und war diese Woche an der Club-WM engagiert. Doch die Nationalmannschaft ist auf dem Weg an die Weltmeisterschaft in Brasilien an Ghana gescheitert. Da können eigentlich nur noch jene Pharaonen, die im Ausland spielen, als Mittel gegen Fussball-Tristesse wirken.
Mehrere junge Spieler haben sich in der turbulenten Krisenzeit neu orientiert, die heimische Komfortzone verlassen und ihre Chancen im Ausland gesucht, vier von ihnen in der Schweiz. Salah hat alle anderen ausgestochen, hat die schnellste, steilste Karriere gemacht. Und das, obwohl das Fussballtalent aus dem Nildelta-Dorf Basyoun zuvor bei keinem der grossen ägyptischen Vereine unter Vertrag gewesen war.
Der Kairoer Club al-Mokawloun, die Bergwölfe, sind die Werksmannschaft des staatlichen Baugiganten Arab Contractors und lagen in der letzten gespielten Saison 2010/2011 auf Rang 16 in der ersten Liga. Salah war zwar an der U20-WM in Kolumbien aufgefallen und hatte im September 2011 als 19-Jähriger erstmals das Trikot der A-Nationalmannschaft getragen. Wirklich zum Star aber wurde er erst nach seinem Wechsel zum FCB.
Ägyptische Kommentatoren bescheinigen ihm, dass er sich in Europa schnell eingelebt und in das Basler Team eingefügt habe und dort im Strafraum wie der Dirigent eines Orchesters auftrete. Einziger Kritikpunkt: noch zu wenig Abgeklärtheit vor dem gegnerischen Tor.
Akribisch wird analysiert, warum ausgerechnet Salah der Durchbruch gelungen ist, während eine ganze Reihe anderer ägyptischer Spieler gescheitert ist. Fazit: Schuld waren jeweils ein zu wenig professionelles Auftreten und fehlende Bescheidenheit dieser gehätschelten Stars mit grossem Ego, die meistens vom Grossclub al-Ahly kamen.
Gelobte Zurückhaltung
Sie konnten sich nicht anpassen, kamen zu spät zum Training. Kurz, verhielten sich weiterhin wie Diven. Salah dagegen war in der Heimat, bei Arab Contractors, noch keine Berühmtheit. Für die Ägypter ist klar: Den Ausschlag für Salahs Erfolg haben also vor allem Faktoren ausserhalb des Spielfeldes gegeben.
Neben seinen fussballerischen Qualitäten werden deshalb vor allem auch persönliche Eigenschaften wie Bescheidenheit und Zurückhaltung gelobt. Salah gibt selten Interviews, das gilt auch für die ägyptischen Medien. Er hat auch keinen «Künstlernamen» wie viele seine ägyptischen Kollegen.
Bereits werden Vergleiche mit Weltfussballer Lionel Messi angestellt.
Für die überschwänglichen Hymnen zeichnen Journalisten verantwortlich. Bereits werden Vergleiche mit Weltfussballer Lionel Messi angestellt, etwa weil der in seinen acht Spielen gegen Chelsea noch kein Tor schiessen konnte. Oder es wird mit Genuss ein englischer Kommentator zitiert, der meint, Salah könnte der neue Gareth Bale werden. Und der ist ja im Sommer dank seinem rund 120 Millionen Franken teuren Transfer zu Real Madrid zum teuersten Spieler der Welt geworden.
Vater wünscht sich Liverpool
Das beliebteste Ratespiel sind derzeit Spekulationen über einen Clubwechsel des ägyptischen Offensivtalents. Weil Salah bestimmt stolz sein würde, in einem Wettbewerb zu spielen, der härter und physisch anspruchsvoller wäre als die Schweizer Meisterschaft. So, wie etwa die englische Premier League. Aber auch Vereine aus Italien oder Deutschland stehen auf der Liste. Salah selbst wird zitiert, er wolle vor allem spielen und nicht irgendwo einen Stammplatz auf der Ersatzbank zugewiesen erhalten.
Seinen Wert schätzen ägyptische Fussball-Spezialisten auf mindestens 60 Millionen ägyptische Pfund (etwa acht Millionen Franken). Was interessanterweise unter den Erwartungen liegt, die in der Schweiz geschürt werden. Hier ist die Rede von rund 18 Millionen Franken, die Salah dem FCB in die Kassen spülen könnte.
Unabhängig von solchen Spekulationen zeigte sich Mohameds Vater kürzlich im Interview im privaten ägyptischen TV stolz, dass sein Sohn trotz des Ausscheidens in der WM-Qualifikation gegen Ghana ein Tor geschossen hatte. Und er wünschte sich sogleich den FC Liverpool, der immer wieder gerüchteweise mit Salah in Verbindung gebracht wird, als nächste Station. Ob der Vater bereits mehr über Salahs Zukunft weiss?
Zukunft des ägyptischen Fussballs
Im eigenen Land bezeichnete ihn Bob Bradley, der im November zurückgetretene amerikanische Trainer des Nationalteams, als die Zukunft des ägyptischen Fussballs. Bereits 2012 war Salah zum besten afrikanischen Nachwuchsfussballer gewählt worden. Und sein Name wird schon jetzt im gleichen Atemzug genannt wie der von Mohamed Aboutreika, dem aktuellen Stürmerstar der Nationalmannschaft, und jenem von Mahmoud Khatib, der in den 1980er-Jahren seine grosse Zeit hatte.
Die Wachablösung wird allerdings noch etwas auf sich warten lassen. In die engere Auswahl zum besten Spieler Afrikas hat es auch in diesem Jahr noch einmal der 35-jährige Aboutreika geschafft, während Jungstar Mohamed Salah ausgeschieden ist.
Die Krux mit den ägyptischen Freunden
Fast 480 000 Freunde hat der FC Basel auf Facebook. Mehr als zehnmal so viele wie alle anderen Schweizer Clubs zusammen. Was zu grossen Teilen mit Mohamed Salah zu tun hat – und in etwas geringerem Masse mit Landsmann Mohamed Elneny, der ebenfalls beim FCB spielt. 200 000 der Facebook-Freunde des FCB kommen nämlich aus Ägypten.
Ja, gemäss Facebook ist nicht Basel die Stadt, in der die meisten Anhänger von Rotblau leben – sondern Kairo.
Für den FCB ist dieser Fan-Zuwachs einerseits erfreulich. Andererseits sieht sich der Club auch mit Problemen konfrontiert. «Die ägyptischen User schreiben viel», erzählt Remo Meister, Leiter Marketing/Kommunikation.
Das hat zur Folge, dass die Posts von deutsch- oder englischsprachigen Fans untergehen können.
Als der FCB gegen Maccabi Tel Aviv anzutreten hatte, gab es eine derartige Flut an arabischen Nachrichten, dass der FCB Angst vor beleidigenden oder politisch inkorrekten Kommentaren hatte.
Einen Arabisch-Übersetzer wird der FCB trotzdem nicht einstellen. «Aber wir überlegen uns, ab und zu eine Nachricht auf Arabisch abzusetzen, die dann nur für Fans in jener Sprachregion sichtbar ist», sagt Meister. Das soll den Informationshunger der ägyptischen Fans stillen und zugleich die Flut an arabischen Nachrichten unter jenen Posts eindämmen, die nichts mit Salah oder Elneny zu tun haben. Florian Raz
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 20.12.13