Drei Anschläge an einem Tag in Tunesien, Libyen und Ägypten tragen alle die Handschrift von IS-Jihadisten. Die Terroristen stossen gezielt in die Lücken der schwachen oder nicht-existenten staatlichen Autoritäten. Die grösste Gefahr geht von Libyen aus.
In Arish im ägyptischen Nord-Sinai, in Khoms ausserhalb von Tripolis und in Tunis haben sich am Dienstag innerhalb von wenigen Stunden Bombenanschläge ereignet, die viele Tote forderten. Ihre Urheber sind in allen Fällen in den Reihen jihadistischer Extremisten zu suchen.
In Arish hat Wilayat Sinai, der lokale IS-Ableger, die Verantwortung für zwei Selbstmordanschläge auf das Hotel Swiss Inn übernommen. Sieben Menschen, darunter zwei Richter, waren dort ums Leben gekommen. Die Richter hatten in den Vortagen die Parlamentswahlen organisiert, die der IS mit Drohungen und einem Mordanschlag ausgerechnet auf den religiösen Kandidaten der salafistischen al-Nour-Partei zu stören oder gar zu verhindern versucht hatte. Die Anschläge sehen aus wie eine Strafaktion dafür, dass doch überdurchschnittlich viele Bürgerinnen und Bürger an die Urnen gegangen sind.
Staatliche Schwäche blossgelegt
Nach der Entmachtung der Islamisten im Sommer 2013 haben Jihadisten im Nord-Sinai einen Aufstand gegen die Armee lanciert. Trotz der letzten massiven Militäroperation im September, bei der 500 Extremisten getötet worden sein sollen, konnte der IS in der Stadt Arish, die an den Wahltagen einer Festung glich, erneut zuschlagen. Ende Oktober gelang es dem IS mit dem Bombenattentat in Sharm al-Sheikh auf die russische Chartermaschine sogar, die Schwäche des ägyptischen Staates zum ersten Mal ausserhalb seines Einflussbereiches im Nord-Sinai blosszulegen.
Wenn es keinen soliden, politisch und sozial gerechten Staat gebe, würden die Terrorgruppen ihren Platz finden. So beschreibt Nageh Ibrahim, ein führender ehemaliger ägyptischer Jihadist in einem Interview mit einer lokalen Zeitung die wichtigste Gemeinsamkeit, die sich wie ein roter Faden auch durch die drei nordafrikanischen Länder zieht. In Tunesien versucht der IS mit allen Mitteln die nach dem Sturz der Diktatur noch schwache Demokratie aus den Angeln zu heben. Mit einem blutigen Anschlag mit 13 Toten auf die Präsidialgarde schlugen die IS-Terroristen am Dienstag im Zentrum der Macht zu. Nach den Überfällen auf das Bardo-Museum und die Hotelanlage in Sousse, beide ebenfalls vom IS reklamiert, ist das die dritte schwere Terrorattacke in diesem Jahr.
Guter Nährboden für die Rekrutierung
In Tunesien selbst gibt es eine grosse Zahl lokaler Unterstützer. Mit 3000 Kämpfern schickt das kleine nordafrikanische Land im Verhältnis am meisten Jihadisten an die verschiedenen regionalen Schauplätze. Mit dem zunehmenden Chaos im Nachbarland Libyen nach dem Zusammenbruch der Gaddhafi-Diktatur hat sich die Gefahr für Tunesien selbst massiv erhöht.
Libyen ist zu einem Anziehungspunkt für Jihadisten aus der ganzen Region geworden, die in mehreren Lagern ausgebildet werden. Libyen hatte früher zudem Zehntausenden jungen Tunesiern Arbeit geboten. Jetzt verschärft die hohe Arbeitslosigkeit Frust und Hoffnungslosigkeit; ein idealer Nährboden für die Rekrutierung von Jihadisten. Libyen ist darüber hinaus ein einziges grosses Waffenlager, von dem aus das Arsenal für die Terroristen in die ganze Region geschmuggelt wird.
Der IS ist nicht nur eine Gefahr für die ganze Region – Italien hat er bereits offen mit der Einschleusung von Terroristen über das Mittelmeer gedroht – auch im Land selbst, gewinnt er zunehmend an Stärke. Am Dienstag explodierte in Khoms eine Autobombe an einem Militär-Checkpoint, die fünf Menschen in den Tod riss.
Vormarsch auf die Öleinrichtungen
Libyen hatte nie staatliche Institutionen, die diesen Namen verdienen. Nach Gaddhafis Fall herrschte deshalb ein totales Machtvakuum. Bevor neue Institutionen aufgebaut werden konnten, machten sich Hunderte Milizen breit. Im vergangenen Jahr zerfiel das Land in zwei parallele Administrationen mit ihren eigenen militärischen Verbänden. Aber weder der Block in Tobruk noch jener in Tripolis kann wirklich Autorität ausüben.
Dem IS gelang es deshalb nach und nach in den Städten Derna, Sirte – einer ehemaligen Gaddhafi-Hochburg – und Sabratha die Macht an sich zu reissen. In den letzten Wochen erfolgte der Vormarsch nach Ajdabiya mit dem Ziel, die Öleinrichtungen in dieser Region unter seine Kontrolle zu bringen.
Dennoch nehmen beide der Machtblöcke die IS-Gefahr nicht wirklich ernst. Sie bekämpfen sich gegenseitig und weigern sich einen unter UN-Vermittlung ausgearbeiteten politischen Kompromiss zu unterzeichnen. Martin Kobler, der neue UN-Repräsentant für Libyen, erklärte deshalb nach seinem Amtsantritt dieser Tage, der IS sei die grösste Bedrohung für Libyen, er werde jeden Tag stärker, darum müssten sich alle Parteien vereinen, um den Extremisten die Stirn bieten zu können.