Der Israel-Graben

Bei kaum einer anderen Frage sind das rechte und das linke politische Lager derart klar und leidenschaftlich positioniert wie bei der Beurteilung der Israel-Frage. Warum eigentlich?

Christian Waber, ehemaliger Nationalrat der EDU, will die Bevölkerung über die «wahren Verhältnisse» in Israel aufklären. (Bild: Tomas Wüthrich)

Bei kaum einer anderen Frage sind das rechte und das linke politische Lager derart klar und leidenschaftlich positioniert wie bei der Beurteilung der Israel-Frage. Warum eigentlich?

Die 50, die will Christian Waber unbedingt noch vollmachen. Es ist seine persönliche Mission, sein Erbe. Der EDU-Politiker trat 2009 aus dem Nationalrat zurück und war wohl einer der letzten nationalen Parlamentarier, die ihren Glauben wie eine steil aufgerichtete Lanze vor sich hergetragen haben. Gegen Drogen, gegen Abtreibung, gegen die Schwulenehe – Waber aus Wasen im Emmental war der möglichst buchstabengetreue Umsetzer des Alten Testaments im Bundeshaus.

Die wahre Berufung während seines Politikerlebens war dabei das Volk ­Israel, in seinen Augen der letztgültige Gottesbeweis. Er sagt: «Wenn wir akzeptieren, dass es einen Gott gibt, akzeptieren wir auch seinen Plan für Is­rael und das auserwählte Volk.» Um dem göttlichen Plan auch in der Schweizer Politik zum Durchbruch zu verhelfen, gründete Waber im Jahr 2008 die parlamentarische Gruppe Schweiz–Israel. Sein Erfolg war gross: 46 Parlamentarier schrieben sich in der ver­gangenen Legislatur ein, besuchten Vorträge und Veranstaltungen, und ein kleiner Teil der Gruppe reiste auch regelmässig nach Israel, um die «wahren Verhältnisse» zu begutachten.

Wiederaufbau

Nun, in der neuen Legislatur, wirkt Waber als Sekretär der parlamentarischen Gruppe bei deren Wiederaufbau mit. 45 Parlamentarier hat er schon beisammen, mit Ausnahme von den Grünen und der BDP aus allen Fraktionen, «50 ist das Ziel». Es gehe ihm darum, ein Gegengewicht zu bilden. Zu der «verzerrten Berichterstattung» in den Medien, zu den Linken und Grünen, «die halt nicht so göttlich sind wie die Rechten», wie er lachend sagt und dann ernst ergänzt: «Von den Linken wird die ganze Problematik unter dem falschen Stichwort der Gerechtigkeit verharmlost.»

Einer dieser Linken ist Geri Müller, grüner Nationalrat aus dem Aargau und ebenfalls in einer parlamentarischen Gruppe. Bis zum Beginn der neuen Legislatur hiess sie «Schweiz–Palästina», heute wird sie unter dem Eindruck der Revolutionen im arabischen Raum unter dem Titel «Schweiz–Naher Osten» geführt und ebenfalls neu aufgebaut. 26 Mitglieder hat die Vereinigung, Geri Müller ist eines der aktivsten. Mit seiner Kritik an der israe­lischen Siedlungspolitik hat er schon mehr als einmal den Zorn der Gegenseite auf sich gezogen. Als er im Februar dieses Jahres einen Vertreter der Hamas im Bundeshaus empfing, protestierte der israelische Botschafter; nach einer flammenden Rede vor drei Jahren gegen die israelischen Angriffe im Gazastreifen brach Müllers Mailserver unter der Last der eintreffenden Hass-Mails zusammen.

Starre Blöcke

Waber und Müller sind zwei unterschiedliche Beispiele für das gleiche Phä­nomen. Immer wenn israelische Vorgänge in der Weltöffentlichkeit zum Thema werden, wenn zum Beispiel ältere deutsche Schriftsteller ein umstrittenes Gedicht veröffentlichen, sind die Eruptionen des Konflikts bis tief in die Schweiz, bis tief ins Bundeshaus zu spüren. Die Konfliktlinien verlaufen dabei immer gleich: Es sind die Rechten, die pro Israel und Mitglied von Wabers Gruppe sind. Und es sind die Linken, die pro Palästina und Mitglied in Müllers Gruppe sind.

Gottgegeben sind diese klaren Zuweisungen allerdings nicht. Beide ­politischen Blöcke haben eine längere Entwicklung hin zu ihrer heute unverrückbaren Position hinter sich. Besonders schön illustrieren lässt sich das am Beispiel der SVP, der mit Abstand is­raelfreundlichsten Partei im Bundeshaus. Noch vor einem Jahrzehnt hat die Partei während der Nazi-Gold-Debatte ziemlich unverfroren antijüdische Vorurteile bedient. Jene des geldgierigen Händlers etwa, sagt Jo Lang, alt Nationalrat der Grünen und Historiker: «Heute hat die Muslimfeindlichkeit die Judenfeindlichkeit im rechtskonservativen Lager abgelöst.»

Wendepunkt sei der 11. September 2001 und der damit in den Fokus rückende Kulturkampf des Westens gegen den Islam gewesen. Israels Rolle in der Welt wurde von den Rechten umgedeutet. Nun war das Land Brückenkopf und Bollwerk gegen die «islamische Bedrohung», die letzte Demokratie im wilden Arabien. Auch die christlichkonservative Basis hat diesen Prozess durchgemacht – und das nicht nur in der Schweiz, wie Lang in einem Aufsatz für den «Tages-Anzeiger» nachwies. Der rechte Fernsehprediger Jerry Falwell aus den USA bezeichnet den «Bible Belt» heute als Israels «Sicherheits­gürtel». Der gleiche Prediger hatte noch vor zehn Jahren die grosse jüdische Weltverschwörung gewittert und verkündet, der Antichrist sei ein Jude.

Im rechten Lager wird die Hinwendung zum israelfreundlichen Standpunkt etwas prosaischer erklärt. So sei die SVP jene Partei, die sich noch am ehesten getraue, für christliche Werte einzustehen und sich nicht fürchte, eine Minderheitenposition einzunehmen, sagt Waber. «Als Israel-Freund ist man in der Schweiz in der Minderheit. Ja beinahe stigmatisiert. Da braucht es Mut, hinzustehen.»

Bewegung bei der Linken

Als offizieller Präsident der Gruppe wird das in dieser Legislatur Erich von Siebenthal tun, ein Berner SVP-Nationalrat. Auch für ihn leitet sich die Unterstützung von Israel aus der Bibel ab, allerdings gehe es auch darum, der letzten verbleibenden Demokratie im Nahen Osten nach Kräften zu helfen.

Darum ging es auch den Linken – jedenfalls bis zum Ende der 1960er-Jahre, als sie, und mit ihr ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung, noch mehrheitlich israelfreundlich eingestellt waren. Während die Linken ihre Sympathien für das jüdische Volk aus dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs und den eigenen Kommunen-Erfahrungen im Kibbuz ableiteten, war es für den Rest der Bevölkerung ein feinstofflicheres Empfinden der Gemeinsamkeiten. Der gleichen Umstände, des Sonderfalls, des Kleinen inmitten der Anderen. Eine fundamentale Verschiebung dieser Empfindung fand 1967 statt, als Israel im Sechstagekrieg die Golanhöhen, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem besetzte. Beschleunigt wurde die Abwendung von Israel zudem durch die in Europa entstehende Dritt-Welt-Bewegung. Plötzlich stand es isoliert da: «Die Palästinenser wurden damals ein Symbol für ein unterdrücktes Kolonialvolk – und sind es bis heute geblieben», sagt Jo Lang.

Seither werden von den Linken mit der gleichen Ausdauer die Völkerrechtsverletzungen der Israelis angeprangert, wie von den Rechten die Unantastbarkeit von «Gottes Volk» postuliert wird. Die Unversöhnlichkeit, mit der sich ­Israelis und Palästinenser im Gebiet rund um Jerusalem gegenüberstehen – sie findet ihre Fortsetzung in den Hallen des Bundeshauses.

Malama wills richten

Es ist der Basler FDP-Nationalrat Peter Malama, der nun die Hand ausstreckt und die Lager versöhnen will. Er ist Vizepräsident der Gruppe Schweiz–Israel und er sagt: «Wenn wir verlangen, dass in Israel Frieden herrschen soll, dann müssen wir das vorleben.» Er werde, so verspricht Malama, in der neuen Legislatur eine Zusammenarbeit zwischen den parlamentarischen Gruppen anregen. Dieser Annäherungsprozess, das zeigt das Beispiel im Nahen Osten, dürfte allerdings etwas länger dauern.

 

Quellen

Geri Müller und die Hamas

Auflistung aller parlamentarischen Gruppen

Interview mit Christian Waber auf livenet.ch

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20.04.12

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