Der Kampf zwischen den «kapitalistischen Ausbeutern» und den «linken Landesverrätern»

Als der 1. Weltkrieg eigentlich schon vorbei war, wurde die Schweizer Armee erst richtig aktiv. Ihr Kampf galt dem inneren Feind, der Arbeiterschaft. Es war der traurige Höhepunkt einer längeren Auseinandersetzung, die unseren Chronisten Victor Haller brennend interessierte.

(Bild: UB Basel)

Als der 1. Weltkrieg eigentlich schon vorbei war, wurde die Schweizer Armee erst richtig aktiv. Ihr Kampf galt dem inneren Feind, der Arbeiterschaft. Es war der traurige Höhepunkt einer längeren Auseinandersetzung, die unseren Chronisten Victor Haller brennend interessierte.

Unten gegen Oben, Arbeiter gegen Unternehmer, Sozialdemokraten gegen Bürgerblock: Dieser Gegensatz spielt in den Sammelalben unseres Chronisten Hauptmann Victor Haller eine zunehmend wichtige Rolle. Nach den lustig gemeinten Karikaturen aus Deutschland im ersten Band zu Kriegsbeginn («Hurra, hurra, wie wird das fein! Wir gehen jetzt nach Frankreich rein und wenn wir in Paris erst liegen, wir mit Marianne Tango schieben!»), sind spätestens im dritten und vierten Band vor allem Hinweise auf Versorgungsengpässe und die Teuerung, auf politische Auseinandersetzungen und den Landesstreik 1918 zu finden.

Vor den kantonalen und nationalen Wahlen 1917 interessierte sich Haller ganz speziell für die Propaganda der beiden Lager. Die Flugblätter der Sozialdemokraten einerseits und  der bürgerlichen Parteien andererseits, die sich nach dem Rückschlag im April bei den Grossratswahlen zum «Nationalen Block» zusammenschlossen.

Die Linken als Landesverräter?

Erst recht giftig wurde diese Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts nach der Rückbesinnung der SP auf ihre pazifistischen und internationalistischen Überzeugungen und ihrem Votum gegen die Landesverteidigung unter dem Feindbild Wille im Sommer 1917.

Mit ihrer Wendung gegen die Armee lasse die SP den «Krieg ins Land», sagten die Bürgerlichen. Das Münster, die Altstadt, die Brücken – alles werde zerbombt, nur wegen ihnen, alles werde den Bach runtergehen, beziehungsweise den Rhein. «So können wir es auch haben, wenn wir Vertreter nach Bern schicken, die gegen die Landesverteidigung stimmen», heisst es auf einem Flugblatt des Bürgerblocks für die National- und Ständeratswahlen in Basel.

Ein harter Vorwurf, den die Linke nicht auf sich sitzen liess. Die Pazifisten versuchten, den Gegner mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. So ist Basel auf dem Flugblatt der SP ebenfalls kaputt, aber selbstverständlich nicht wegen den Gegnern der Landesverteidigung, sondern wegen den anderen – dem Nationalen Block.

Linke wird stärker und stärker

Für Polit-Propaganda war das schon mal ein recht origineller Einfall. Noch mehr Stimmen brachten der Linken aber wohl die zunehmenden Versorgungsprobleme und die ungleiche Verteilung nicht nur der Lebensmittel. Während breite Kreise darbten, gab es einige Unternehmen, die vom Krieg profitierten. Das sorgte für Unmut, der sich auch in den Abstimmungsergebnissen niederschlug. Bei den Grossratswahlen im April 1917 erzielte die SP ein Spitzenergebnis – 42 Prozent der Stimmen. Auch auf nationaler Ebene legte sie 1917 von 15 Nationalratssitzen auf 20 Sitze zu. Zwei Jahre danach holte sie bei den ersten Nationalratswahlen im Proporzsystem sogar 41 Sitze.

In der Kriegszeit wurde der Widerstand von unten nicht nur lauter, sondern auch militanter, in der Politik ebenso wie auf den Strassen. Zumindest in Basel gab sich die Regierung in diesen Konflikten aber alle Mühe, nicht zur Partei zu werden, sondern zu vermitteln, möglichst offen für alle Anliegen – ein bisschen so wie unser Chronist Victor Haller.

Es ist eine Haltung, die sich in Basel bewährte.

Die Hoffnung auf Vernunft

1917 und 1918 schauten Haller und seine Quellen zwar gebannt über die Landesgrenze, wo nach dem russischen Zarenreich auch das deutsche Kaiserreich, die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie und das Osmanische Reich zusammenbrachen und in Russland (Oktober 1917) und Deutschland (November 1918) Revolutionen entbrannten. Es waren gewaltige Erschütterungen, die in ihren Ausläufern auch in der neutralen Schweiz noch zu spüren waren. Das machte Angst und löste Abscheu aus – zumindest auf der einen Seite. Auf der anderen aber auch Faszination und Hoffnung auf Reformen oder – vielleicht sogar – eine neue Gesellschaft.

Trotz diesen Umstürzen in Europa können Haller und seine Quellen in Basel noch immer auf einen Ausgleich der Interessen und damit einen friedlichen Ausgang der Grabenkämpfe hoffen. «Auf dem Wege des Räsonnements sollte es uns nicht schwerfallen, uns selbst zu überzeugen, dass für die Schweiz eine bolschewistische Gefahr nicht besteht», heisst es in einem Leitartikel der «National Zeitung», den Haller in seinem Album ablegte. Und weiter: «Der Bolschewismus ist ein Geschöpf Russlands, eine Reaktionsbewegung gegen den Zarismus und die Bürokratie. Er hat sich erhoben aus der Verzweiflung jenes sozialen Elends, das uns Gorki und Dostojewski mit erschütternden Worten schildern, er trägt in sich (…) den Hass früherer unterdrückter Revolutionen.»

Bundesrat und Armeespitze wollen durchgreifen

Anders wurde die Situation in der nationalen Politik eingeschätzt. Die Landesregierung und die Armeespitzen sahen die schlimmste Bedrohung nun nicht mehr an der Grenze, sondern im Innern. Dagegen wollten sie entschlossen vorgehen. Das führte dazu, dass das Schweizer Militär kurz vor der Demobilisierung doch noch aktiv wurde – in den Städten, im Einsatz gegen die aufgebrachten Arbeiter. Diese fühlten sich provoziert, die Massenproteste eskalierten. Resultat des Landesstreiks 1918: drei tote Arbeiter in Grenchen, eine ganze Reihe abgeurteilter Arbeitervertreter und noch tiefere Gräben in der Schweizer Gesellschaft. Eher glimpflich ging die Auseinandersetzung dagegen in Basel aus, wo es der Regierung noch einmal gelang, die Armee in die Schranken zu weisen.

Der Sieg der Scharfmacher

Es war aber das letzte Mal, weil die Scharfmacher nach dem Zusammenbrechen der Streikbewegung nun auch in Basel als Sieger dastanden – neben den Rechtsbürgerlichen aus dem Nationalen Block waren das die neu aufgekommenen Bürgerwehren und der im Landesstreik neu formierte Volkswirtschaftsbund als Vertreter der Basler Arbeitgeberschaft. Nach dem erzwungenen Rücktritt der beiden eher moderaten Regierungsräte Fritz Mangold und Armin Stöcklin setzten sich diese Kräfte auch bei der Ersatzwahl durch.

Der nächste Arbeiterkampf ging nicht mehr so glimpflich aus. Der eher improvisierte Protest der Färber in der Firma Clavel & Lindenmeyer im Juli 1919 entwickelte sich zu einem Generalstreik mit vier toten Demonstranten.

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