Der kosovarische Freiheitsheld, der in Frankreich als Kriegsverbrecher verhaftet wurde

Seine Gegner halten ihn für einen Kriminellen, seine Anhänger nennen ihn die Faust Gottes. Der kosovarische Politiker Ramush Haradinaj, der am Flughafen Basel-Mülhausen festgenommen wurde, beschäftigt die Justiz schon seit Jahren.

Former Kosovo prime minister Ramush Haradinaj, right, is rushed by police officers inside the Colmar courthouse, eastern France, Thursday Jan.5, 2017. Haradinaj is facing possible extradition to Serbia to face war crimes charges after being arrested at a French airport. (AP Photo/Jean-Francois Badias)

(Bild: JEAN-FRANCOIS BADIAS)

Seine Gegner halten ihn für einen Kriminellen, seine Anhänger nennen ihn die Faust Gottes. Der kosovarische Politiker Ramush Haradinaj, der am Flughafen Basel-Mülhausen festgenommen wurde, beschäftigt die Justiz schon seit Jahren.

Am Flughafen Basel-Mülhausen wurde am Mittwoch der ehemalige Kommandant der «Befreiungsarmee des Kosovo» (UÇK) und kurzzeitige Premierminister Ramush Haradinaj festgenommen. Die Inhaftierung Haradinajs erfolgte auf Grundlage eines internationalen Haftbefehls, der von Serbien erlassen wurde. Die Serben werfen Haradinaj vor, die Verantwortung für Kriegsverbrechen während des Kosovo-Krieges zu tragen.

Die französische Justiz wird nun prüfen, ob sie den kosovarischen Oppositionspolitiker ausliefert. Zwischen den ehemaligen Kriegsparteien Serbien und dem Kosovo sorgte die Inhaftierung für einen diplomatischen Eklat. Für die meisten Serben ist Haradinaj ein Kriegsverbrecher, für viele Kosovo-Albaner ein Freiheitskämpfer und Nationalheld.

Der serbische Premierminister Aleksandar Vucić bestätigte das Vorhaben Haradinajs Auslieferung zu beantragen: «Serbien wirft ihm zahlreiche kriminelle Taten vor, niemand hat das Recht eine unabhängige Strafverfolgung zu unterwandern.»

Empörung im Kosovo

Der kosovarische Präsident Hashim Thaçi zeigt sich empört: «Die Verhaftung ist inakzeptabel und ungerechtfertigt. Die UÇK hat einen Krieg für die Freiheit und Unabhängigkeit des Kosovo und gegen den Völkermord des Slobodan Milošević geführt.» Der kosovarische Oppositionsführer Visar Ymeri warf Thaçi wiederum vor, sein Normalisierungsprozess mit Serbien stärke «den Feind» und müsse abgebrochen werden.

Von dem internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) wurde Haradinaj bereits zweimal aus Mangel an Beweisen freigesprochen, allerdings auch, weil wichtige Zeugen eingeschüchtert oder ermordet wurden. Der erste Freispruch erfolgte 2008, der zweite im November 2012. Dem serbischen Sonderstaatsanwalt Vladimir Vukčević zufolge sollen 19 potenzielle Zeugen, die gegen Haradinaj aussagen sollten, unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sein.



epa03490152 A supporter of the former commander of the Kosovo Liberation Army Ramush Haradinaj with a sign in front of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia at the Hague, Netherlands, 29 November 2012. Media reports on 29 November 2012 state that the UN war crimes tribunal has cleared Ramush Haradinaj after a retrial in The Hague. EPA/KOEN VAN WEEL / POOL

«Kosovos Held» – Ein Anhänger von Haradinaj demonstriert 2012 vor dem Internationalen Strafgerichtshof. (Bild: KOEN VAN WEEL / POOL)

Angeklagt war Haradinaj unter anderem wegen der Beteiligung an Folter, Mord, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und der Verschleppung von Zivilisten. Unter den Opfern waren nicht nur Serben, sondern auch zahlreiche Roma und Albaner, die sich der UÇK widersetzt hatten. Das Gericht sah die geschilderten Verbrechen zwar als erwiesen an, argumentierte aber, dass es «keine direkten Beweise» für die Beteiligung des Angeklagten an einem «gemeinsamen kriminellen Unternehmen» gebe, und sprach Haradinaj daher frei.

«Für mich ist er ein Kriegsverbrecher.»

Carla Del Ponte

Florence Hartmann, die ehemalige Sprecherin des ICTY, interpretiert dieses Urteil als eine Niederlage des Gerichts, das sich von der Wahrheit abgewendet habe, und als einen Zusammenbruch des internationalen Justizsystems. »Wenn die drei ranghöchsten UÇK-Mitglieder unschuldig sind, wer hat dann diese Verbrechen begangen?«, kritisierte John Dalhuisen, Leiter der Europa- und Nahost-Sektion von Amnesty International, nach dem Freispruch Haradinajs im November 2012.

Die einstige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien Carla del Ponte, äusserte mehrfach ihre Kritik an der Politik im Westen und im Kosovo, die eine Verfolgung von kosovarischen Kriegsverbrechern erschwerte. Ramush Haradinaj war der einzige Angeklagte, der sich während des Verfahrens politisch betätigen durfte, was Carla del Ponte sauer aufstiess. In einem Interview mit der FAZ erklärte sie dazu 2006: «In der Entscheidung heisst es, er sei ein Sicherheitsfaktor für das Kosovo. Ich habe das nie verstanden. Für mich ist er ein Kriegsverbrecher.»  

Stabilität um jeden Preis

Ausserdem beklagte sich die Tessiner Chefanklägerin, dass sie weder von der Nato, noch von der Unmik in ihren Untersuchungen unterstützt wurde, sondern dass diese ihr bei der Arbeit Steine in den Weg gelegt hätten.

Es gelang dem ICTY nicht, die UÇK-Führer für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Laut der Schweizer Chefanklägerin Carla del Ponte lag das auch an dem Desinteresse der Politik im Kosovo und im Westen. Sie wirft der Politik vor, sich in die Justiz eingemischt und somit eine Verurteilung von Verbrechen erschwert zu haben.

Es ist kein Zufall, dass mit Hashim Thaçi und Ramush Haradinaj zwei ehemalige UÇK-Grössen zu den wichtigsten Politikern im Land aufstiegen. Der Westen setzte im Kosovo auf Stabilität und hatte scheinbar kein Problem damit, einen Staat mit mutmasslichen Kriegsverbrechern und Unterweltgrössen aufzubauen, die das Land als Selbstbedienungsladen betrachteten. Darunter krankt das Kosovo weiterhin.

Gelegenheitsjobs in der Schweiz

Die politische Laufbahn von Ramush Haradinaj führt auch über die Schweiz. Am 3. Juni 1968 wurde er als ältestes von sieben Kindern einer Bauernfamilie im Südwesten des Kosovo, unweit der Grenze zu Albanien, geboren. Nach seinem Schulabschluss diente er 1988 in der jugoslawischen Volksarmee und wurde bereits nach drei Monaten zum Spezialisten für chemische Kampfstoffe.

Nach seinem Wehrdienst zog er nach Luzern, wo sein Onkel ein Bauunternehmen leitete. Er erhielt politisches Asyl und schlug sich von 1989 bis 1997 mit Gelegenheitsjobs als Türsteher, Sicherheitsmann und Kampfsport-Trainer durch. In der Schweizer Diaspora begann er auch den bewaffneten Kampf im Kosovo vorzubereiten.

Nach einem militärischen Training in Albanien zog Haradinaj mit einer bewaffneten Gruppe, zu der auch seine Brüder Daut und Shkelzen gehörten, in das Kosovo. Dort machten sie sich mit Überfällen auf serbische Polizeistationen einen Namen, woraufhin er in seinem Heimatgebiet Dukagjin zum Kommandanten der UÇK ernannt wurde. Seine Anhänger nannten ihn «Die Faust Gottes».

Kontakt zum organisierten Verbrechen

Nach dem Kosovokrieg begann Ramush Haradinaj ein Jurastudium in Priština und gründete die «Allianz für die Zukunft des Kosovo», die heute eine der wichtigsten Parteien des Landes ist. Seine Machtbasis liegt im Westen des Kosovo und basiert auf seiner Popularität als UÇK-Kommandant und auf seine engen Kontakte zum organisierten Verbrechen. Der deutsche Geheimdienst BND veröffentlichte 2005 eine Analyse, in der es heisst:

«Die im Raum Deçan auf Familienclan basierende Struktur um Ramush Haradinaj befasst sich mit dem gesamten Spektrum krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten, die die Sicherheitsverhältnisse im gesamten Kosovo erheblich beeinflussen. Die Gruppe zählt ca. 100 Mitglieder und betätigt sich im Drogen- und Waffenschmuggel und im illegalen Handel mit zollpflichtigen Waren. Ausserdem kontrolliert sie kommunale Regierungsorgane.»

Weiter heisst es, in seiner Eigenschaft als regionaler Bezirkskommandant sei Haradinaj selbst «insbesondere in den Zigarettenschmuggel, den Treibstoffhandel und die Schutzgelderpressung involviert gewesen.»

Auslieferung unwahrscheinlich

Die westliche Gemeinschaft störte sich nicht an diesen Aktivitäten und arbeitete mit dem kosovarischen Ex-Warlord zusammen. Ramush Haradinaj brachte es im Dezember 2004 sogar zum Premierminister des Kosovo, trat aber nach 100 Tagen im Amt zurück, um sich den Vorwürfen des UNO-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien zu stellen.

Trotz seines zweifachen Freispruchs in Den Haag läuft weiterhin ein Haftbefehl gegen ihn, der von Serbien erlassen wurde. Deswegen wurde er bereits im Juni 2015 in Slowenien festgenommen, allerdings nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Wahrscheinlich wird Frankreich ebenso verfahren, weil die Freisprüche juristisch eindeutig sind. Eine Auslieferung Ramush Haradinajs nach Serbien wäre eine Sensation, die für viel Zündstoff zwischen Serbien und dem Kosovo sorgen würde.

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