Monika Wiedemann war mit Peace Watch Switzerland für drei Monate als Beaobachterin der Menschenrechte in Palästina. Die Tageswoche begleitete das Projekt. Nun ist sie wieder zurück in Basel. Was hat sie geprägt? Und was wird noch auf sie zukommen?
Gemütliche Atmosphäre herrscht in der Wohnung, in der vor vier Monaten unsere mediale Zusammenarbeit begann. Gefordert war Monika Wiedemann damals, weil sie sich auf ihren Aufenthalt mit der Menschenrechtsorganisation Peace Watch Switzerland und dem Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) in Palästina vorbereitete. Seit einigen Wochen ist sie zurückgekehrt, hinter sich hat sie einen dreimonatigen Einsatz als Beobachterin der Menschenrechte. Dabei arbeitete sie mit Leuten aus der ganzen Welt zusammen.
Das Ökumenische Begleitprogramm für Israel und Palästina (EAPPI) ist ein Programm des ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK). Es sind weltweit viele Organisationen involviert – etwa aus afrikanischen, nordeuropäischen und südamerikanischen Ländern. Die ersten Wochen verbrachte Wiedemann in Ostjerusalem, dann wurde sie nach Bethlehem verlegt, da dort jemand erkrankte und heimreiste. Wiedemanns Alltag veränderte sich mit der Verlegung schlagartig: Während Jerusalem im Vergleich zu vor einigen Jahren heute eher ruhig ist, stehen in den Dörfern in der Umgebung Bethlehems Aufstände, Verhaftungen und Siedlungsbau an der Tagesordnung.
In Ostjerusalem arbeitete Wiedemann mit drei Theologen zusammen, die alle etwa in ihrem Alter sind. In Bethlehem kam sie in eine vorwiegend junge, sehr ambitionierte Gruppe. Sie lächelt. «Ich spürte den Unterschied extrem. Im ersten Team war ich diejenige, die manchmal etwas ungeduldig versuchte, die anderen zu motivieren. Den jungen, fitten und technisch sehr bewanderten Kollegen im zweiten Team hinkte ich dann eher hinterher.»
Tägliches «Check in» auf die israelische Seite
Die zentrale Aufgabe war in beiden Regionen das Beobachten unterschiedlicher Schnittstellen zwischen der palästinensischen Bevölkerung und den israelischen Sicherheitskräften. Jeden Abend verfassten sie Berichte für das EAPPI Büro in Jerusalem. Das Wochenprogramm beinhaltete einige regelmässige Aufgaben.
So waren Wiedemann und ihre Kollegen drei Tage die Woche am frühen Morgen am Checkpoint vor Ort, wo die Palästinenser, die in Ostjerusalem oder Israel arbeiten oder zur Schule gehen, sich täglich einem langwierigen Kontrollprozedere unterziehen müssen. «Die Atmosphäre ist mit einem Gefängnis vergleichbar. Die Grenzgänger werden von bewaffneten Soldatinnen und Soldaten kontrolliert. Es war einfach unglaublich zu sehen, mit wie viel Aufwand der Alltag verbunden sein kann. Zum Teil mussten die Erwachsenen mehrere Stunden lang anstehen.»
Jede Woche hatten die Teams einige Tage zur Verfügung, die sie flexibel gestalten konnten. So konnte Wiedemann ihrem grossen Interesse für die Beduinen nachgehen und sie in nahegelegenen Dörfern besuchen. Die Beduinen bleiben im ganzen Israel-Palästina Konflikt irgendwie zwischen Tür und Angel vor, werden immer wieder vertrieben, und haben zu wenig Land zur Verfügung, um ihre traditionelle Lebensweise mit Tieren zu ermöglichen.
Der Entschluss der israelischen Regierung, sämtliche in der Wüste Negev lebenden Beduinen zu vertreiben, rückte die prekäre Lage des Nomadenvolks im Dezember in das Licht der Öffentlichkeit. Nach den weltweiten Protestaktionen wurde der Entschluss vorläufig auf Eis gelegt. «Der Herzlichkeit der Beduinen konnte ihre harte Geschichte nichts anhaben», sagt Wiedemann.
Gewaltfreier Widerstand
So subtil wie die Unterdrückung es ist, so subtil ist in vielen Fällen auch der Widerstand. Wiedemann war etwa bei einer symbolischen Pflanzaktion in der Nähe von Bethlehem dabei. Palästinensische Familien bepflanzen dort ihr Land, obwohl es sehr unwirtlich und für die Landwirtschaft ungeeignet ist. «Sie tun es als Demonstration von Widerstand, denn wenn über einen bestimmten Zeitraum nichts mit dem Land passiert, werden sie von den israelischen Behörden enteignet.» Diese Verfallsregel von Besitz sei gesetzlich verankert und somit «legitim»: Land, das während dreier Jahren brach liegt, kann unter der entsprechenden Anwendung eines alten osmanischen Gesetzes zu Israelischem Staatsland erklärt werden. «Obwohl von vorneherein klar war, dass die Pflanzen nie gedeihen würden, haben wir einen Tag lang gepflügt, gepflanzt und bewässert. Dies mit einer Seriosität und Gewissenhaftigkeit, die mich zutiefst beeindruckt hat.»
Gewaltfreier Widerstand findet auch in Form von Demonstrationen statt, meistens am Freitag, dem heiligen Tag der Muslime. So etwa im Dorf Al Masara, das in der Nähe von Bethlehem liegt. «Die Stimmung bei den Demonstrationen in den Dörfern war speziell, fast intim», erinnert sich Wiedemann, «der Organisator Hassan in Al Masara schwang flammende Reden, er ging oft direkt auf die Soldaten zu und lockte sie völlig aus der Reserve, brachte sie auch manchmal zu einem Lächeln.»
Auch in städtischen Gebieten wird demonstriert, etwa in Sheikh Jarrah, einem wichtigen Stadtteil Ostjerusalems. Die Proteste dort entstanden um 2000 vor dem Hintergrund des Mauerbaus und den israelischen Siedlern, die palästinensischen Grund enteigneten und sich dort niederliessen. «In den Anfangsjahren gingen in Sheikh Jarrah bis zu 2000 Menschen, hauptsächlich Israelis, für einen gerechteren Frieden auf die Strasse.»
Heute finden sich nur noch etwa 30 Personen zum demonstrieren ein. «Die Leute sind heute verängstigt, die Massenwiderstände wurden brutal niedergeschlagen und führten für viele zu Gerichtsverhandlungen.» Trotzdem gibt es einige Demonstrantinnen und Demonstranten, die standhaft bleiben.
Kritische israelische Stimmen
Auch von israelischer Seite erheben sich kritische Stimmen in der Öffentlichkeit. Für die Demonstrationen in Sheikh Jarrah reisen junge Studenten aus Westjerusalem und sogar aus Tel Aviv an. Eine lange Tradition haben auch die von den israelischen «women in black» organisierten Freitagsdemos in Westjerusalem, die ihre Blüte in den 1990er Jahren hatten. So stammen auch die heutigen Teilnehmerinnen aus einer älteren Generation.
Unter den schwarzgekleideten Israelinnen befinden sich viele Mütter von jungen Frauen und Männern, die ins Militär beordert wurden oder noch werden. Wiedemann sagt: «Die Standhaftigkeit dieser Frauen hat mich zutiefst berührt.» Auf der israelischen Seite für Palästinas Unabhängigkeit die Stimme zu erheben, erfordert Stärke. Die Frauen werden aus vorbeifahrenden Autos als Nutten beschimpft und angepöbelt. «In Gespräche lassen sie sich nie verwickeln. Doch ihre Botschaft ist klar. ‹End of occupation› heisst es auf den Transparenten.»
Das Bedauern unter den Demonstrantinnen, dass sie keinen Nachwuchs erhalten, sei gross. Es liege nicht daran, dass sich unter den jüngeren Israelis keine Kritiker befinden: «Die Jugend hat andere Formen der Vernetzung gefunden.» So gibt es etwa israelische Widerstandsgruppen, die Bewusstseinsarbeit bei Jugendlichen leisten, und diese in gewaltfreiem Widerstand unterrichten, wie etwa Bezelem. Oder die Organisation «breaking the silence», die aus ehemaligen israelischen Soldatinnen und Soldaten besteht, die von ihren Einsätzen erzählen.
Doch in der breiten Bevölkerung Israels ist die Stimmung von Angst geprägt. «Die meisten haben ein so starkes Sicherheitsbedürfnis, dass sie das Unrecht einfach nicht sehen wollen.» Diese Angst der Israelis liess Wiedemann nicht völlig kalt. An den Checkpoints ist manchmal eine Gruppe junger Israelis anwesend, die sich «blue and white» nennt und bei den internationalen Beobachtern um Verständnis für die Mauer und die allgemeine aktuelle Situation wirbt. «Eine junge Frau, die die zweite Inti Fada miterlebt hatte, schilderte mir die Angst vor Terroranschlägen, die sie damals überall empfand, etwa im Bus und auf der Strasse. Diese Angst wirkte echt, nicht wie eine berechnende Floskel zur Rechtfertigung.» Diese Angst werde von der israelischen Politik tagtäglich geschürt und instrumentalisiert.
Die Rolle der Frauen
Während die palästinensischen Frauen in stiller Trauer beobachten, was mit ihrem Land passiert, sind es auf israelischer Seite gerade die Frauen, die einen wichtigen, aktiven Teil der Opposition ausmachen. Wiedemann hat viel über dieses Verhältnis nachgedacht. «Es ist nicht die Kultur der Palästinenserinnen, auf die Strasse zu gehen und ihre Stimme zu erheben. Es war für mich schwierig, dies anzunehmen. Ich hätte gerne mehr Frauen erlebt und mit ihnen über ihre Situation gesprochen.»
Es ist Wiedemann bewusst, wie wichtig die stille und beschützende Präsenz durch die ökumenischen Beobachter ist. Trotzdem habe es sie manchmal gereizt, aktiver an sozialen und gesellschaftlichen Projekten mitzuwirken.«Hauptsächlich zu beobachten, über das Gesehene zu berichten, und die Berichte dann einer Organisation zu überreichen war mir manchmal zu wenig.» Zumal vieles, was sie vor Ort antraf, für sie faszinierendes Neuland war. «Die kreativen Formen von Widerstand beeindruckten mich tief. In der Schweiz kennen wir dies weniger.»
Wiedemanns Einsatz ist noch nicht zu Ende
Zurück in der Schweiz wurde Wiedemann bereits für Vorträge angefragt, einen davon wird sie vor ihren Nachfolgern halten, die momentan in den Vorbereitungen sind und in einem halben Jahr nach Palästina aufbrechen werden. «Ich freue mich darauf, ihnen Dinge weiterzugeben, über die ich selbst froh gewesen wäre. Zum Beispiel wurden wir meiner Meinung nach zu wenig auf das Leben in einer heterogenen Grupppe vorbereitet.»
Es könne sehr schwierig sein, mit Leuten zusammenzuleben und zu arbeiten, die unterschiedliche Motivationen, Hintergründe, Zukunftsperspektiven und Interessen haben. Diese Unterschiede beginnen sehr früh, etwa damit, wie die Sendeorganisation situiert ist und wo sie ihre Wurzeln hat, ob es eine staatliche, eine kirchliche oder eine entwicklungspolitische Organisation ist. «Manche Teilnehmer kamen mir sehr leistungsorientiert und zielstrebig vor», sagt Wiedemann, «im Kontrast dazu standen die sehr religiös Motivierten, die meinten, die Welt retten zu müssen».
Doch nicht nur auf diese Schwierigkeiten will Wiedemann ihre Nachfolger vorbereiten. «Ich werde ihnen auch mitgeben, wie toll es ist, von der palästinensischen Bevölkerung willkommen geheissen zu werden. Tagtäglich versicherten sie uns ihre Dankbarkeit.» Daher kann Wiedemann rückblickend sagen: «Es ist eine sinnvolle, wichtige Arbeit. Und hoffentlich eine, die irgendwann nicht mehr nötig sein wird.»
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Die TagesWoche begleitete das «Peace-Watch»-Projekt von Monika Wiedemann in Israel. «Peace-Watch Switzerland» betont, dass in den Interviews Wiedemanns persönliche Meinung wiedergegeben wird, und besteht daher darauf, dass die weitere Nutzung ihrer Aussagen mit der Organisation abgesprochen wird. Mehr dazu auf der Rückseite dieses Artikels.
Artikelgeschichte
Monika Wiedemann wurde von HEKS und Peace Watch Switzerland als Menschenrechtsbeobachterin nach Palästina und Israel gesendet, wo sie am ökumenischen Begleitprogramm (EAPPI) des Weltkirchenrates teilnimmt. Die in diesem Artikel vertretenen Meinungen sind persönlich und decken sich nicht zwingend mit denjenigen der Sendeorganisationen. Falls Sie Teile daraus verwenden oder den Text weitersenden möchten, kontaktieren Sie bitte zuerst Peace Watch Switzerland unter palestine@peacewatch.ch. Weitere Informationen zum Begleitprogramm in Palästina/Israel finden Sie unter www.eappi.org und www.peacewatch.ch