Der letzte Stich der Schwarzbuben

Solothurn wählt eine neue Regierung und ein neues Parlament. In den Bezirken Dorneck und Thierstein befürchten besorgte Bürgerinnen und Bürger, an Bedeutung zu verlieren.

Heute Gemeindepräsident – morgen Regierungsrat? FDP-Kandidat Remo Ankli steht seiner Wohngemeinde Beinwil im Schwarzbuben­land seit 12 Jahren als Präsident vor. (Bild: Stefan Borer)

Solothurn wählt eine neue Regierung und ein neues Parlament. In den Bezirken Dorneck und Thierstein befürchten besorgte Bürgerinnen und Bürger, an Bedeutung zu verlieren.

Eigentlich hat man langsam genug von diesen Wahlplakaten im Baselbiet mit «Neuer Mut», «Mehr Finanzkompetenz», «noch kompetenter» und den freundlich blickenden Herren. Doch man kann den Plakaten nicht ausweichen, auch nicht, wenn man ins Solothurnische flüchtet. Nahtlos geht es weiter auf der Tramfahrt nach Dornach oder Flüh …

Nur: Da sind andere Köpfe. Da lachen einem sogar Frauen entgegen. Sie alle wollen ebenfalls in den Regierungsrat, allerdings in den solothurnischen. Oder wenigstens in den dortigen Kantonsrat. Auch im Kanton Solothurn sind Wahlen, auch da gibt es Wahlveranstaltungen.

Etwa in Witterswil, dem ersten ­Solothurner Dorf an der BLT-Tram­linie 10 von Basel Richtung Rodersdorf. Im Dachstock des Gemeinde­hauses trifft sich die örtliche FDP, um ihre Kandidaten zu testen. Den 17 Anwesenden, darunter drei Frauen, stehen vier Kantonsratskandidaten gegenüber. Martin Vogel aus Büren, «dr Vogel vo Büre», Hans Büttiker, der schon Kantonsrat ist, bisher aber nach eigener Aussage berufsbedingt eher ein Hinterbänklerdasein geführt hat, nun aber – nach seiner Pensionierung – politisch aufdrehen will. Dann der Gemeindepräsident der Nachbargemeinde Bättwil, François Sandoz, und schliesslich Mark Winkler, der örtliche Parteipräsident, der in der Vorstellungsrunde etwas zu kurz kommt, weil er die Versammlung unparteiisch leiten muss.

Künftig abseits?

Sie alle plädieren dafür, Unternehmen – auch kleinen – mehr Spielraum zu gewähren, die Steuerlast zu mindern, Regeln abzubauen. Gut freisinnige Argumente. Was aber besonders zum Ausdruck kommt an dieser Witterswiler Versammlung, das sind die Anliegen der Schwarzbuben – der Bewohner (Männer, Frauen und Kinder) in den solothurnischen Bezirken Thierstein und Dorneck also. Den Schwarzbuben droht das Schicksal, dass sie künftig in den 14 hohen politischen Ämtern des Kantons – und dazu gehören neben den Regierungsräten auch die National- und Ständeräte – nicht mehr vertreten sind. Denn Klaus Fischer aus Hofstetten, dem Nachbardorf von Witterswil, tritt als Regierunsgrat zurück.

«Darum muss Remo Ankli in den Regierungsrat.» Das ist die einhellige Meinung an der FDP-Versammlung in Witterswil. Und darum gehört dem ebenfalls anwesenden Regierungsratskandidaten Remo Ankli die ganz grosse Aufmerksamkeit. Der 40-jährige Junggeselle stellt sich charmant vor, erzählt, dass er in Basel Geschichte studiert, in Fribourg in Theologie eine Dissertation geschrieben habe, daneben als Teilzeitlehrer am Gymnasium Laufen unterrichtete und schon mit 28 Jahren Gemeindepräsident von Beinwil («Beibel») wurde.

Gar nicht so der Hardliner

Heute arbeitet er als freisinniger Partei­sekretär in Solothurn und ist Kantonsrat. Wenn auf dem Beinwiler Gemeindegebiet eine Militärunterkunft angesiedelt wäre, würde er als Presi sofort zur Kantonsregierung und sie als Asylunterkunft anbieten, sagt er. «Irgendwer muss die armen Leute doch aufnehmen und für sie sorgen.» Er sagt auch, dass der Kanton die Pensionskasse ausfinanzieren müsse und dies nicht zu einem Teil an die Gemeinden delegieren dürfe – «dafür müsse man dann halt eine ­befristete Sondersteuer einführen». Aussagen, die gar nicht so zum Bild des liberalen Hardliners passen, als den ihn einige Medien bezeichnen.

Doch all die sachpolitischen Standpunkte sind irgendwie zweitrangig an der Witterswiler FDP-Versammlung. In den Vordergrund rückt die Sache der Schwarzbuben. Dass etwa die ­Solothurner Regierung den Kredit über zwei Millionen Franken für die Ansiedlung des biologischen Instituts der Uni Basel am Witterswiler Technologiezentrum verweigerte, versteht man nicht. «Unsere Region wird in Solothurn und Olten schlecht verstanden», sagt einer.

Ein anderer: «Obwohl alle sagen, sie unterstützen die Schwarzbuben, so sind und bleiben wir doch eine Randregion.» Weiter: 13 Prozent aller Solothurner seien Schwarzbuben, deshalb gehöre Ankli in die Regierung. Die Diskussion geht nahtlos über zur Frage, ob man sich nicht mit dem Gedanken anfreunden solle, sich dem Baselbiet oder gar einem später fusionierten Kanton Basel anzuschliessen.

Das dann doch auch wieder nicht. Erstens fahre man ja zurzeit nicht so schlecht, wie der Ausbau der BLT-Tramlinie auf zwei Spuren im Leimental beweise. Und zweitens wäre man bei einem Anschluss ans Baselbiet weiterhin eine Randregion. Eine Randregion von Liestal statt von Solothurn. Wie das Beispiel Laufental zeige, sei das auch nicht viel besser.

Bei einem Anschluss ans Baselbiet bliebe man eine Randregion.

Und der Basler Politik traut Kantonsrat Büttiker schon gar nicht: «Das ist Nabelschau-Politik sondergleichen.» Die Diagnose löst Stirnrunzeln aus. Doch Büttiker beharrt auf seiner Meinung, greift in die militärtaktische Erklärkiste: «Die Basler denken immer nur bis zur nächsten Geländekammer. Dabei muss man bei einem Angriff schon an die übernächste oder sogar noch weiter denken.» Im konkreten Fall: nicht nur bis zur Fusion mit Baselland, sondern bis zu einem Kanton Nordwestschweiz inklusive Aargau und Solothurn.

Da ein solcher Zusammenschluss noch lange Zeit Utopie bleiben wird, gilt es, realistische Ziele anzupeilen. Eben: Remo Ankli in den Regierungsrat. Da kein National- und Ständerat aus den Bezirken Dorneck und Thierstein stammt, muss Ankli unbedingt in die Regierung, um die Interessen der Schwarzbuben zu vertreten. Er ist sozusagen ihr letzter Stich.

So einig man sich unter Freisinnigen in dieser Frage ist, so gleichgültig scheint das der SP zu sein. Der Dornacher René Umher etwa sagt ganz staatsmännisch: «In die Regierung gehören diejenigen mit bestem Wissen und grösster Kompetenz.» Die Schwarzbuben kämen im Kanton nicht zu kurz, im Gegenteil, die Distanz zum Hauptort habe manchmal auch Vorteile: «Weit weg vom Geschütz gibt es alte Krieger.» Als Sozialdemokrat setze er sich dafür ein, dass die beiden SP-Kandidaten gewählt würden. Je nach Ausgang des ersten Wahlgangs – etwa wenn die beiden Genossen am 3. März das absolute Mehr schaffen würden – könne man in einem zweiten Durchgang immer noch Ankli empfehlen. Dann also, wenn die Schwarzbuben zum wirklich allerletzten Stich ansetzen müssen.

 

Spannende Ausgangslage
Mit Christian Wanner (FDP) und den beiden CVP-Mitgliedern Klaus Fischer und Walter Straumann treten drei Solothurner Regierungsräte zurück. Neun Personen kämpfen um die fünf zur Verfügung stehenden Regierungssitze. Das bisherige Kräfteverhältnis – zwei Freisinnige, zwei CVPler und ein Sozialdemokrat – ist nicht mehr gewährleistet, denn SP und Grüne machen ihren Anspruch auf einen weiteren Sitz geltend und auch die SVP drängt in die Regierung. Die Ausgangslage ist offen: Die grössten Chancen auf eine Wahl haben die Bisherigen Esther Gassler (FDP) und Peter Gomm (SP). Die CVP stellt zwei Kandidaten (Roland Fürst und Roland Heim), ebenfalls die FDP (Esther Gassler, Remo Ankli) und die SP (Peter Gomm, Andreas Bühlmann). Die SVP tritt mit Albert Studer an und die Grünen mit der ehemaligen Bundesratskandidatin Brigit Wyss. Als Neunter kandidiert der parteilose Hugo Ruf.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13

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