Im letzten Jahr konnten in der Schweiz nur 300 Spendernieren transplantiert werden. Tausende Patienten sind auf Dialyse-Maschinen angewiesen. Manche verlieren die Geduld und erwägen, illegal ein Organ im Ausland zu kaufen.
Rund 60 bis 70 Nieren werden im Universitätsspital Basel jährlich transplantiert. Damit liegt Basel schweizweit auf dem zweiten Platz, gleich hinter Zürich. Es könnten weit mehr solche Transplantationen durchgeführt werden, doch das Angebot hinkt der Nachfrage mit grossem Abstand hinterher.
Letztes Jahr erhielten hierzulande knapp 300 Patientinnen und Patienten eine neue Niere, während 1400 auf der Warteliste eingetragen waren; 2010 waren es 250 Wartende weniger. Der Mangel an Spendernieren wird akut.
«Die Wartezeit ist einschneidend», sagt Michael Dickenmann, Stellvertretender Chefarzt für Transplantationsimmunologie und Nephrologie am Universitätsspital Basel. «Patienten ohne Zugang zu einer Lebendspende warten Jahre, das kann zermürbend sein. Viele sind verzweifelt.»
In die Illegalität gedrängt
Manche Patienten verlieren die Geduld und versuchen ihr Glück auf dem Organ-Schwarzmarkt. Im Ausland machen regelmässig Fälle von illegalem Organhandel Schlagzeilen. Wie viele Schweizerinnen und Schweizer sich im Ausland eine Niere kaufen und einsetzen lassen, sei unbekannt, sagt Dickenmann. Doch weltweit sei der illegale Organhandel eine Realität, «der mit Gesetzen nur schwer beizukommen ist».
Afrika, Indien und China gelten als die grossen Schauplätze des Handels. Zahlen dazu seien kaum zu bekommen, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer Studie aus dem Jahr 2007. Wo das Gesetz nicht hinreicht, werden keine Statistiken erfasst.
Die Studie beruft sich in ihren Erhebungen grösstenteils auf Einzelberichte in den Medien. Davon gibt es zahlreiche. So gilt es als bestätigte Tatsache, dass in China über Jahre die Organe hingerichteter Straftäter verkauft wurden, auch an wohlhabende Ausländer. Über den Verkauf einer Niere in Moldawien wurde ebenfalls berichtet, dort erhielt ein Spender 16’000 Euro. «Die Regierung stört sich nicht an dem Handel», schreibt die «Frankfurter Allgemeine Zeitung»: «Es gibt keine Untersuchungen, keine offiziellen und auch keine geschätzten Zahlen.»
«Der Nierenspender wird überhaupt nicht geschützt. Auch für den Empfänger ist die illegale Operation ein Risiko.»
Die Rechtsstaatsmission Eulex der Europäischen Union verurteilte 2013 fünf Ärzte einer Privatklinik im Kosovo, die Teil eines illegalen Organhandelrings waren. Die Spuren führen in höchste Regierungskreise. So soll auch der kosovarische Regierungschef Hashim Thaci in die illegalen Machenschaften verstrickt gewesen sein.
Der jüngste Bericht stammt von einem Korrespondenten der «Stuttgarter Zeitung». Dieser beschaffte sich für 30’000 Dollar eine Niere in Afrika, um sich vom «Joch der Dialyse» zu befreien, wie er schreibt. In einer mitreissenden Reportage schildert er den Ablauf eines solchen Handels: «Ich kaufe mir auf dem florierenden, aber weltweit geächteten und von vielen als verwerflich betrachteten Organmarkt eine neue Zukunft.»
Auch er sei schon von Nierenkranken auf das Thema angesprochen worden, sagt der Basler Nierenspezialist Dickenmann.«Mir ist aber persönlich kein Patient bekannt, der sich illegal eine Niere gekauft hat.» Er würde aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht davon abraten: «Der Spender wird überhaupt nicht geschützt. Auch für den Empfänger ist die illegale Operation ein Risiko.»
Massnahmen gegen Spendernot
Auch in der politischen Debatte ist der Organmangel immer wieder ein Thema. In der Schweiz sprachen sich der Ständerat und die zuständige Kommission des Nationalrats 2013 gegen die sogenannte Widerspruchslösung aus. Ihr zufolge müssten Personen zu Lebzeiten ausdrücklich festhalten, dass ihnen keine Organe entnommen werden sollen, wenn sie sterben. Im Nationalrat hatte eine Motion die Einführung dieser Lösung verlangt. Der Entscheid ist noch hängig.
Würden nach der Widerspruchslösung viele Verstorbene automatisch zum Spender, verordnet die aktuell gültige Regelung genau das Umgekehrte: Nur wer auf dem Organspendeausweis einer Spende zustimmt, kommt in Frage – sonst entscheiden die Angehörigen.
Um dem Organmangel zu begegnen, hofft Dickenmann auf «infrastrukturelle Massnahmen»: Eine einzelne Änderung wie die Widerspruchslösung als alleinigen Ausweg zu betrachten, sei «zu einfach». Nur ein «Paket von Massnahmen» könne zu einem Anstieg der Spenderrate führen.
Verpasste Spender
Mit dem Aktionsplan hat der Bundesrat 2013 solche Massnahmen in die Wege geleitet. Sie sehen vor, dass die Anzahl der verstorbenen Spender bis 2018 auf 20 pro Million Einwohner steigt. Im letzten Jahr lag der Wert noch bei 14,4 Totspendern pro Million Einwohner. Der Aktionsplan betrifft die Ausbildung des medizinischen Personals, das Qualitätsmanagement, die Spitalstrukturen und -ressourcen sowie die Information der Öffentlichkeit.
In der Hektik des Spitalalltags geht das wichtige Thema der Organspende leicht unter. Oder wie es Michael Dickenmann auf den Punkt bringt: «Wenn Sie als Assistenzarzt morgens um drei Uhr auf der Intensivstation arbeiten und ein potenzieller Organspender verstirbt, haben Sie vielleicht zu viel um die Ohren, um sich auch noch darum zu kümmern.»