Der Montag danach: «Die Liebe wird siegen»

Der Alltag hat Paris wieder – und doch ist alles anders. Die nationale Staatstrauer lastet schwer über der Hauptstadt.

Touristen posieren vor der Notre Dame für ein Selfie. Doch am Montag nach den Anschlägen scheint die Stadt seltsam leer.

(Bild: PETER DEJONG)

Der Alltag hat Paris wieder – und doch ist alles anders. Die nationale Staatstrauer lastet schwer über der Hauptstadt.

Zum Glück sind da noch die Kinder. Vor der Ecole Maternelle Saint Benoît lachen und hüpfen sie an diesem Morgen auf dem Gehsteig, als wäre nichts. Mit fröhlichem Geschrei stürmen sie ins Gebäude, dessen Pforte öffnet. An sich müssten hier wegen des Antiterrorplans Vigipirate Polizisten stehen. «Die werden andernorts gebraucht», sagt die Direktorin, die den Sicherheitsdienst nun selber übernommen hat. Nach elf Uhr wird sie die Kinder versammeln und die schwierige Aufgabe übernehmen, ihnen zu erklären, dass sie Punkt zwölf für eine Minute verstummen sollen. Und was diese Schweigeminute bedeutet. 

Paris hat sich am Montag aufgerafft, ist wieder zum Alltag zurückgekehrt. Zugleich werden sich die zwei Millionen Einwohner erst halbwegs bewusst, was passiert ist, wenn die Souvenirfotos von mehr als 100 Attentatsopfern in Endlosschleife über die Medienbildschirme ziehen – junge, lachende, hoffnungsvolle Gesichter. Der Schock geht tief, die Spannung ist gross in der Stadt; mehrfach ist es gestern zur Massenpanik gekommen, als die Polizei wegen des von Präsident Hollande ausgerufenen Notstandes einen öffentlichen Platz räumen wollte. 

Am Montag scheint die Stadt allerdings seltsam leer. Im «Bonaparte», dem sonst brechend vollen Bistro neben dem Kindergarten Saint-Benoît, bleiben die roten Rohrstühle leer; nur eine Frau trinkt einen Kaffee ganz am Rand der Terrasse – zwecks besserer Fluchtmöglichkeit? Noch erstaunlicher: Hier im sechsten Arrondissement findet man plötzlich freie Parkplätze. Die Erwerbstätigen fahren zwar zur Arbeit; alle anderen folgen aber dem Aufruf der Polizeipräfektur, im Idealfall zu Hause zu bleiben.

 Alle schauen etwas genauer hin

Auch in der Metro bleiben viele Sitzplätze unbenützt. Die Stimmung ist bedrückt, ältere Passagiere schauen über den Brillenrand wie nebenbei, in Wahrheit aber sehr genau hin, wer gerade einsteigt. Alles ist ein wenig anders geworden, auch wenn auf den ersten Blick alles wie immer scheint. eine kleine Ausnahme: In einem Wagon der Linie 4 hat jemand eine Zeichnung an ein Fenster geklebt. Darauf stemmen ein paar Strichmännchen den zerbrochenen Eiffelturm wieder in die Höhe, neben der Inschrift: «L’amour vaincra» – die Liebe wird siegen. Vor allem in der Stadt der Liebe. 

Eine junge Frau nähert sich und zückt ihr Handy, um die Zeichnung zu fotografieren, und sagt «pardon» zum Sitznachbarn, der wegen ihrer Bewegung nervös aufgeschaut hat. Er versteht aber rasch, dass es ihr um die Zeichnung geht, und rückt schweigend zur Seite. Die übrigen Leute verfolgen die Szene, ohne ein Wort zu sagen. Alle verstehen, alle fühlen sich ja gleich. 

Die Linie 4 fährt vorbei an der Station Cité, gleich beim Spital Hôtel-Dieu, wo zahlreiche verwundete Anschlagsopfer liegen, zum Teil schwer verletzt, operiert «gemäss Kriegschirurgie», wie ein Pariser Chefarzt meinte. Über die Lautsprecher ergeht die Auskunft, dass die Metrolinie 7 nicht verkehre; das dafür verantwortliche «colis suspect», das verdächtige Paket, werde aber weggeräumt. 

Man gibt sich unbeteiligt, ist aber auf der Hut

Beim Gare du Nord, wo täglich mehr als eine halbe Million Pendler und Reisende vorbeihasten, kommt in den Gängen zuerst eine Militärpatrouille entgegen, drei Mann in Tarnanzügen, die Gewehre geschultert. Sie sind jetzt noch zahlreicher, obwohl das Vigipirate-Dispositiv bereits vorher auf der höchsten Alarmstufe war. 

Etwas weiter auf der Linie 4, bei der Station Barbès, wo viele Immigranten aus allen Erdteilen leben, ändert sich die Zusammensetzung der Fahrgäste und ihre Hautfarbe. Die Stimmung bleibt indes dieselbe – man gibt sich unbeteiligt, ist aber auf der Hut. Nur keine Betroffenheit zeigen, ja keine Angst.

Ein kurzer Moment kollektiven Schreckens, als auf einmal vier stämmige Männer in blauen Overalls durch verschiedene Türen hereinkommen. Auf ihren Armetiketten steht kleingedruckt «RATP Sûreté» (Metro-Sicherheit). Erleichtert schauen die Passagiere wieder durch die Fenster in den schwarzen Metrotunnel, als gäbe es dort etwas zu sehen.

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