Der neue Austro-Pop: Wanda, Bilderbuch und Mile Me Deaf

Alle Ohren richten sich nach Österreich: Wanda und Bilderbuch heissen die Überflieger im deutschsprachigen Pop. Am Donnerstag kommt mit Mile Me Deaf ein weiterer Austro-Pop-Act nach Basel, diesmal in die «Kaschemme».

Wolfgang Möstl, Popsänger. Für solche Fälle gibt es Künstlernamen: Mile Me Deaf.

Alle Ohren richten sich nach Österreich: Wanda und Bilderbuch heissen die Überflieger im deutschsprachigen Pop. Am Donnerstag kommt mit Mile Me Deaf ein weiterer Austro-Pop-Act nach Basel, diesmal in die «Kaschemme».

In deutschen Kleinstädten gilt es inzwischen als erfolgversprechender Geheimtrick: Wenn man als 16-Jähriger ein Mädchen ansprechen will, sollte man es auf Österreichisch tun – dann rieseln einem die Mädchenherzen zu wie die Kunstflocken aus den Schneekanonen. «A, geh weida!», mag man da denken. Aber so weit hergeholt scheint dieser urbane Mythos nicht, schaut man sich den beeindruckenden Erfolg von Austro-Bands im gesamtdeutschsprachigen Raum an. Dieser ist beachtlich.

Von «Amore» bis «Bussi»

Zum einen gibt es da Wanda: Das sind fünf Typen in Lederjacken und halboffenen Hemden mit Gitarren und mächtig «Amore» und Alkohol in der Birne. Inzwischen haben sie ihr zweites Album nach dem beängstigend erfolgreichen «Amore» veröffentlicht – mit dem griffigen Titel «Bussi». Thematisch ist damit eigentlich schon alles zu Wanda gesagt. Ihr inhaltliches Repertoire reicht nämlich, scheinbar durchaus gewollt, nicht weiter als bis «Bussi Baby», wie es im Titeltrack heisst.

 
 

Wie ihr Debüt kommt auch «Bussi» ziemlich schmissig daher, doch inzwischen scheinen sich Wanda in ihrem käsesülzenden Mitsing-Bierzelt so wohl zu fühlen, dass so schmerzhaft sinnentleerte Zeilen herauskommen wie: «Ans, zwa, drei, vier – es ist so schön bei dir.»

So heisst es auf dem Opener, und man hört sie schon grölen, die Pistenrowdies mit ihren Jägermeister-Fahnen in den Après-Ski-Tempeln. Wanda scheint das nicht zu stören, sie schmettern ein lautes, alles-gut-findendes «Ja!» und spielen weiterhin unverschämt eingängige Songs.

Der authentische Rockstar ist längst ein Klischee

Fröhlich summt man mit, auch zu Zeilen wie in «Luzia»: «Mein Glied unterwirft sich der Diktatur deines Mundes, Baby.» Und hier knackt es im Ohr: Unter dem Deckmantel einer zeitgenössischen Gar-nicht-so-gemeint-Ironie feiert dieser Männergesangsverein eine neue «Hodigkeit» (Zitat Hazel Brugger), die im Pop längst überwunden schien.

Der authentische Rockstar ist ein Klischee, das wusste schon ihr Urahne Falco. Im Vergleich dazu sind Wanda ein konservativer Rückschlag, sowohl musikalisch als auch inhaltlich. Doch den Fans ist das egal, ja, auch die österreichische Gratis-Presse jauchzt erfreut: «Endlich nennt jemand Frauen in Liedern wieder ‹Baby›!» 

 

Dada statt Bierernst

Während Wanda schrecklich bierernst daher kommen, sind es ihre Landsleute Bilderbuch mit Sicherheit nicht. Doch auch sie gehören zu den grossen Überfliegern im deutschsprachigen Pop, im November konnte man sich im Basler «Hinterhof» davon überzeugen.

Bilderbuch liegen mit ihrem Album «Schick Schock» im deutschsprachigen Pop ganz vorn. Sie scheinen die letzten 40 Jahre Popgeschichte im (ungeborenen) Schlaf mitgemacht zu haben und geben keinen Deut auf das Authentizitätsgeplänkel von Wanda. Bei Bilderbuch bleiben die Dinge nur angedeutet, es wird rastlos zitiert, doch die Wirkung ist umso grösser. So zu sehen zum Beispiel im Video zu «Maschin».

  

Bei Bilderbuch kommt musikalisch mehr zusammen. Da gibt es zum Beispiel «Spliff», zu dem man den auferstandenen Michael Jackson durch Oberösterreich moonwalken sieht. Da sind auch der Indie-selige «Plansch» oder das Stück «OM», worin der Status-versessene Gangsta-Rap ordentlich Schmäh abbekommt.

Zur musikalischen Versiertheit von Bilderbuch kommt Sänger Maurice Ernsts Lust zur dadaistischen Verfremdung. Oder wie es in «OM» heisst: «Bling, bling, bling und sing / Rum Kokos fürs Karma / Relax and don’t pay tax.» Zusammen klingt das gegenwärtiger als Wandas ewig gestrige Rock-Pathetik. Lustiger, einfallsreicher und am Ende wohl auch zukunftsweisender.

 
 

Abseits des Almdudler-Hauptstroms gibt es noch zahlreiche weitere Acts aus unserem werten Nachbarland, die hierzulande unentdeckt sind: Ich denke an die grossen und abgründigen Melodien von Naked Lunch, den schlafwandlerischen Indie von Clara Luzia und den König des Wiener Schmähs und Fortwurstelns: Der Nino aus Wien.

Mile Me Deaf: cool und düster

Eine dieser Austro-Untergrund-Perlen kommt nun nach Basel: Mile Me Deaf. Und bei diesen ist nichts so, wie es scheint. Mile Me Deaf machen Musik, die zwischen kaugummikauender Coolness und psychedelischer Düsternis taumelt. Die Gitarren bauen Wände auf und die Synthesizer flirren bedrohlich. Es ist ein voller Sound, der nach einer fünfköpfigen Band klingt – mindestens.

Doch Mile Me Deaf ist im eigentlichen Sinne keine Band. Sondern lediglich das 2004 gegründete Projekt von Wolfgang Möstl. Österreichischer könnte der Name nicht klingen, ganz anders die Musik: Mile Me Deaf hört sich an wie eine Band aus dem hippen Brooklyn oder einem Londoner Szene-Bezirk. Doch das ist sie nicht, Möstl kommt aus Wien. Nach wechselnden Mitmusikerinnen und Mitmusikern hat er die zehn Songs auf seinem aktuellen Werk «Eerie Bits of Future Trips» ganz alleine aufgenommen. Was er gleich im ersten Track mit dem Titel «Digital Memory File» glorreich besingt.

LoFi im Smartphone

Auch wenn die kehlköpfigen Gitarren anders klingen mögen: Für diese Platte wurde kein Gitarrenverstärker verwendet. Möstl spies die Instrumente direkt in sein Smartphone oder andere portable Geräte ein. In bester Copy-Paste-Manier hat er geklaut und verfremdet: Was sich als Gitarre ausgibt, ist eigentlich ein Sample, verzerrte Stimme oder Synthesizer. Damit hebt Möstl die Klangästhetik von LoFi auf die Höhe der digitalen Zeit.

Was seinen Ursprung in den Sechzigern beim Rauschen des Vierspur-Aufnahmegeräts oder dem Knistern von Kassettenrekordern hatte und schon die Beach Boys, Bob Dylan oder Sonic Youth zu begeistern wusste, ist nun im 21. Jahrhundert angekommen.

Möstl hat dies jedoch weniger getan, weil es gut klingt. Vielmehr ist die versteckte Smartphone-Klangästhetik Ausdruck seines prekären Musiker-Daseins. Dies unterscheidet ihn auch von seinen beiden erfolgreichen Kollegen bei Wanda und Bilderbuch, die inzwischen beide bei Universal, dem grössten Musiklabel der Welt, unterschrieben haben.

«Das unbekannte Genie»

Möstl greift nicht nach dem grossen Markt, sondern sucht vielmehr das musikalische Experiment. In einer früheren Zeile brachte er es auf den Punkt: «Money’s like a night, it’s over pretty quick.» Etwas, was man dem für Überheblichkeit nicht gerade unanfälligen Wanda-Erfolgszug gerne hinterher rufen möchte.

Inzwischen scheint sich Möstls Konsequenz auszuzahlen. Letztes Jahr folgten Festival-Auftritte in England und sattes Lob vom «New Musical Express». Ein Szene-Blog beschreibt Möstl schliesslich als «the genius you’ve never heard of» – als Genie, von dem du noch nie gehört hast. Am Donnerstag, 28. Januar, kann man sich in der Basler «Kaschemme» selber einen Eindruck machen.

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Mile Me Deaf mit Cold Fiction (Support) am Donnerstag, 28. Januar 2016, um 20 Uhr, in der «Kaschemme» Basel.

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