Franziskus wird am Samstag 80 Jahre alt. Der Papst hat Diskussionen in der katholische Kirche ermöglicht. Ob die Bischöfe ihre neuen Freiheiten auch nutzen wollen, steht dahin.
Nicht einmal an seinem 80. Geburtstag wird Franziskus sich den Luxus erlauben, ein bisschen länger unter der warmen Decke zu liegen. Auch am Samstag wird sich Jorge Bergoglio noch vor fünf Uhr früh aus seinem massiven Holzbett schälen und beten. Er wird dann an seinem Tisch in der Mensa des vatikanischen Gästehauses Santa Marta frühstücken. Der Papst trinkt morgens Kaffee mit Magermilch, er isst Marmeladenbrot und seit seiner Zeit in Buenos Aires auch Ricotta-Frischkäse.
Was er weniger mag, sind die unterwürfigen Ehrerweisungen, die sein Hofstaat ihm zu seinem runden Geburtstag zukommen lassen wird. Um 8 Uhr versammeln sich die in Rom ansässigen Kardinäle in der Paulinischen Kappelle im Apostolischen Palast, um mit dem Papst an dessen Ehrentag die Messe zu feiern. Wer Franziskus kennt, der weiss, dass ihm die informelle Routine der Morgenmessen in der Kapelle von Santa Marta lieber wäre. Aber auch ein Papst hat nicht immer die Wahl.
Nach bald vier Jahren im Amt wirkt Franziskus immer noch wie der zugängliche Dorfpfarrer, der die Ehrfurcht vor der Macht und das schwerfällige Protokoll mit kleinen Gesten oder sogar Witzen durchbricht. Vielleicht wird am Samstag auch die Staatspräsidentin Maltas in den Genuss dieser unpäpstlichen Leichtigkeit kommen, wenn sie am Geburtstag um zehn Uhr zur Audienz im Apostolischen Palast erscheint. Einer von Franziskus neuesten Kalauern geht so:
«Was ist der Unterschied zwischen Terrorismus und dem Protokoll? Mit Terroristen kann man verhandeln!»
Dass der ernsthafte Protokollchef des Papstes, Erzbischof Georg Gänswein, das auch komisch findet, ist zu bezweifeln.
Wie lange macht ers noch?
Franziskus gibt sich bei seinen Auftritten weiter leutselig, aber auch nachdenklich. In einem kurz vor seinem 80. Geburtstag veröffentlichten Video, das einer seiner engsten Berater, der Jesuitenpater Antonio Spadaro, mit seinem Smartphone aufgenommen hat, gesteht Franziskus zum wiederholten Mal, seine Amtszeit könnte bald zu Ende gehen. «Ich habe das Gefühl, mein Pontifikat wird kurz sein, vielleicht vier, fünf Jahre. Vielleicht täusche ich mich auch», erzählt der Papst.
Am 13. März 2013 wurde Franziskus von den Kardinälen gewählt. Bricht also nun sein letztes Amtsjahr an oder handelt es sich nur um ein taktisches Störmanöver dieses Anarchisten auf dem Stuhl Petri?
Die Reaktionen auf solche Spekulationen sind sehr unterschiedlich. Da sind etwa diejenigen, die aus Sorge um das Abdriften ihrer Kirche in die Beliebigkeit einen Rücktritt kaum erwarten können und ihn wie eine Befreiung vom Chaos aufnehmen würden. Sie sind in der Minderheit. Andere wiederum sorgen sich, dass das zarte Pflänzchen der Erneuerung stirbt, sobald der Argentinier nicht mehr im Amt ist. Die Mehrheit der Bischöfe harrt papsttreu zwischen beiden Positionen der Dinge.
Franziskus hat eine neue Freiheit geschaffen. Weniger klar ist, wie sehr seine Kirche diese Freiheit auch nutzen will.
Papst Franziskus hat zweifellos einen neuen Stil in der Kirche geprägt. Die Zeiten der Förmlichkeiten und des blinden Gehorsams sind vorübergehend archiviert. Wer in den vatikanischen Zirkeln der Macht verkehrt, der lobt bereits seit den beiden Synoden zum Thema Ehe und Familie den offenen Stil, mit dem inzwischen bis auf höchster Ebene diskutiert werde. Franziskus hat eine neue Freiheit geschaffen. Weniger klar ist, wie sehr seine Kirche diese Freiheit auch nutzen will.
Da ist etwa ein harter Kern von Kardinälen und Bischöfen, die alles tun, um Franziskus Vorstösse zu delegitimieren. Zuletzt protestierten vier Alt-Kardinäle mit fünf «Zweifeln» am päpstlichen Lehramt sogar öffentlich gegen Franziskus. Auslöser war dessen Schreiben «Amoris laetitia», in dem der Papst die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion in Einzelfällen andeutet.
Das Thema wirkt meilenweit entfernt von den Bedürfnissen der Menschen, ist aber von entscheidender Bedeutung für die katholische Kirche, weil hier die grundsätzliche Frage entschieden wird, ob das Gewissen des Einzelnen Vorrang vor absoluten Normen haben kann. Deshalb sind die Diskussion um «Amoris laetitia», die Schlussfolgerungen des Papstes aus den beiden Familiensynoden von 2014 und 2015, so scharf. Und deshalb ist in Rom schon länger von einem «verdeckten Schisma» die Rede, das den Spielraum des Papstes empfindlich eingegrenzt hat.
Taten gefordert
Auch bei fortschrittlichen Katholiken verliert der Papst an Zustimmung. Der katholische Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller, der in Münsterschwarzach bei Würzburg Priester und Laien in Krisensituationen unterstützt, setzte zu Beginn des Pontifikats grosse Hoffnungen in Franziskus. Heute ist er skeptisch: «Für Franziskus hat die Götterdämmerung begonnen, wenn er nicht an das Eingemachte geht und nicht in der Lage oder bereit ist, die notwendige Reformation der Kirche in Gang zu setzen.» Müller behauptet, den schönen Worten seien zu wenige Taten gefolgt, was die Rolle von Frauen in der Kirche, den Zölibat oder den Umgang mit Sexualität angeht.
Erst vor Tagen bekräftigte die für den Klerus zuständige Vatikanbehörde, dass Homosexuellen der Zugang zum Priesteramt weiterhin verwehrt bleiben soll. Wie passt dieses Verbot mit einem Papst zusammen, der mit einem einzigen Satz eine neue Haltung der Kirche gegenüber Homosexuellen andeutete? «Wer bin ich, dass ich über einen Homosexuellen urteile», fragte Franziskus bald nach Amtsbeginn. «Der Papst muss jetzt liefern», sagt Wunibald Müller.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kirche den richtigen Zeitpunkt für nachhaltige und unumkehrbare Reformen bereits verpasst hat.
Dabei stellt sich die Frage, ob es tatsächlich der Papst ist, der weiterhin Antworten schuldig ist. Oder ob es die Bischöfe sind, die die Bälle, die ihnen ihr Oberhaupt zuspielt, nicht aufnehmen. Man dürfe nicht immer nur darauf warten, dass der Papst konkrete Schritte unternimmt, gab jüngst der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann zu bedenken. Die Bischöfe sollten die Räume nutzen, die Franziskus geöffnet hat.
Lehmann schlug zum Beispiel die Weihe von verheirateten Diakonen in Deutschland vor, die dann priesterliche Aufgaben übernehmen könnten. Aber in den Ortskirchen hält man solche Alleingänge für nicht praktikabel. Aus Sorge um die Einheit der Kirche, heisst es. Aber wohl auch aus mangelnder Courage.
Ausschau nach Versöhnung
«Der Papst weiss sehr gut, dass der Reformprozess der Kirche, wenn er effektiv sein soll, Spannungen schafft und entwickelt, und dass es gut ist, wenn diese irgendwie zum Ausdruck kommen», sagt der Papst-Vertraute Antonio Spadaro. Franziskus will Entwicklungen anstossen und nichts übers Knie brechen. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kirche den richtigen Zeitpunkt für nachhaltige und unumkehrbare Reformen bereits verpasst hat.
So lautet zumindest die Befürchtung von Kirchenmännern, die vor knapp vier Jahren beglückt über die Wahl von Franziskus waren und nun die Kräfte einer innerkirchlichen Gegenreformation fürchten.
Die Vatikanbeobachter in Rom sind sich einig, dass die Mehrheit der Kardinäle beim nächsten Konklave keinen Sprung ins Ungewisse mehr unternehmen wollen. Gesucht wird dem Vernehmen nach schon jetzt ein zuverlässiger Vermittler, der die auseinanderdriftenden Blöcke wieder versöhnen kann.