Der Präsident, der seinen Mund nicht halten kann

Was ist nur in François Hollande gefahren? Frankreichs Staatschef lästert in einem Buch unverblümt über Freund und Feind und sabotiert damit seine letzten Wiederwahlchancen.

epa05569771 French President Francois Hollande attends a ceremony for the start of the week of retired and elderly people at the Elysee Palace in Paris, France, 04 October 2016. EPA/PHILIPPE WOJAZER / POOL MAXXPPP OUT

(Bild: Keystone/PHILIPPE WOJAZER)

Was ist nur in François Hollande gefahren? Frankreichs Staatschef lästert in einem Buch unverblümt über Freund und Feind und sabotiert damit seine letzten Wiederwahlchancen.

Vielleicht haben sich alle in François Hollande getäuscht. Vielleicht ist der 62-jährige Sozialist gar nicht der nette «Monsieur normal», als der er sich zu Beginn seines Mandates im Jahr 2012 selber präsentierte. Eher outet sich Frankreichs Präsident als herablassender Machtmensch, der sein Mundwerk nicht in Zaum hält und Dinge sagt, die eines Staatspräsidenten unwürdig sind.

So jedenfalls in einem Buch mit dem vielsagenden Titel: «Das sollte ein Präsident eigentlich nicht sagen…». Zwei «Le Monde»-Journalisten haben darin nicht weniger als 60 zum Teil mehrstündige Treffen mit dem französischen Staatschef ausgewertet. Bei diesen Kaminfeuergesprächen am Freitagabend plauderte Hollande munter drauflos, obwohl er wusste, dass alles zur Publikation aufgenommen wurde.

Es gebe «zu viel Einwanderung», und der Islam sei «ein Problem», meint der Sozialist, der sonst gerne Sonntagsreden über die einigende Kraft der gesellschaftlichen Vielfalt hält. Die Grünen, vormals Koalitionspartner, hält er für «Zyniker und Stänkerer» (auf Französisch: «emmerdeurs»).

Die «schlecht erzogenen» Profifussballer brauchen ihm zufolge ein «Hirnmuskeltraining». Und die Richter und Staatsanwälte bilden für den Präsidenten «eine Institution der Feigheit», die sich «ducken und die Tugendhaften spielen».

Spott über «die Zahnlosen»

Dass Hollande seinen konservativen Widersacher Nicolas Sarkozy als «kleinen de Gaulle» bezeichnet, mag ja noch nachvollziehbar sein. Bloss kriegen auch seine letzten Weggefährten ihr Fett weg: Ex-Premier Jean-Marc Ayrault ist «unhörbar», Parlamentspräsident Jean-Claude Bartolone, der als Ersatz gehandelt wurde, hat «nicht die nötige Statur».

Über seine Mätresse Julie Gayet, über die Hollande bisher nie gesprochen hatte, sagt er: «Sie will unsere Beziehung offiziell machen. Das brennt in ihr. Aber ich weigere mich, und das inklusive während einer zweiten Amtszeit.» 

Auch sonst lesen die Franzosen entgeistert Kommentare zu Themen, zu denen ein Staatspräsident besser schweigt. Seine «eifersüchtige» Ex-Geliebte Valérie Trierweiler erzähle herum, er verspotte arme Leute als «die Zahnlosen», doch das sei völlig falsch. Die Angesprochene veröffentlichte darauf ein SMS mit Datums- und Uhrzeitangabe, in dem Hollande diesen Ausdruck scherzhaft verwendet hatte und offenbar sogar stolz auf die Trouvaille war.


Höchste Richter reagierten erbost, es gehe nicht an, dass der höchste Amtsträger im Staat die ganze Justiz herabmache. Hollande drückte ihnen am Wochenende schriftlich sein «Bedauern» aus, ohne damit viel zu bewirken. Am Montag meinte er hilflos, die Zitate seien «aus dem Zusammenhang gerissen».

Die beiden Journalisten Gérard Davet und Fabrice Lhomme erklären hingegen, sie hätten ihren Interviewpartner keineswegs reinlegen wollen; sie stünden ihm politisch eher nahe und hätten deshalb auch so viel Zeit für die Gespräche erhalten. Die Spielregeln seien klar gewesen: Alles werde aufgezeichnet und nichts gegengelesen.

«Ich bin bereit»

«Hollande ist ein Rätsel», kommentiert «Le Monde» in der Dienstagausgabe und fragt: Wie konnte sich ein Politprofi mit einem so umgänglichen Image in einem zur Publikation bestimmten Medium nur so demütigend über Krethi und Plethi äussern? In der Tat weiss sich Hollande sehr gepflegt zu äussern; Justizentscheide hat er – anders als etwa Sarkozy – stets respektiert.

Ausgerechnet dieser glatte und stets gutgelaunte Politiker, der auch dann noch an sich selber zu glauben scheint, wenn ihn die meisten Franzosen längst abgeschrieben haben, stösst nun die ganze Nation vor den Kopf und vergrault seine engsten Getreuen. Der den Sozialisten nahestehende Chronist Serge Raffy sieht darin einen unbewussten Versuch, «politisches Harakiri» zu begehen: Hollande zerstöre unbewusst seine Wiederwahlchancen, um auf diese Weise gar nicht mehr entscheiden zu müssen, ob er nochmals antreten solle.

Die konservative Kommentatorin Sophie Coignard fügt an, Hollande sei zum Schluss seiner Amtszeit offenbar von der Angst getrieben und ganz einfach «unfähig zu schweigen»: Keine zwei Tage vergingen, ohne dass er nicht in einem Interview, Bekennergespräch oder Medienauftritt ellenlang Bilanz ziehe, sich rechtfertige oder Selbstlob zolle.

In einem Exklusivgespräch mit dem Magazin «L’Obs» hatte Hollande noch vergangene Woche angedeutet, dass er wahrscheinlich für eine zweite Amtszeit antreten werde, gipfelten doch seine seitenlangen Ausführungen in der Aussage: «Ich bin bereit.» Jetzt fügen viele Internetkommentare an: «Bereit zu verzichten.»

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