Der Provokateur, der sich selber nicht so sah

Er wollte gar nicht provozieren und noch weniger amüsieren: Der französische Karikaturist Stéphane Charbonnier, der am Mittwoch in Paris erschossen wurde, zeichnete die Mohammed-Comics aus Widerstand gegen Religionsfanatiker.

©PHOTOPQR/LA MONTAGNE/BRUNEL Richard ; Charb Charlie Hebdo ARCHIVES ....Paris le 30/10/2012 Photo R Brunel (KEYSTONE/MAXPPP/BRUNEL Richard ) (Bild: Keystone/BRUNEL RICHARD)

Er wollte gar nicht provozieren und noch weniger amüsieren: Der französische Karikaturist Stéphane Charbonnier, der am Mittwoch in Paris erschossen wurde, zeichnete die Mohammed-Comics aus Widerstand gegen Religionsfanatiker.

Wenn Charb, wie Stéphane Charbonnier im Metier genannt wurde, seine gelben Männchen mit der Knollennase zeichnete, blieb kein Auge trocken. Die Karikaturen zeigten meist Salafisten, Bischöfe und andere Schwarzröcke; sie standen in der besten – oder schlimmsten – Bürgerschreck-Tradition französischer Satire – derb, unflätig, bewusst geschmacklos. Ab und zu traf es auch Dschihadisten und Terroristen. Zwei von ihnen haben ihn am Mittwoch während einer Redaktionssitzung gezielt erschossen.

Wenn Charb früher die wöchentliche Planungszusammenkünfte des Magazins «Charlie Hebdo» leitete, ging es sehr sachlich und kopflastig zu und her. Unrasiert und nachlässig gekleidet, dozierte der 47-jährige Franzose über Laizismus und Pressefreiheit, die kein Recht, sondern eine Pflicht sei. Vor der Türe wartete sein Leibwächter. Am Mittwoch war er abwesend. Charb, und mit ihm drei national bekannte Karikaturisten, bezahlten es mit dem Leben.

Der unauffällige Brillenträger, der im Unterschied zu seinen Vorgängern alles andere als ein Grossmaul war, vernachlässigte sich und sein Leben schon immer zugunsten der Sache. Die Sache war die Satire. Und die Freiheit, zu sagen und auszudrücken, was er wollte.



A woman raises a pen during a vigil to pay tribute to the victims of a shooting by gunmen at the offices of weekly satirical magazine Charlie Hebdo in Paris, at Trafalgar Square in London January 7, 2015. Hooded gunmen stormed the Paris offices of the weekly satirical magazine known for lampooning Islam and other religions, shooting dead at least 12 people, including two police officers, in the worst militant attack on French soil in decades. REUTERS/Stefan Wermuth (BRITAIN - Tags: POLITICS CRIME LAW CIVIL UNREST MEDIA)

Immer für die Pressefreiheit eingestanden: Aus der Feder von Charb musste man mit allem rechnen, auch mit keiner Provokation. (Bild: STEFAN WERMUTH)

Öfters erhielt er Morddrohungen, weil er rotzfreche Mohammed-Karikaturen ins Blatt gesetzt hatte. Dem Charlie-Herausgeber und -Chefzeichner wurde nicht nur von Muslimen vorgeworfen, er betreibe islamfeindliche Anschwärzung um ihrer selbst willen. Doch das liess ihn kalt. Er doppelte mit einer Mohammed-Karikatur nach.

Aus seiner Zeichenstube konnte oder musste man mit allem rechnen. Sogar mit dem Verzicht auf jede Provokation.

Aus seiner Zeichenstube konnte oder musste man mit allem rechnen. Sogar mit dem Verzicht auf jede Provokation. In einem Band liess er das gelbe Mohammed-Männchen den Lebensstationen des Propheten von seinem Geburtsort Mekka bis zur Begegnung mit Erzengel Gabriel folgen. «Mohammed war ein Mensch, und ich habe einen Menschen gezeichnet», kommentierte Charbonnier. «Wenn einige Leute schockiert sein wollen, sind sie halt schockiert, aber es war nicht zum Schockieren gedacht.»


Subversiv war der Comic allemal: Er stellte implizit das Verbot, den Propheten abzubilden, in Frage. «Das Bilderverbot ist bloss eine Tradition, sie steht im Koran nirgends geschrieben», meinte Charb. «Solange man Mohammed nicht lächerlich macht, sehe ich nicht, warum man dieses Buch nicht lesen soll, wie man das Leben Jesu im Religionsunterricht liest.»

Auch wenn die Provokation gar nicht gesucht war, gab es Proteste von der Türkei bis nach Indonesien. 2011 publizierte sein Magazin «Charia Hebdo», eine weitere und sehr bewusste Infragestellung des islamischen Bilderverbotes. Ein Brandanschlag auf die Redaktion war die Folge.

Die rund zwanzig Zeichner und dreissig Texter mussten vorübergehend in ein anderes Lokal ausweichen. 2012 rief ein Dschihad-Sympathisant auf einer Islamisten-Homepage einmal mehr zur Enthauptung Charbs auf. Der ledige Zeichner sah darüber hinweg und arbeitete weiter. Er hielt die Sache für wichtiger als seine Person.

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Ein Porträt des Magazins der «Süddeutschen Zeitung»: «Charlie Hebdo» und die Kunst, böse zu sein
Die Analyse des TagesWoche-Korrespondenten: Grausamer Höhepunkt einer ganzen Serie von Terroranschlägen
Die Welt trauert:
Trauerbekundungen fanden spontan noch Mittwochabend statt – auch in der Schweiz
Eine Welle der Solidarität ging auch durch die sozialen Medien – massenhaft verbreitet und geteilt wurdenlegendäre «Charlie»-Cartoons.
«Die Welt» hat zudem die Reaktionen von Karikaturisten auf den Anschlag gesammelt:

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