Der Rubel rollt nicht mehr in der Schweiz

Vor einigen Jahren dominierten Skateboards aus Schweizer Fabrikation die Strassen. Inzwischen behaupten sich nur noch wenige Kleinunternehmer auf dem Weltmarkt.

Diese Schweizer Bretter haben einst die Welt bedeutet: Indiana-Skateboards-Session in Zürich.

(Bild: Raphael Anton Erhart)

Vor einigen Jahren dominierten Skateboards aus Schweizer Fabrikation die Strassen. Inzwischen behaupten sich nur noch wenige Kleinunternehmer auf dem Weltmarkt.

Die meisten merkten wenig davon, aber die Schweiz hatte ein goldenes Zeitalter: Es dauerte von Ende der Neunziger bis Mitte der Nullerjahre. Tausende rollten auf einem Skateboard aus Schweizer Fabrikation durch die Strassen. Die erfolgreichsten Marken hiessen Indiana, Airflow und Fibretec. Sie unterhielten Teams junger Fahrer, die auch im Ausland Rennen gewannen. 2004, 2005 und 2006 wurden Schweizer Weltmeister im Skateboard-Slalom. In dieser Disziplin kurven die Fahrer um Plastik-Kegel, die Beine wedeln hin und her wie die Nadel einer Nähmaschine im Kreuzstich.


Der weltweit dominierende Stil war aber schon damals das akrobatische Street Skateboarden: Sprünge und Kunststücke im urbanen Dschungel und in Skateparks sind seine Ausdrucksform. Die Slalom-Skater auf ihren weichen, leisen Rollen und den für Tricks nicht geeigneten flexiblen Decks waren den Street-Skatern nicht hart genug. Street und Slalom waren zwei Welten mit kleiner Schnittmenge.

Vom Slalom zur Abfahrt

Schon in den Siebzigern und Achtzigern war Slalom ein paar Jahre in Mode und verschwand wieder in der Versenkung. Als amerikanische Fahrer nach der Jahrtausendwende Rennen in Mitteleuropa besuchten, trauten sie ihren Augen nicht. Weit weg von Kalifornien hatte die Disziplin überlebt wie eine ausgestorben geglaubte Tierart. Und es waren nicht nur Dinosaurier, die den Tanz um die Kegel beherrschten, sondern auch junge Männer und Frauen.

Doch viele von ihnen begannen sich für längere Bretter zu interessieren: Longboards, auf denen man gemütlicher durch die Stadt glitt als auf den nervösen Slalombrettern. Für das Bergabfahren und damit die Sommervariante des Snowboardens waren die gestreckten Decks ebenfalls viel besser geeignet. Das Downhill Skateboarding war nichts Neues, doch nun lebte diese Disziplin auf – auf Kosten des Slalomboardings. Und auch hier fuhren Schweizer vorne mit. Allen voran der Liestaler Martin Siegrist.

Er war nicht nur koordinativ äusserst begabt, sondern auch ein Tüftler und Perfektionist, und für solche ist der Downhill-Sport wie geschaffen. Er optimierte seine Fahrtechnik und Ausrüstung so lange, bis er seinen Nachteil – das geringe Körpergewicht– wettgemacht hatte. Zwischen 2004 und 2010 wurde er dreimal Weltmeister und viermal Europameister.


Kaufen konnte er sich davon kaum etwas. Seine Sponsoren und Ausrüster halfen, die Kosten in Grenzen zu halten, mehr nicht. Dass er damit aufhörte, Rennen zu fahren, hatte noch einen anderen Grund: «Ich hatte es satt, jedesmal, wenn ich in der Schweiz trainierte, der Polizei davonfahren zu müssen.» Downhill Skateboarding findet auf Berg- und Passstrassen statt und kann fast nur illegal ausgeübt werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Schon während seiner Zeit als Rennfahrer entwickelte Siegrist Boards und Achsen zusammen mit seinem Ausrüster Airflow. Danach studierte er Industrie-Design und entwickelte mit seinem ehemaligen Sponsor mehrere neue Boards. Als Diplomarbeit baute er einen aerodynamischen Helm für Downhill-Skateboarder, der in Serie ging und sich heute weltweit gut verkauft.

Der Skater als Designer: Martin Siegrist mit seinem Helm, der zum Verkaufsschlager wurde.

Der Skater als Designer: Martin Siegrist mit seinem Helm, der zum Verkaufsschlager wurde. (Bild: Gordon Timpen)

Während Siegrist auf dem langen Downhill-Board seine persönlichen Ziele verfolgte, löste das Longboard das Slalomboard ab. Damit endete das goldene Zeitalter der Schweizer Slalomboard-Hersteller. Die federnden Flexboards (sie sind wie Skis oder Snowboards nach oben durchgebogen) waren kaum noch gefragt, und die Schweizer Hersteller stiegen nur zögerlich auf starre Longboards um. «Die meisten Schweizer Hersteller haben den Longboard-Trend verschlafen», urteilt Siegrist.

Chris Hart produziert seit 30 Jahren Skateboards. Als Teenager stellte er zusammen mit seinem Jugendfreund Francesco Puligheddu Decks her und verkaufte sie in kleinen Stückzahlen. Daraus wurde die Marke Airflow, welche in der Boomphase jährlich rund 2000 Slalomboards absetzte. Über das Ende dieses Booms sagt er: «Wir Schweizer Hersteller überliessen den amerikanischen Firmen das Feld in der Schweiz. Wir waren mit unseren Fahrer-Teams nicht mehr aktiv genug, die US-Marken brachten ihre Fahrer in die Schweiz, drehten auf unseren tollen Passstrassen Werbefilme, und nach und nach wollten immer mehr Schweizer amerikanische Boards.»

«Wir waren zu früh»

Hart betont, er verkaufe heute etwa gleich viele Bretter wie vor zehn Jahren, aber mit viel grösserem Aufwand, da er ein breiteres Sortiment anbieten müsse und zudem weltweit verkaufe, was enorme Versand- und Zoll-Kosten mit sich bringe. Früher bestellte allein der Skate- und Snowboard-Shop Beach Mountain 150 Slalomboards auf einmal, und das mehrmals pro Jahr. Heute gehört Beach Mountain Jelmoli und verkauft kaum noch Slalomboards. Hart hat neben seiner Rollbrett-Manufaktur eine erfolgreiche Siebdruck- und Beschriftungsfirma.


Der Marktführer während des Slalom-Booms war Indiana. Die Entwicklung der Firma ist bezeichnend für die Situation der meisten Schweizer Hersteller. Gründer Christof Peller fasst zusammen: «Wir haben klein angefangen, als sich die grossen Marken noch nicht für diesen Markt interessierten. Dann versuchten wir, uns in Deutschland zu etablieren, was nicht klappte. Wir waren zu früh. Und dann kamen die US-Firmen, die viel günstiger produzieren als wir und die das Marketing aus ihrem Heimmarkt relativ einfach über die ganze Welt streuen können, während wir jedes Land einzeln bewerben müssen.»

«Ich habe die Schliessung von zwei Webereien miterlebt. Ich frage mich, wann wir an der Reihe sind.»

Christof Peller, Gründer Indiana

Peller sieht die Zukunft düster: «Ich habe an unserem früheren Standort in Wald ZH die Schliessung der letzten zwei Webereien miterlebt. Ich frage mich, wann wir an der Reihe sind.» Die Firma Indiana produziert seit einigen Jahren auch preisgekrönte Design-Lampen aus Holz und Stand-Up-Paddleboards (Surfbretter, auf denen man stehend paddelt). Dieser Bereich wachse, doch auch hier herrsche Preisdruck, besonders seit Migros Paddel-Surfboards für 400 Franken verkaufe, während die Indiana-Modelle ab 1000 Franken zu haben sind. Langfristig sieht er für die Schweiz als Produktionsstandort schwarz: «Wir haben höhere Kosten als die Konkurrenz und stossen jeden Tag an Barrieren, weil wir nicht zur EU gehören.» So negativ will er seine Aussagen dann doch nicht stehen lassen und fügt hinzu: «Wir werden das Skateboarden nicht sterben lassen, sondern wollen zurückkommen mit neuen, innovativen Produkten.»

Unbeugsame Schweizer

Ganz anders sieht das Reinke Blättler, der die Marke Fibretec führt. Er setzte schon früh auf Long- und Downhill-Boards. «Ich verkaufe jedes Jahr mehr Boards», betont der Zürcher. Rund die Hälfte davon unter seinem eigenen Markennamen, die anderen 50 Prozent fertigt er für andere Brands, auch internationale. Selbst einige hundert Slalomboards verlassen jährlich seine Produktionsstätte, in der er bei Vollauslastung bis zu 150 Skateboard-Decks pro Tag herstellen kann. Wichtige Innovationen im Skateboard-Bau kämen aus der Schweiz, betont er. «Die grossen internationalen Hersteller sehen sich unsere Boards immer noch genau an.»

«Fibretec ist gleich gross wie vor zehn Jahren, während die anderen Schweizer Marken geschrumpft sind. Die grossen internationalen Brands aber haben ihren Umsatz verhundertfacht», sagt Jojo Linder. Er führt den Roll-Laden, ein auf Long- und Slalomboards spezialisiertes Verkaufsgeschäft im Zürcher Kreis 5. Tatsächlich hängen zu einem grossen Teil Schweizer Produkte an der Wand neben einigen deutschen Boards. Hier kaufen die Skater, die nicht auf Schnäppchenjagd sind – oder sie kommen mit ihren Eltern und entsprechender Kaufkraft.


Im Roll-Laden werden Deck, Achsen und Rollen individuell zusammengestellt. Die preisbewusste Kundschaft kauft Komplettboards bei Sport-Grossverteilern oder gleich online. Komplette Longboards sind ab 180 Franken zu haben, während bei hochwertigen Schweizer Boards alleine das Deck ohne Achsen und Rollen von 200 Franken an aufwärts kostet. «Das Problem ist, dass die ausländischen Komplett-Boards nicht mehr viel schlechter sind als jene aus der Schweiz», bekennt Chris Hart. 

Dem widerspricht Blättler: «In Nordamerika und China werden einfach Holzschichten verleimt und gepresst. Solche Decks sind bei regelmässigem Gebrauch nach einem halben Jahr kaputt. Wir konstruieren mit hochwertigen Holzkernen und Fiberglas. Unsere Boards kosten etwas mehr, dafür halten sie ein Leben lang.»

«Wer richtig Feuer fängt für das Longboarden, kauft sich früher oder später ein hochwertiges Schweizer Board.»

Reinke Blättler, Inhaber Fibretec

In Basel schloss vor wenigen Jahren der Downtown Surf Shop, in Zürich der No Way, Beach Mountain löste als Jelmoli-Tochter vier von fünf Filialen auf. Alle sind Pioniere, verkauften seit den Achtzigern Rollbretter. HP Endras, einer der zwei Gründer des No Way, erklärt den Ausstieg aus dem Skateboard-Geschäft so: «Es gab zu viele Skate-Shops und gleichzeitig kam der Online-Verkauf. Die junge Kundschaft, die auf jeden Rappen schaut, ist nicht treu. Deshalb bauten wir die Skateboard-Marken nach und nach ab.» Heute ist No Way ein Vertrieb für verschiedene Mode-Labels.

Das Aussterben der Inhaber-geführten Skate Shops hat direkt nichts mit dem Verschwinden der Slalomboards und der darauf spezialisierten Hersteller zu tun. Doch sie sind beide zum Opfer der Zeit geworden. Die Street-Skateboards (jene für die Trick-Skater) kamen schon immer aus den USA oder von wo auch immer die amerikanischen Brands produzieren lassen. Mit den Longboards fanden internationale Marken den Weg in die Schweiz und konkurrierten direkt die Schweizer Marken, die schon angesichts ihrer Produktionskosten chancenlos waren.

High-Tech statt Massenware

«Die günstigen Komplett-Boards sind gar nicht schlecht für unser Geschäft», ist Fibretec-Inhaber Blättler überzeugt. «Jene, die richtig Feuer fangen für das Longboarden, kaufen sich früher oder später ein hochwertiges Schweizer Board.» Das ist plausibel, erhärtete Zahlen gibt es dafür nicht. Genauso wenig wie Verkaufsstatistiken erhoben werden, welche die Verschiebung von Markenanteilen von Schweizer zu internationalen Herstellern belegen. Der Blick auf die Strasse und in die Ladenregale muss reichen. Da drängt sich bei genauerem Hinsehen die Erkenntnis auf, dass die Schweizer Produkte nicht verdrängt wurden, sondern dass sehr viele neue dazu kamen, die nun das Bild dominieren.

Martin Siegrist ist nach einigen Jahren in Zürich nach Liestal zurückgekehrt, rollt an den Abenden über die Strassen, auf denen er vor knapp 20 Jahren seine ersten Kurven zog. Von seinem langjährigen Partner Airflow hat er sich getrennt. Neben einer Teilzeit-Anstellung als Industrie-Designer bei einem Holzbau-Unternehmen verfolgt er eigene Entwicklungsprojekte. Eine seiner Kundinnen ist eine amerikanische Skateboard-Firma, für die er digitale Vorlagen für Pressformen zeichnet.

Vielleicht geht die Schweizer Skateboard-Industrie den gleichen Weg wie andere produzierende Gewerbe: weg von der Herstellung grosser Stückzahlen hin zu spezialisierten High-Tech-Dienstleistungen. Und weil alle Schweizer Skateboard-Hersteller ein weiteres Standbein haben, das ihre Existenz sichert, werden sie noch lange edle Boards für jene herstellen, die bereit sind, den Preis zu zahlen.

Nächster Artikel