Der russische Charlie Hebdo

Mit dem «Watnik» hat der russische Karikaturist Anton Tschadski eine bitterböse Satire auf die Stimmungslage in Russland geschaffen. Heute lebt er im Exil.

«Grosstuerei» – Der Watnik fliegt über die Welt und gibt zu verstehen: Wir werden sie leicht besiegen, indem wir nur mit unseren Mützen winken. Die Übersetzung der Titel der weiteren Bilder finden Sie jeweils in der Bildlegende.

(Bild: Anton Tschadski)

Mit dem «Watnik» hat der russische Karikaturist Anton Tschadski eine bitterböse Satire auf die Stimmungslage in Russland geschaffen. Heute lebt er im Exil.

Die Figur des Watnik (zu deutsch: wattierte Jacke), ein graues Knäuel auf zwei Beinen, klopft gerne derbe Sprüche. «Du Schweinehund – liebe Stalin! Sei ein Patriot!» – «Der Westen verfault – Russland erlebt seine Wiedergeburt!» Der Watnik liebt Verschwörungstheorien, hasst den Westen, trinkt, flucht und prügelt sich gerne. Ein graues Viereck, mit einer roten Trinkernase und einem blauen Auge, von den Nationalfarben der russischen Trikolore unterlegt: «1/3 Hass, 1/3 Dummheit und 1/3 Neid.»

Der junge russische Karikaturist Anton Tschadski hat mit dem Watnik eine bitterböse Satire auf die politische Stimmungslage in Russland kreiert: Von den USA bedroht, aufgehetzt gegen die «Faschisten in Kiew» und angeekelt von «Gayropa», ohne die Probleme im eigenen Land zu sehen – das sind zentrale Motive in den Zeichnungen von Tschadski. Wie eine unheilvolle Symbiose aus Helmut Qualtingers «Herr Karl» und dem bösen Zwilling der US-Zeichentrickfigur SpongeBob – patriotisch, obrigkeitshörig und ungebildet.

Der Watnik machte schon 2011 in den sozialen Netzen seine Runden, erlebte aber erst mit der Ukraine-Krise seine grosse Stunde. Ukrainische Künstler haben dem übellaunigen Würfel auf zwei Beinen mittlerweile Kurzfilme, Popsongs und einen satirischen YouTube-Sender («Watnik Today») gewidmet. Das Wort «Watnik» ist als Neologismus in die russische Sprache eingegangen. 

«Ich sage mit meinen Karikaturen nicht: Hasst die Russen. Sondern: Lacht über sie!»

 
Anton Tschadski, Karikaturist

Mit der Verbreitung kamen aber auch die Vorwürfe an Tschadski, russophob zu sein. «Ich sage mit meinen Karikaturen nicht: Hasst die Russen, sondern lacht über sie!», sagt Tschadski. «Ich wollte zeigen, dass sich die russische Gesellschaft derzeit in einer Selbst-Isolierung befindet. Sie hat sich selber in ein Stalin-Lager gesperrt und freut sich noch darüber!» 

«Volksverhetzer» im Exil

In Russland selbst ruft der Watnik naturgemäss gemischte Gefühle hervor. Ein Abbild einer zunehmend radikalisierten, hurrapatriotischen Gesellschaft, sagen die einen. Eine Provokation oder gar ein Projekt der westlichen Geheimdienste, um Russland zu erniedrigen, polterte der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski in einer Rede vor der Staatsduma. Es gibt sogar Versuche, den Watnik positiv umzudeuten: Zuletzt gab es an der staatlichen Universität Altai einen Essaywettbewerb: «Warum ich stolz bin, ein Watnik zu sein.»

Satiriker im Exil: Anton Tschadski ist Russe, lebt mittlerweile aber in der Ukraine.

Satiriker im Exil: Anton Tschadski ist Russe, lebt mittlerweile aber in der Ukraine. (Bild: Anton Tschadski)

Für Tschadski selbst blieb die Kritik nicht ohne Folgen. Vor einem Jahr verlor er seinen Job in der Regionalverwaltung in der russischen Schwarzmeerstadt Noworossijsk. Mittlerweile wurde gegen ihn in Russland ein Verfahren wegen «Volksverhetzung» eröffnet, seit Jahresbeginn lebt er im Exil in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Und so illustriert die Geschichte des Watnik auch die tiefen Gräben zwischen Kiew und Moskau: Während Tschadski nicht mehr nach Russland einreist, hat er in Kiew zuletzt seine erste Ausstellung eröffnet. Die pro-russischen Separatisten sollen sogar ein Kopfgeld auf Tschadski ausgesetzt haben.

Ableger von Polen bis Island

In Russland steht der Watnik in einer langen Tradition der politischen Satire – von den cartoon-artigen Druckgrafiken der Lubki im 17. Jahrhundert  über die bissigen Satiren des Nikolaj Gogol bis zum «Homo sovieticus», einer satirischen Umdeutung des sowjetischen Mythos vom neuen Menschen – faul, gierig, trunksüchtig und apolitisch. Eine «mentale Software», die nach der Wende nicht gelöscht, sondern zuletzt durch die Repressionen und die Propaganda in den russischen Medien wieder aktiviert wurde, so der Soziologe Juri Lewada, der sich jahrelang mit dem Phänomen des «Homo Sovieticus» auseinandersetzte. Ein Code, der im Watnik auch immer wiederkehrt: Im roten Farbteil des russischen Trikolore zeichnet Tschadski immer wieder auch Hammer und Sichel.

Inzwischen ist der Watnik zu einem Selbstläufer geworden: Die grantigen Watteknäuel gibt es mittlerweile in der Ukraine, in Belarus und Kasachstan, aber auch in Polen oder Island: «Überall gibt es Probleme und Stereotype in der Gesellschaft, die man in einem Watnik darstellen kann», sagt Tschadski. Teilweise wurde die Figur schon von anderen Zeichnern übernommen. Dass der Watnik so hohe Wellen schlagen würde, hat seinen Schöpfer überrascht. «Ich kontrolliere die Bewegung längst nicht mehr.»

Der russische Kunsttheoretiker Michail Bachtin pries den Humor als befreiende Kraft, als Ventil der Gesellschaft. Inwiefern darf gelacht werden, wenn dabei religiöse oder nationale Gefühle verletzt werden? «Ein guter Karikaturist zeigt immer Probleme in der Gesellschaft auf – und die gibt es nun mal, sei es nun in Russland, oder sei es im Islamismus», sagt Tschadski unter Anspielung auf das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo. «Wir erschaffen diese Probleme nicht, wir bringen sie nur zu Papier.»


Um Kunst in Russland geht es auch im Beitrag «Zwischen Widerstand und Accessoire der Superreichen»

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