Der Schlag vom 18. Juli

Das Attentat auf drei führende Militärs des Regimes lässt fragen: Wer kann da noch sicher sein? Die nächste Zeit wird zeigen, ob die Regierung zum Gegenschlag ausholt.

Rebellen im Vormarsch: Am 18. Juli 2012 gab es in der syrischen Hauptstadt eine Reihe von Anschlägen. (Bild: AP Photo)

Das Attentat auf drei führende Militärs des Regimes lässt fragen: Wer kann da noch sicher sein? Die nächste Zeit wird zeigen, ob die Regierung zum Gegenschlag ausholt.

Als der Staub im Gebäude des Nationalen Sicherheitsdienstes sich legte, war eine Veränderung eingetreten, die noch ein paar Stunden zuvor undenkbar gewesen war. Drei führende Köpfe des Regimes lagen tot um den Tisch, an dem sie ihr wöchentliches Krisentreffen abgehalten hatten: Verteidigungsminister Dawud Radschha, sein Vize Assef Schaukat (im Bild) sowie der Vorsitzende des Militärrates Hassan Turkmani – allesamt Führungsfiguren im effektivsten Polizeistaat des Nahen Ostens.

(Bild: KHALED AL-HARIRI)

Von den dreien war Schaukat schon lange das Hauptziel. Keiner außer Präsident Assad verfügte seit Beginn der Demonstrationen vor 17 Monaten über mehr Macht und Einfluss. Er war derjenige, der «über die Geheimnisse wachte», wie die Oppositionellen zu sagen pflegen. Jede strategische Entscheidung während des Aufstandes ist über diesen Tisch gegangen.

Innerhalb von Minuten wurde der Tod der drei bekanntgegeben – das ist ungewöhnlich in einem Polizeistaat, der während des gesamten Aufstandes Rückschläge stets nur widerwillig und sparsam eingestanden hat. Informationelle Kriegführung ist wie in jedem Krieg auch hier gang und gäbe.

Geschockte Reaktionen

Ein Fernsehsender der Hisbollah brachte die Nachricht als erstes, dann wurde sie durch das staatliche syrische Fernsehen bestätigt und elektrisierte Damaskus, wo die Rebellen drei Tagen gegen Regierungstruppen gekämpft hatten, die als die erbittertsten Verteidiger der Hauptstadt galten. Einige dieser vermeintlichen Diehards wechselten Damaszenern zufolge unverzüglich die Seiten. Andere hätten ihre Panzer einfach stehen lassen und seien geflohen, heißt es. Die Reaktionen waren in allen Hochburgen des Aufstandes die gleichen. Ein im Internet gepostetes Video zeigt Hunderte von Überfläufern in Homs, ein weiteres zeigt Autos, die zur Verstärkung der Rebellen aus Aleppo heraus strömen. In der Provinz Idlib reisten Abgesandte aus oppositionellen Dörfern in Enklaven mit Unterstützern des Regimes und beschworen sie, sich der Revolution anzuschließen.

Angeblich herrscht eine Stimmung der Euphorie, wo vor einer Woche in Anbetracht der knapper werdenden Reserven noch Niedergeschlagenheit überwog. Schaukats Tod scheint ein einschneidendes Ereignis für Loyalisten wie Aufständische gleichermaßen. «Die Leute dachten, Assad stehe für Stabilität. Er sagt, man solle zu ihm halten, aber er ist nicht in der Lage, die Hauptstadt zu beschützen», sagt Thaer Nakhli am Telefon aus dem Damaszener Vorort Down.

Mohammed Nazhar, Leutnant der Freien Syrischen Armee, erzählt, eine geheimdienstliche Einheit der Rebellen habe innerhalb des Regimes Unterstützer angeworben, um sie für Anschläge zu gewinnen. Die intendierte Botschaft ist klar: Wer innerhalb des Regimes ist noch sicher, wenn drei führende Militärs so leicht getroffen werden konnten?

Wie im Irak und Jemen, in Ägypten und Libyen wird die Entfernung der Hausmacht auch in Syrien ein Vakuum hinterlassen. Nach dem Schlag vom 18. Juli bevölkerten Tausende von Unterstützern die Hauptstadt. Als die Nacht über Damaskus hereinbrach, übermittelten im Internet Live-Streams, wie auf Straßen gefeiert wurde, auf denen tags zuvor noch der Bürgerkrieg tobte. Männer und Jugendliche liefen durcheinander, schwenkten Fahnen und tanzten, als bräuchten sie keine Angst zu haben.

Allerdings werden erst die kommenden Tage zeigen, ob die Rebellen ihre Erfolge, so dramatisch und unbestreitbar sie auch sein mögen, aufrechterhalten können (Einen ersten Rückschlag mussten sie offenbar bereits zwei Tage später hinnehmen, wie das staatliche Fernsehen am Freitag berichtet). Um von diesem Punkt zu einer gefestigten Kontrolle über die gesamte Hauptstadt zu kommen, müssen sie weiter Druck ausüben. Entscheidend wird sein, ob der Angstfaktor überwunden werden konnte. Wurden Unentschlossene in den Reihen der Regierung dazu veranlasst, die Seiten zu wechseln? Verfügt das Regime noch immer über die Möglichkeiten, gewaltsame Übergriffe mit überragender Feuerkraft niederzuschlagen? Findet sich ein neues Team von Führern, denen Loyalität entgegengebracht wird und die selbst soviel Furcht einflößen können wie die Getöteten?

Zwei Armeen

Trotz der stürmischen Ereignisse haben die entscheidenden Punkte auf der Wunschliste der Opposition (Überläufer und Waffengewinne) noch keine kritische Masse erreicht. Und trotz des gestrigen Rückschlags erscheint ein Gegenangriff des Regimes unvermeidlich. Die syrischen Rebellen haben diese Woche viele mit ihrer Fähigkeit überrascht, Boden gut zu machen, zu halten und die Kämpfe an die Orte zu tragen, die vom Regime am besten bewacht werden. Die Guerrilla-Armee ist jetzt kein Flickenteppich disparater Milizen mehr. Ihr Angriff auf Damaskus war koordiniert und hartnäckig. Zumindest was die Hauptstadt anbelangt, stehen sich nun zwei Armeen gegenüber.

Damaskus hat Weltreiche entstehen und fallen sehen. Während der gesamten vier Jahrzehnte der Herrschaft der Assads spielte es vielen für den Nahen Osten entscheidenden Augenblicken eine zentrale Rolle. Aber einen wichtigeren Tag als diesen 18. Juli hat es in den vergangenen Jahren nur sehr wenige erlebt. Die Opposition ist von ihrem Erfolg noch immer benommen und es liegt nicht vollständig in ihrer Hand, die Sache zu Ende zu bringen. Ob der Tod dieser wichtigen Säulen des Regimes die Massen hinter der Opposition zu versammlen vermag, wird entscheiden, ob dies wirklich der Anfang vom Ende ist – oder der Beginn von etwas noch viel Schlimmeren.

Copyright: Guardian News & Media Ltd 2012; Übersetzung: Holger Hut, Freitag.de

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