Der mutmassliche Serienmörder aus Toulouse war der Polizei bekannt. Trotzdem konnte der 24-Jährige Mechaniker vom Kleinkriminellen zum Serienmörder mutieren.
Am Tatort hinterliess der Attentäter keine Spuren. Doch der Sohn eines Franzosen und einer Algerierin hatte im Vorfeld seiner Taten zwei Fehler begangen: Er versuchte offenbar, vom Computer seines Bruders aus einem der Soldaten, die er später tötete, ein Motorrad abzukaufen. Und er erkundigte sich in einem Motorradgeschäft in Toulouse, wie man ein GPS-Satellitensignal ausschaltete – wohl aus Sorge, dass die Polizei die Fahrt seiner Yamaha von den Tatorten in Montauban und Toulouse verfolgen könnte. Die beiden Informationen drangen bis zu den Ermittlern vor – und in der Kombination führten sie in der Nacht auf Mittwoch zum Fahndungserfolg in dem ruhigen Wohnquartier von Toulouse.
Den Raid-Elitepolizisten erklärte der gestellte Täter offenbar am Handy, er sei ein Mudschaheddin, ein Gotteskämpfer, und als solcher Mitglied des Terrornetzwerks Al-Kaida. Mit seinen Akten wolle er «palästinensische Kinder rächen und moslemische Verräter in der französischen Armee bestrafen».
«Sanft, höflich»
Sein Anwalt Christian Etelin fiel aus allen Wolken: «Das hätte ich nie gedacht. Mein Mandant war ein sanfter, sehr höflicher Junge mit Engelsgesicht. Gewiss, er hatte diverse typische Kleindelikte dieser Viertel begangen, darunter Diebstahl, Gewalt. Aber von einem Terror-Link hatte ich keine Ahnung.» Nur einmal habe er von seinem Chef, einem Autohändler gehört, dass sein Angestellter nach Afghanistan verreist sei. Dort war der Attentäter mehrmals in Ausbildungslagern von Islamisten. In Kandahar sass er laut Medienberichten auch in Haft, weil man ihn mit Material zum Bau von Bomben erwischt hatte.
Im Gefängnis Islamist geworden
Zum Islamismus gekommen war er laut Bekannten bei seinen zwei kurzen Haftaufenthalten 2007 und 2009. Das passt zu regelmässigen Warnungen der Geheimdienste über die Aktivitäten von Salafisten und anderen Islammissionare in den französischen Haftanstalten.
Dem französischen Inlandgeheimdienst DCRI war der Mann persönlich bekannt, wie Innenminister Claude Guéant zugeben musste. Der Verdächtige habe jahrelang, auch wenn nur punktuell, unter Beobachtung gestanden. Der Mann habe sich 2010 und 2011 in Pakistan aufgehalten. Anzeichen für irgendeine Verbrechensplanung gab es laut dem Minister aber nicht. Die Bewerbung des 24-Jährigen für die französische Armee wurde wegen seiner Vorstrafen abgelehnt, die Kandidatur für die Fremdenlegion brach er offenbar selber ab.
Ist der Mann ein Einzelkämpfer?
Hatte er Komplizen, war er gar Teil eines Netzwerks? Am Mittwoch verhaftete die Polizei fünf Familienmitglieder, darunter seine alleinerziehende Mutter. Doch das heisst nicht viel. Offen bleibt auch die Frage, wie er all seine Waffen, darunter eine Kalaschnikow, finanzierte. Französische Polizeikreise meinten aber gestern, der Täter sei ein «einsamer Wolf des Dschihad» gewesen. Sein Fall erinnert bis zu einem gewissen Grad an Khaled Kelkal, einem Kleinkriminellen aus Lyon, der sich 1995 von Islamisten zum Gotteskrieger bekehrte und mehrere Bombenanschläge verübte, den schwersten in einer U-Bahnstation von Paris mit acht Toten. Kelkal bezeichnete sich als Mitglied des algerischen Terrornetzwerkes GIA. Er wurde Ende 1995 von der Polizei erschossen.
Der mutmassliche Serienmörder entspricht auch nicht unbedingt dem Profil eines international gesuchten Al-Kaida-Terroristen. Laut dem früheren Chef der französischen Gegenspionage, Louis Caprioli, dürfte er eher unter den Einfluss radikaler Fundamentalisten geraten und allein zur Tat geschritten sein. Wie er kehrten ab und zu junge Franzosen aus Trainingcamps an der afghanisch-pakistanischen Grenze in ihre Banlieue-Viertel zurück, um unter dem Deckmantel der Normalität weiterzuleben, sagt Caprioli.
2006 war ein «Weissbuch» der Pariser Regierung zum Schluss gekommen, dass Terrornetzwerke nicht direkt in Frankreich tätig seien; wegen der Kolonialvergangenheit, der Afghanistan-Mission und der Implikation in den Nahostkonflikt sei die Bedrohung von aussen aber stets präsent. Islam-Fundamentalisten aller Art sind in den Vororten der französischen Grossstädte aber verbreitet – und streng überwacht: Etwa die Hälfte aller europäischer Islamisten werden in Frankreich verhaftet; 2010 waren es an die 100. Direkt betroffen ist Frankreich seit ein paar Jahren durch den Al-Kaida-Ableger im Sahel, Aqmi: Deren Wüstenzellen haben schon mehrfach Franzosen verschleppt und getötet.