Der Sultan ist noch mächtiger zurück

Erdogan triumphiert, aber für die europäischen Partner der Türkei ist sein Wahlsieg kein Grund zur Freude. Das Land, das für Europas Sicherheitsarchitektur ein wichtiger Pfeiler ist und gerade in der Flüchtlingskrise eine Schlüsselrolle spielt, bewegt sich einen Schritt weiter auf eine autoritäre Staatsordnung zu.

People wave flags and hold a portrait of Turkish President Tayyip Erdogan as they wait for the arrival of Prime Minister Ahmet Davutoglu in Ankara, Turkey November 2, 2015. Davutoglu described the outcome of a general election which swept his AK Party back to a parliamentary majority on Sunday as a victory for democracy. REUTERS/Umit Bektas

(Bild: Umit Bektas)

Erdogan triumphiert, aber für die europäischen Partner der Türkei ist sein Wahlsieg kein Grund zur Freude. Das Land, das für Europas Sicherheitsarchitektur ein wichtiger Pfeiler ist und gerade in der Flüchtlingskrise eine Schlüsselrolle spielt, bewegt sich einen Schritt weiter auf eine autoritäre Staatsordnung zu. Ein Leitartikel von unserem Türkei-Korrespondent.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seine politischen Gegner wieder einmal enttäuscht. Nach der Wahlschlappe der islamisch-konservativen AKP im Juni spekulierten manche bereits über Erdogans politisches Ende. Stattdessen schaffte er bei der Wahl am Sonntag ein triumphales Comeback. Die AKP erreichte das zweitbeste Resultat seit Gründung der Partei durch Erdogan vor 14 Jahren.

Erdogan ist nun mehr denn je die dominierende Figur auf der politischen Bühne der Türkei. Dass seine AKP die erhoffte Dreifünftelmehrheit verfehlte, mit der sie eine Verfassungsänderung und die Einführung eines Präsidialsystems auf den Weg bringen könnte, ist für Erdogan zu verschmerzen. Er hat ohnehin seit seiner Wahl zum Staatsoberhaupt de facto schon viele Kompetenzen an sich gezogen, die ihm laut Verfassung eigentlich gar nicht zustehen.

Jetzt dürfte er versuchen, seinen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte noch auszuweiten. Widerspruch hat er dabei nicht zu erwarten. Premier Ahmet Davutoglu und die Führung der AKP sind ihm nach diesem Wahlsieg noch ergebener als je zuvor – und Davutoglu hat eine Verfassungsänderung bereits angekündigt.

Die Türkei steckt in einem Krieg, den sie eigentlich für beendet glaubte

Erdogan scheint den Wahlsieg der AKP auch als Freibrief für seinen harten Kurs im Kurdenkonflikt zu interpretieren. So ist es wohl zu verstehen, wenn der Präsident jetzt erklärt, das Votum sei eine «starke Antwort» auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Seit Erdogan den von ihm selbst eingeleiteten Friedensprozess im Frühjahr für beendet erklärte, eskaliert der Konflikt. Die Türkei steckt wieder in einem Krieg, von dem sie glaubte, er liege hinter ihr.



Turkish President Tayyip Erdogan greets his supporters as he leaves from a polling station in Istanbul, Turkey November 1, 2015. Turks began voting on Sunday amid worsening security and economic worries in a snap parliamentary election that could profoundly impact the divided country's trajectory and that of President Tayyip Erdogan. The parliamentary poll is the second in five months, after the ruling AK Party founded by Erdogan failed to retain its single-party majority in June. REUTERS/Murad Sezer TPX IMAGES OF THE DAY

Seine Gegner glaubten ans «Ende des Sultans», aber Tayyip Erdogan kommt gestärkt aus den Wahlen. (Bild: Murad Sezer)

Ein Hoffnungsschimmer ist, dass wenigstens die pro-kurdische Linkspartei HDP erneut den Sprung ins Parlament schaffte. Die Kurden haben damit eine politische Stimme in der neuen Nationalversammlung. Das berechtigt zumindest zu der Hoffnung, dass sich gemässigte Kräfte Gehör verschaffen und der Friedensprozess wiederbelebt werden kann. Wenn die zurückliegenden drei Jahrzehnte, in denen über 40’000 Menschen ihr Leben im Kurdenkonflikt verloren haben, eines gelehrt haben, dann dies: Mit militärischen Mitteln lässt sich das Problem nicht lösen.

Zumindest ebenso gross sind die aussenpolitischen Probleme, mit denen das Land konfrontiert ist. Mit seiner Kampagne zum Sturz des Assad-Regimes in Damaskus hat Erdogan die Türkei zur Kriegspartei im Syrienkonflikt gemacht. Die jüngsten Anschläge, die Selbstmordattentätern der IS-Terrormilz zugeschrieben werden, zeigen, wie tief die Türkei bereits im Treibsand des syrischen Bürgerkriegs steckt.

Ein zerrissenes Land, wie es die Türkei derzeit ist, kann diese Herausforderungen nicht meistern. Die AKP hat zwar eine bequeme Mehrheit, um allein zu regieren. Präsident Erdogan und Premier Davutoglu sollten dennoch auf die Opposition zugehen. Erdogan hat im Wahlkampf tiefe Gräben aufgerissen, nicht zuletzt mit seinen Versuchen, kritische Medien zum Schweigen zu bringen. Jetzt wäre es an der Zeit Brücken zu bauen. Aber gerade das ist Erdogan bisher schwer gefallen.

Weil Angela Merkel ihr «freundliches Gesicht» wahren will, hat sie nun Tayyip Erdogan an der Backe. Dem türkischen Präsidenten kommt das sehr gelegen. Georg Kreist blickt auf die EU-Beziehung der Türkei.

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