Der Tag danach

Was die SVP während den Bundesratswahlen genau gewollt hat, wird auch einen Tag nach dem Debakel nicht deutlich. Stattdessen üben sich die Mitglieder der Fraktion in den gewohnten Rollenbildern: Treue Blocher-Freunde, scheue Neue und ewige Stänkerer.

Wie weiter? Am Mittwoch sah die Parteispitze der SVP noch ratlos in die Welt hinaus, am Donnerstag präsentierte sich die Lage schon etwas besser. (Bild: Reuters)

Was die SVP während den Bundesratswahlen genau gewollt hat, wird auch einen Tag nach dem Debakel nicht deutlich. Stattdessen üben sich die Mitglieder der Fraktion in den gewohnten Rollenbildern: Treue Blocher-Freunde, scheue Neue und ewige Stänkerer.

Es ist der Tag danach, es ist ein neuer Tag, und plötzlich scheint alles nicht mehr so schlimm. Die Fraktion der SVP gleicht am Donnerstag – die etwas abgeschmackte Analogie sei an dieser Stelle verziehen – einem Zahnarztpatienten. Gross war die Angst und Unsicherheit vor der Operation; gross war der Schmerz währenddessen, gross ist die Erleichterung, dass es nun endlich vorüber ist. Die Backe ist zwar noch geschwollen, aber der Schmerz klingt langsam ab. Und die Fürsorge erst! Alles kümmert sich ausschliesslich um den Patienten.

Am Donnerstag nach den desaströsen Wahlen vom Mittwoch stehen sich die Journalistinnen und Journalisten im Vorzimmer der SVP auf den Füssen herum. Alle wollen sie heute in der Wandelhalle mit den Verursachern des Debakels sprechen, wollen Kritik an der Parteiführung und der Strategie hören. Sie treffen die SVP-Politiker in einer seltsam aufgeräumten Stimmung an. Parteipräsident Toni Brunner hat plötzlich wieder Farbe im Gesicht. Nichts mehr ist von der unendlichen Müdigkeit des Dienstags, von der Konsternation des Mittwochs zu spüren. Ganz der Alte scherzt er mit den Journalisten, nimmt sich für jeden Zeit, sucht Körperkontakt. Das ist kein auf Toni Brunner beschränktes Phänomen. Natalie Rickli strahlt in die Welt hinaus, This Jenny läuft mit beschwingtem Schritt vorbei, Caspar Baader ist in irgendwelche Dossiers vertieft (das macht er am Liebsten) ja sogar das schwarze Schaf der Partei, der Erbschafts-Sünder Bruno Zuppiger, mag wieder lachen.

Rollenbilder

Grund für die aufgeräumte Stimmung ist der Rückgriff auf erprobte Muster – und die Sicherheit, die damit wiedergewonnen wird. Drei Sorten von SVP-Politikern lassen sich am Donnerstag in der Wandelhalle beobachten: Die Blocher-Treuen. Die scheuen Jungen, die nun beginnen ganz ganz zögerlich nach etwas Reform zu fragen. Und die üblichen zwei, drei Stänkerer, die immer dann für eine Auskunft gut sind, wenn es gegen die eigene Partei geht (also eigentlich sind es nur zwei: Die Ständeräte This Jenny und Alex Kuprecht sind häufig nicht einverstanden und werden darum gerne gehört. Von Jenny stammt etwa das folgende knackige Zitat: «Die ganze Misere hat mit der Brandrede von Baader bei der Blocher-Abwahl begonnen und seither nicht mehr aufgehört.»)

Was die drei SVP-Typen eint, ist das Thema: War es richtig, gegen die FDP vorzugehen? War es schlau, zuerst Didier Burkhalter wiederzuwählen und die FDP erst dann anzugreifen? Und war das Desaster unter Umständen vielleicht gar Teil eines raffinierten Masterplans der Parteileitung und darum beabsichtigt?

Die fehlende Strategie

Was in diversen Gesprächen am Donnerstag deutlich wird, ist der Zeitpunkt, an dem die Sache während der Wahl aus dem Ruder lief. In der ausserordentlichen Fraktionssitzung vom Mittwochmorgen einigte sich die Partei darauf, die Freisinnigen anzugreifen, falls diese bei der Attacke gegen Eveline Widmer-Schlumpf nicht geschlossen die SVP unterstützen würden. Haarig wurde die Sache nach der Wiederwahl von Widmer-Schlumpf. Während die Führung um Christoph Blocher, Toni Brunner und Caspar Baader die 104 Stimmen für die beiden SVP-Kandidaten als Verrat der FDP empfanden, war diese Einschätzung in der restlichen Fraktion nicht ganz so eindeutig. «Ich empfand das nicht als Verrat der FDP», sagt etwa der Basler Nationalrat Sebastian Frehner, einer jener Jungen, die nicht zu hundert Prozent mit dem Vorgehen der Parteileitung einverstanden waren und das – äusserst vorsichtig allerdings – auch äussern.

Natalie Rickli und Lukas Reimann sind weitere Beispiele für diese Sorte des jungen SVP-Politikers. Sie gaben bereits am Mittwoch gegenüber verschiedenen Medien zu verstehen, dass sie mit der Einschätzung der Parteileitung nicht einverstanden waren. Böse Worte gab es von den Jungen aber nicht zu hören: «Ich mache meine Manöverkritik intern», sagte Rickli der NZZ. Und auch Frehner meint: «Es darf nicht immer alles gegen aussen getragen werden. In Basel würde ich als Parteipräsident diese ständigen Indiskretionen nicht tolerieren.»

Ermuntert zur (internen) Kritik werden die Jungen von Parteipräsident Toni Brunner höchstselbst. «An der Aussprache vom Dienstag sollen alle ihre Meinung kundtun», sagte Brunner gestern in der Wandelhalle und versuchte danach zu erklären, warum die SVP erst im fünften Wahlgang bei der Bestätigung von Simonetta Sommaruga die amtierenden Bundesräte angriff. Wenn die Konkordanz gebrochen ist und man eine Koalitionsregierung habe, gebe es eben keine Ansprüche mehr.  «Zudem ist es erstaunlich, dass die FDP-Fraktion geschlossen für den Sozialismus stimmt, wenn sie die Wahl zwischen einer SP-Bundesrätin und einem SVP-Kandidaten hat.» Warum die SVP danach aber auch den Sitz von Johann Schneider-Ammann angriff, vermochte Brunner nicht wirklich schlüssig zu erklären. Alles gehe, wenn die Konkordanz erst einmal gebrochen sei. Es sei während den Wahlgängen zu wenig klar geworden – und damit meint er auch seine eigene Fraktion – dass der Bundesrat nun keine Konkordanz mehr sei, sondern eine Koalition. «Und da können wir angreifen, wen wir wollen.»

Mit dem gleichen Argument kontert Brunner auch die parteiinterne Kritik an der Strategie der Parteileitung. «Wir haben gemacht, was wir konnten.» Die einzige erfolgsversprechende Möglichkeit auf einen zweiten Sitz ausserhalb der Achtung der Konkordanz wäre ein Pakt mit der SP gewesen. «Und ich will nicht der Präsident einer Partei am Gängelband der Sozialisten sein.» Statt sich auf die «Spielchen» der SP einzulassen, habe man auf dem konventionellen Weg versucht, den zweiten Sitz zu erlangen. «Dieses Ziel haben wir leider verfehlt.»

Ein Masterplan

Wenn das alles so klar war, warum die ganze Aufregung? Steckt vielleicht doch noch etwas ganz anderes dahinter? Gieri Cavelty, Blattmacher der Aargauer Zeitung, hat die Bundesratswahlen auf der Pressetribüne West mitverfolgt, in Hör-Nähe zur SVP. In seinem brillanten Text zitiert Cavelty Toni Brunner folgendermassen: «Wir greifen den Sitz von Johann Schneider-Ammann mit Jean-François Rime an», sagt, besser: ruft, Brunner. «Damit bringen wir die FDP so weit, geschlossen die Sozialdemokraten zu unterstützen. Das legitimiert die SVP als Oppositionspartei. Und die anderen werden als Lügner entlarvt. Die FDP hat uns ihre Unterstützung zugesagt, das Versprechen aber nicht gehalten.»

Mit dem Text konfrontiert, schüttelt Brunner den Kopf. Zum einen seien die Textpassagen nicht richtig und aus dem Zusammenhang gerissen und zum anderen sei es illegal, heimlich Aufnahmen zu machen oder diese ungefragt als Zitate zu verwenden. In diesem Moment verschwindet das Schmunzeln aus seinem Gesicht. Aber nur für einen Augenblick.

Quellen

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