Vor zwei Jahren sprach sich der Bundesrat für den Atomausstieg und die Energiewende aus. Jetzt schwächt der neue Nationalrat die Mittel, die es braucht, um diese Ziele zu erreichen.
Die neue Schweizer Energiestrategie, die der Bundesrat 2013 dem Parlament beantragte, bleibt auch nach den Wahlen auf dem Tisch. Doch der Ständerat und der nach rechts gerückte Nationalrat haben die Gesetzesvorlage geschwächt. Diese Bilanz lässt sich aus den parlamentarischen Beratungen ziehen, nachdem der Nationalrat einen Teil der Differenzen bereinigt hat.
Konkret: Für den Ausstieg aus der Atomenergie gibt es weiterhin keine Frist. Befristet wird hingegen die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV), welche die Stromproduktion aus Solar-, Windkraft und Biomasse quersubventioniert. Diese Subvention wird auf bestehende Wasserkraftwerke ausgedehnt. Die Verpflichtung an Stromfirmen, die Energieeffizienz zu steigern, fällt weg. Dafür macht der Nationalrat Bauherren grosszügige Steuergeschenke.
Alte AKW ohne Altersgrenze
Neue Atomkraftwerke bleiben verboten. Das haben Regierung und Parlament schon früher beschlossen. Die bestehenden AKW aber dürfen unbefristet weiterlaufen, solange die Aufsichtsbehörde Ensi sie als sicher beurteilt. Mit diesem Beschluss folgte der Nationalrat gestern dem Ständerat.
Damit krebste er hinter seinen früheren Entscheid zurück. Denn im Dezember 2014 hatte der Nationalrat noch eine Alterslimite von 60 Jahren für die Atomreaktoren Beznau I und II beschlossen, für die beiden jüngeren AKW Gösgen und Leibstadt forderte er ein Langzeitbetriebskonzept.
Energieziele, aber ohne Gewähr
Um den langfristig wegfallenden Atomstrom einzusparen oder zu ersetzen, legte der Bundesrat strenge Ziele für die Reduktion des Energiekonsums und die Produktion von Strom aus erneuerbarer Energie fest. Diese Ziele taufte das Parlament in «Richtwerte» um. Den Richtwert für die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie im Jahr 2035 (exklusive Wasserkraft) senkte der Ständerat von 14,5 auf 11,4 Milliarden Kilowattstunden. Der Nationalrat aber beharrte gestern auf dem höheren Wert von 14,5 Mrd. oder rund einem Viertel der gesamten Schweizer Stromproduktion.
Diese Differenz bleibt also bestehen. Aber alle Richtwerte sind nur bedingt von Belang. Denn es besteht keine Gewähr, dass sie erreicht werden. So haben der Ständerat und jetzt auch der Nationalrat folgende Mittel geschwächt:
- Keine Sparpflicht. Bundesrat und Nationalrat wollten die Stromlieferanten ursprünglich mit unterschiedlichen Modellen verpflichten, die Stromeffizienz bei sich und ihrer Kundschaft zu steigern. Allein damit liesse sich der Stromverbrauch in der Schweiz um annähernd zehn Prozent vermindern, rechnen Fachleute. Der Ständerat strich diese Verpflichtung. Einen Kompromissvorschlag lehnte der neu gewählte Nationalrat gestern ebenfalls ab. Damit verzichtet das Parlament ersatzlos auf ein wirkungsvolles, im Ausland mit Erfolg eingeführtes Stromspar-Instrument.
- Befristete KEV. Das wichtigste Instrument, um die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie zu erhöhen, ist die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für Strom aus Wind-, Solarkraft und Biomasse. Schon der Ständerat befristete diese KEV; ab 2023 sollen keine neuen Projekte mit KEV mehr bewilligt, ab 2031 soll auch die Einmalvergütung für kleine Fotovoltaik-Anlagen wegfallen. Der Nationalrat folgte gestern diesem Entscheid. Der Antrag einer linksgrünen Minderheit, die Dauer der KEV an das Erreichen des Produktions-Richtwerts von 14,5 Mrd. kWh zu koppeln, unterlag gestern im Nationalrat; damit wird das Produktionsziel zusätzlich abgewertet.
- Keine Normen für Heizungen. Der alte Nationalrat verlangte Vorschriften zur Energieeffizienz von Heizungen, welche die Energienormen für Elektrogeräte und die CO2-Grenzwerte für Autos ergänzen. Der Ständerat und der neue Nationalrat lehnten das ab.
Steuergeschenke ohne Gegenleistung
Steuerabzüge beantragte schon der Bundesrat. Damit wollte er Hausbesitzer anregen, energiesparende Investitionen zu tätigen. Als Gegenleistung verlangte er, dass diese Investitionen mit «energetischen Mindeststandards» verknüpft werden. Der Ständerat strich diesen Steuerabzug.
Der Nationalrat hingegen erweiterte gestern den Abzug auf vier Steuerperioden und verzichtete gleichzeitig auf die Erfüllung von Mindestanforderungen. Damit entfällt der energetische Nutzen dieses Steuergeschenks, die Finanzexperten auf «mehrere Hundert Millionen Franken» beziffern. Immobilienbesitzer erhalten damit «den Fünfer, das Weggli, den Schoggistängel und obendrein auch noch den Verkäufer», frotzelte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, welche diese Steuererleichterung vehement bekämpfte.
Neue Subvention für Wasserkraft
Schon der Ständerat hatte beschlossen, neben neuen auch bestehende Wasserkraftwerke zu subventionieren, sofern diese aufgrund der tiefen Marktpreise in eine wirtschaftliche Notlage geraten. Der Nationalrat unterstützte gestern dieses Anliegen, wählte aber ein anderes Modell. Demnach sollen Wasserkraftwerke, die mit dem Verkauf auf dem Markt ihre Produktionskosten nicht decken, eine Marktprämie von maximal einem Rappen pro kWh Strom erhalten. Allerdings sollen diese Subventionen nicht in den Dividendentopf fliessen, sondern für den Unterhalt und die Reparaturen der Kraftwerke reserviert werden. Finanziert wird diese Marktprämie aus dem KEV-Topf.
Andererseits beschloss der Nationalrat, die KEV für kleine Wasserkraftwerke mit einer Leistung von weniger als einem Megawatt zu streichen. Betroffen sind damit rund hundert neue Projekte, die den Bächen viel Wasser abgraben, aber zusammen die Schweizer Stromproduktion nur um 0,2 Prozent erhöhen würden. Dieser Entscheid entstand aus einer Koalition von linksgrünen Naturschützern und freisinnigen Subventionsgegnern.
Abschluss im Juni
Mit seinen gestrigen Beschlüssen folgte der Nationalrat in vielen Punkten der abgeschwächten Vorlage des Ständerats. Über die verbleibenden Differenzen (Stromproduktionsziel, Wasserkraft-Subventionen u. a.) werden Stände- und Nationalrat in der Junisession beraten. Voraussichtlich ebenfalls noch in der Junisession folgt die Schlussabstimmung. Ob danach ein Referendum ergriffen wird und das Volk in letzter Instanz über die Vorlage entscheidet, ist ungewiss.